Irrweg ins Niemandsland
Seehofers Masterplan schüchtert durch rigides Grenzsystem ein, obwohl er vor allem auf juristische Standards der EU zielt
Mit der Einigung der Unionsspitzen auf einen »Kompromiss« zur Asylpolitik war am Dienstag der Friede wiederhergestellt - zwischen den Unionsspitzen. Nicht in der Koalition, weil die SPD noch zögerte. Und vor allem: Sachlich muss die Koalition Horst Seehofers Werk erst noch umsetzen. Dem steht nicht nur das Ziel der Kanzlerin im Weg, den Plan nicht zu Lasten Dritter, also nur per Übereinkunft mit den betroffenen EU-Staaten umzusetzen. Sondern auch rechtlich gibt es Widerspruch.
In drei Punkten haben Kanzlerin Angela Merkel und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ihren Kompromiss zusammengefasst: Ein neues Grenzregime mit Österreich soll geschaffen werden, um Asylbewerber an der Einreise zu hindern, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind. Diese sollen, zweitens, bis zu ihrer Abschiebung in »Transitzentren« versammelt werden. Diese sind eine Art Niemandsland; denn der Aufenthalt soll nicht als Einreise gelten, damit Deutschland sich nicht den rechtlichen Auflagen eines normalen Asylverfahrens unterwerfen muss. Ähnliches gilt bereits in den sogenannten Flughafenverfahren. Über die Rückführungen soll mit den beteiligten EU-Ländern Einvernehmen hergestellt werden. Und schließlich sollen, drittens, alle Flüchtlinge nach Österreich zurückgewiesen werden, die nicht in die zuständigen Ländern geschickt werden können, weil die sich verweigern. Noch in dieser Woche will der mit der Umsetzung betraute Bundesinnenminister in Wien über ein entsprechendes Verwaltungsabkommen verhandeln. Österreich würde die Flüchtlinge vermutlich nach Süden weiterreichen wollen - nach Italien oder Slowenien, was gegen deren Willen freilich unmöglich wäre. Italien hatte nach dem Brüsseler EU-Gipfel bereits seine strikte Weigerung gegen entsprechende Vorstellungen der deutschen Bundeskanzlerin deutlich gemacht. Und Österreich würde wohl ebenfalls ein »bayerisches« Grenzregime einrichten müssen.
Dabei führt Seehofer mit den geplanten Grenzkontrollen ein Scheingefecht. Von den rund 70 Grenzübergängen zwischen Bayern und Österreich werden derzeit drei von Beamten kontrolliert. Die Unionsfraktionen wollen zwar die Schleierfahndung ausweiten, doch die grüne Grenze bekommen sie damit nicht dicht. Das Ganze kann allenfalls CSU-Wähler in Bayern erfreuen. Auch die vorgegaukelte Begrenzung der Flüchtlingszahlen ist an den Haaren herbeigezogen. In diesem Jahr wurden gerade einmal 18 000 Asylantragsteller entdeckt, deren Fingerabdrücke bereits in einem anderen EU-Land registriert waren. Insgesamt stellte bis Ende Mai knapp 70 000 Menschen einen Asylantrag.
Das eigentliche Ziel der Union ist eine Verschärfung der rechtlichen Bedingungen im Asylverfahren - nach bereits vielen Verschärfungen der letzten Jahre. Dieses Ziel findet sich im sogenannten Masterplan von Minister Seehofer, dessen Bestandteil auch die Zurückweisungen an der Grenze sind. In 63 Punkten wird dargelegt, wie die Koalition »Ordnung«, Steuerung und Begrenzung in der Migration durchsetzen will - und zwar über die Grenzen Deutschlands und auch der EU hinaus. Es geht darin um die Außengrenzen der EU und neue Befugnisse der Grenzbehörde Frontex, um den Umgang mit Heimatländern der Flüchtlinge, um Entwicklungshilfe und das Aufhalten Geflüchteter schon in Afrikas Transitländern. Marokko, Algerien, Tunesien sowie Georgien und weitere Staaten sollen zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt werden. Abschiebehaftplätze sollen neu geschaffen, Abschiebehäftlinge mit Kriminellen zusammen untergebracht werden, wenn auch nur befristet.
Drei Jahre lang will Seehofer Flüchtlingen die Sozialhilfe vorenthalten und sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz versorgen. Bisher gilt eine Frist von 15 Monaten. Mit Sachleistungen sollen Betroffene abgespeist werden.
Seehofer hat sein Ministerium in den Dienst der CSU gestellt; den Masterplan zeichnete er als Parteivorsitzender - was bei der Opposition im Bundestag bereits zu erregten Nachfragen führt, weil sie darin einen Gesetzesverstoß sieht. Vor allem aber werden rechtliche Bedenken gegen den Masterplan laut. Gerade die geplante Rückführung schon an der Grenze verstoße gegen EU-Recht, weil sich Zuständigkeiten für Asylverfahren nicht nur aus der Erstregistrierung ergäben - so zählt auch die Priorität der Familienzusammenführung. Nach höchster Rechtsprechung ist zudem ein Widerspruchsrecht zu gewähren. Und unabweisbar gilt: EU-Recht bestimmt nationales Recht.
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