Industriefritten verkleidet als kanadisches Soulfood

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

In Metropolen wie Berlin ist die Gas-tro-Szene ein regelrechtes Schlachtfeld. Kohorten von Werbefuzzis und selbst ernannten »Trendscouts« jagen eine Sau nach der nächsten durch die Innenstadt. Wo gestern noch ein Italiener seine Pasta offerierte, kann heute schon ein veganes Café seinen ungenießbaren, aber angesagten Soja-Latte anbieten. Als neuer »Megatrend« scheint sich derzeit »Streetfood« zu etablieren, als eine Art Simulation des urbanen Lebens in Asien, Afrika und Teilen Amerikas.

Natürlich gibt es »Streetfood« auch in Berlin schon seit Jahrzehnten, die Wurst- und Dönerbuden-Dichte ist beeindruckend. Aber »Streetfood« klingt einfach cooler als der schnöde »Imbiss«, und so brüten die örtlichen Entrepreneure aller Couleur über immer neuen Geschäftsideen.

Einer hat sich jetzt die guten, alten Pommes vorgenommen und nach einer mobilen Startphase die halbgentrifizierte Moabiter Markthalle als Location ausgesucht. Nun gibt es auch in Moabit an jeder Ecke Pommesbuden, also musste eine Story her. Die Industriefritten heißen hier »The Poutine Kitchen«, und das sei eine »exklusive kanadische Streetfood-Spezialität«, weiß der Hallenmanager zu berichten. Der Betreiber der Frittenbude spricht in einem Video gar von seiner »Mission, kanadisches Soulfood nach Berlin zu bringen«.

Nun kann man ja viel erzählen, wenn der Tag lang ist, entscheidend ist auf dem Teller. An dem in die hinterste Ecke der Halle gequetschten Imbiss durften sich offenbar einige Stylisten ausprobieren. Blickfang ist ein ausrangierter VW-Bus, der als Küche fungiert. Man sitzt auf recht niedrigen Plastikhockern an Resopalplatten, die auf Blechfässern liegen. Voll Streetfood-Style eben.

Natürlich weisen die Poutine-Pommes gegenüber gängigen Standardvarianten (»Ketchup oder Mayo?«) eine Besonderheit auf. Denn hundsgewöhnliche Industrie-Fritten ohne Drumherum könnte man vermutlich nicht mal an vollkommen verblödete Food-Hipster für viel Geld als »kanadisches Soulfood« vermarkten. Daher werden die stilecht in einer Pappschale servierten Pommes mit »original kanadischen Cheese Curds« (hergestellt in der Uckermark) gemischt. Dabei handelt es sich um quietschige Käsewürfel, die in Konsistenz und Geschmack an Silikondichtmasse erinnern. Als Krönung dümpelt das Ganze in einer schwer definierbaren »Bratensoße« (würde gerne mal die Zutatenliste lesen) vor sich hin, die die ohnehin nicht sonderlich krossen Fritten allmählich aufweicht.

5,30 Euro muss man für diese Basisversion (»Québec classic«) berappen. Wer es etwas »edler« mag, kann gegen Aufpreis noch Schweinefleischfasern (werden heutzutage »Pulled Pork« genannt), Hühnchenstücke oder Schinken dazu ordern. Diverse Soßen und Würzmittel (Mayo, Ketchup, Chutney, Senf etc.) stehen in Plastikflaschen zur Verfügung, aber damit ist dieses kulinarische Grauen auch nicht mehr aufzuhübschen. Es schmeckt wirklich furchtbar! Und wenn mir wirklich mal nach Pommes zumute sein solle (was sehr selten vorkommt), dann lieber eine Ecke weiter, für 1,60 bei Erkan. Mit Mayo bitte.

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