- Wirtschaft und Umwelt
- Arbeitskosten in der EU
Ziemlich schlechte Löhne
Deutschland holt bei den Arbeitskosten etwas auf - der EU-Spitzenwert ist weit entfernt
Dass die Arbeitskosten in Deutschland höher seien als bei den Wettbewerbern, war einst das zweifelhafte Hauptargument der Befürworter einer neoliberalen Wende in der deutschen Wirtschaftspolitik. Sie setzten sich dennoch durch, die Folgen der vielen »moderaten« Lohnrunden in den 1990er und 2000er Jahren sowie des Aufbaus eines Niedriglohnsektors sind bis heute zu spüren. International gibt es viel Kritik daran, dass sich Deutschland dadurch einen unfairen Wettbewerbsvorteil und hohe Handelsbilanzüberschüsse verschaffen konnte. Seit einigen Jahren gibt es zwar wieder akzeptablere Lohnabschlüsse, doch der Rückstand wurde längst nicht aufgeholt: Im Zeitraum von 2001 (Start der Währungsunion) bis Ende 2017 verzeichnete die Bundesrepublik den drittgeringsten Anstieg bei den Arbeitskosten in der EU, wie es einer aktuellen Studie des In-stituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung heißt.
Trotz Konjunkturbooms und geringer Arbeitslosigkeit liegt Deutschland laut der Studie bei den Arbeitskosten (Summe aus Bruttolohn, Arbeitgeberanteilen an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung und als Arbeitskosten geltenden Steuern) für die private Wirtschaft nur im oberen Mittelfeld Westeuropas. Ende 2017 belegte man mit Arbeitskosten von 34,60 Euro pro Stunde den sechsten Platz unter den EU-Ländern, fast gleichauf mit Österreich. Ein Jahr zuvor lag die Bundesrepublik auf Position sieben. Mit nominal 2,8 Prozent lag der Zuwachs der deutschen Arbeitskosten 2017 zwar über dem Durchschnitt der EU (2,5 Prozent) und des Euroraums (2,0 Prozent) - im Gesamtzeitraum seit 2001 war der Anstieg mit 2,1 Prozent im Jahresmittel aber der drittniedrigste nach den Krisenländern Griechenland und Portugal. Spitzenreiter war Ende 2017 wieder Dänemark (43,60 Euro), gefolgt von Belgien und Schweden. Am Ende lagen Rumänien (6,10) und Bulgarien (4,90), die mit Steigerungsraten von zwölf Prozent aber immerhin etwas aufholten.
Die wichtigste IMK-Botschaft ist indes eine andere: Der wieder halbwegs ordentliche Lohnanstieg in den vergangenen Jahren hat Deutschland nicht wirtschaftlich geschwächt, wie es nach neoliberaler Lesart geschehen müsste. »Deutschland geht es wirtschaftlich besser, seit die Fixierung auf möglichst niedrige Arbeits- und Lohnstückkosten etwas nachgelassen hat«, sagte IMK-Direktor Gustav A. Horn bei der Vorstellung der Studie am Montag in Berlin. Das Einkommensplus stärke die Binnennachfrage als Säule der Konjunktur »in einem Umfeld, das weltwirtschaftlich alles andere als stabil ist«.
Die deutschen Unternehmen sind laut Horn international sehr wettbewerbsfähig, »aber das waren sie auch vor zehn bis 15 Jahren, als sich Wachstum und Beschäftigung weitaus schwächer entwickelten als heute«. Entscheidend für Wettbewerbsfähigkeit sind nämlich nicht die Arbeitskosten, wie es neoliberale Volkswirte behaupten, sondern die Lohnstückkosten, die die Lohnkosten je Produktionseinheit angeben und damit die Produktivität der jeweiligen Industrie berücksichtigen. In Deutschland stiegen diese seit Beginn der Währungsunion deutlich schwächer als in fast allen anderen Mitgliedsstaaten des Euroraums - zuletzt lagen sie laut IMK immer noch um knapp acht Prozentpunkte unter dem Durchschnitt. Dies habe zu den »ausgeprägten wirtschaftlichen Ungleichgewichten im Euroraum« beigetragen, schreiben die IMK-Autoren.
Nicht nur die Entwicklung bei den Lohnstückkosten lief in Deutschland anders als in anderen EU-Staaten - die Bundesrepublik zeichnet sich durch einen besonders hohen Unterschied bei den Arbeitskosten in der Industrie (40,20 Euro, Rang vier in der EU) und im privaten Dienstleistungssektor (31,50 Euro, Rang neun) aus. Von dem relativ niedrigen Niveau in den Dienstleistungsbranchen profitiert indes gerade das verarbeitende Gewerbe, das die Vorleistungen günstig einkaufen kann.
Mit einer weiteren Mär räumen die IMK-Ökonomen in ihrer Studie auf: Die deutschen Lohnnebenkosten (Sozialbeiträge, Steuern etc.) sind alles andere als hoch. Ihr Anteil an den Arbeitskosten lag zuletzt bei 22,6 Prozent - im EU-Durchschnitt waren es 24 Prozent.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.