- Kultur
- Lumières in Paris
Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit
Das Atelier des Lumières in Paris ehrt Gustav Klimt mit einer einzigartigen Lichtinstallation
Man wird umschmeichelt von Sonnenstrahlen, die sich alsbald in Tausende kleine güldene Punkte verwandeln, um sich schließlich zu einem zauberhaften Gemälde zu fügen. Dann spritzen und platschen um einen herum dicke Regentropfen auf graues Straßenpflaster, die Pfützen werden größer, unwillkürlich zieht man die Beine an, kauert sich zusammen. Und wird natürlich nicht nass. In der nächsten Minute sprießen Bäume aus dem Boden, recken sich mächtig und kräftig gen Himmel zu einem stattlichen Wald. Man glaubt, frisches Nadelgehölz zu erschnuppern. Doch so überraschend, wie die grünen Giganten erschienen sind, so rasch sind sie wieder verschwunden. Man liegt auf einer satt blühenden Sommerwiese. Wie schön!
Plötzlich rollt ein altes, schwarzes Automobil auf einen zu, auf den Trittbrettern Männer mit Schnauz und im Frack, ihre Hüte freudig schwenkend. Man will beiseite springen, auf dass man nicht unter die Räder kommt. Es ist nicht nötig. Die nächste Schrecksekunde: Riesige Maschinenräder tauchen aus dem Nichts auf, verzahnen sich ineinander, rotieren schneller und schneller. Ohrenbetäubender Lärm. Endlose Kolonnen von Arbeitern in grauer Kluft marschieren stumm in Richtung der am Horizont aufsteigenden Fabrikschornsteine.
Sodann schieben sich mit reicher Ornamentik verzierte Wände und mächtige Marmorsäulen vor das düster-deprimierende Bild. Unversehens steht man in einem prunkvollen Ballsaal, Walzer tanzende Paare in prachtvollen Gewändern umwirbeln einen - wilder und wilder, sodass einem fast schwindelig wird.
Industrialisierung, Gründerjahre, Snobismus, Massenelend ... Armut schafft Reichtum. Reichtum gebiert neue Armut. In diesem Teufelskreis wurden am Fin de Siècle wunderbare Werke geschaffen.
Es ist mucksmäuschenstill im Atelier des Lumières in der Rue Saint Maur 75 von Paris, unweit des Place Pigalle nebst Moulin Rouge. Selbst die Kleinsten sitzen still und brav auf dem Boden, beobachten mit aufgerissenen Augen und offenem Mund das verwirrende Geschehen um sie herum. Ein Kind versucht, eine Blume zu pflücken. Vergeblich. Alles nur Illusion. Raffinierte Täuschung. Zwei Mädchen wiegen sich im Dreivierteltakt.
Die faszinierenden Lichtinstallationen, erdacht und komponiert von Gianfranco Iannuzzi, Renato Gatto und Massimiliano Siccardi, verwirren und beglücken. Für die musikalische Untermalung zeichnete Luca Longobardi verantwortlich. Das Quartett ehrt mit seinen auf Wände und Boden projizierten historischen Aufnahmen und Kunstwerke verschmelzenden Szenen von Gustav Klimt, eines der bedeutendsten Repräsentanten des Wiener Jugendstils, dessen Tod sich kürzlich zum 100. Mal jährte.
Die weiträumige Black Box, die man mit einem leichten Schauern betritt, verwandelt sich in die Werkstatt eines Künstlers des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, der die Malerei revolutionierte und Gründungspräsidenten der Künstlergemeinschaft »Secession« war, deren Motto lautete: »Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.«
Der 1862 als zweites von sieben Kindern in bescheidenen Verhältnissen - sein Vater war Goldschmied und Kupferstecher - geborene Gustav Klimt beginnt bereits als 14-Jähriger an der Wiener Kunstgewerbeschule zu studieren. Sein Talent erregt rasch Aufmerksamkeit. Er darf das Burgtheater ausgestalten und hernach auch den Festsaal der Wiener Universität - mit Sujets aus der Medizin, Philosophie und Jurisprudenz ausschmücken. Die Professoren sind entsetzt ob seiner freizügigen Interpretationen. Doch Klimt ist kompromisslos. Und wird andernorts verstanden. Auf der Pariser Weltausstellung wird seine »Philosophie« mit einer Goldmedaille bedacht.
In seiner Heimat bleibt er unverstanden. »Grässlich« nennen Spießbürger seine Bilder, die zunehmend kühner werden und mit dem tradierten Frauenbild brechen. In der knapp einstündigen Präsentation im Atelier des Lumières fehlt nicht das »Junge Mädchen mit Horus«, im altägyptischen Stil auf die Leinwand gezaubert und die bis dato an Peter Rubens orientierte Darstellung des »Schönen Geschlechts« verwerfend. Eine Zeitgenossin schrieb: »Klimt hat die Wiener Frauen in einen idealen Frauentyp verwandelt: modern, mit knabenhafter Figur. Sie übten eine mysteriöse Faszination aus.«
Lebensnah, wie leibhaftig erscheinen auf der virtuellen Leinwand »Judith«, »Adele« und die »Dame mit Fächer«, stolz, selbstbewusst, sinnlich und geheimnisumwittert. Klimt bewunderte und liebte sie alle, schätzte Geist und Mysterium ebenso wie erotische Ausstrahlung. Und er bedachte sie mit viel Gold(farbe). In Südostasien ist es noch heute üblich, was man liebt, mit Gold zu beschenken, mit Goldplättchen zu bekleben (und zwar nicht nur Pagoden). Hat Klimt wie bei der Kunst der Pharaonen auch bewusst Anleihe bei der buddhistisch-hinduistischen genommen?
Wie auch immer, Klimt schockiert seine Mitmenschen ebenso mit schonungsloser Aufrichtigkeit, was etwa das Bild »Die drei Lebensalter der Frau« zeigt. Der Frauenbewunderer und Frauenversteher heiratet nicht, zeugt aber sechs Kinder. Sein Lebensweg ist von etlichen Skandalen begleitet. Selbst in der »Secession« büßt er an Ansehen und Respekt ein - in dem Maße, wie er zum beliebten und gefragten Künstler des Großbürgertums avanciert, wo er auch seine unsterblichen Modelle findet.
Vier Mal wird Klimt ob seines unkonventionellen Mal- und Lebensstils die verdiente Professur verwehrt. Die »feine« Wiener Gesellschaft ist trotz ihrer Vorliebe für Bälle, Musik, Opern und Theater sogar in ihrem künstlerischen Geschmack konservativ, obendrein moralisch verlogen. Erst am 6. Februar 1918, vier Monate vor seinem Tod, wagt es die Akademie der Bildenden Künste, in einem schier unglaublichen »Widerstandsakt« gegen die Haltung des österreichischen Kulturministeriums Klimt zum Ehrenpräsidenten zu ernennen. Man darf vermuten, dass die lebenslange Verweigerung der dem Künstler gebührenden gesellschaftlichen Anerkennung durch den latenten Antisemitismus im Habsburgerreich genährt worden ist. Viele Auftraggeber und Freunde von Klimt waren Juden.
Unter den Werken von Klimt, die das Atelier des Lumières in der fulminanten Zusammenschau zeigt, gehört neben dem »Buchenwald« und dem »Garten mit Sonnenblumen« selbstredend der »Kuss«, sein berühmtestes Gemälde, 1907/08 geschaffen. Nicht minder beeindruckend ist die von denselben Installationskünstlern am selben Ort präsentierte Szenografie mit Werken von Friedensreich Hundertwasser, Landsmann und Zeitgenosse von Klimt und von diesem maßgeblich inspiriert. Der Maler und Architekt, der eigentlich Friedrich Stowasser hieß, wäre im Dezember dieses Jahres 90 geworden.
»Gustav Klimt«, bis zum 11. November im Atelier des Lumières, 38 Rue Saint Maur, Paris
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