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«Ein interessantes Land, trotz allem»

Neuerscheinungen zum 85. Geburtstag von Brigitte Reimann

  • Holger Teschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Obgleich ich weiß, daß ich nie ein guter Schriftsteller werde, wie ich es früher erträumte, möchte ich doch noch dieses und vielleicht ein nächstes Buch schreiben. Man darf doch nicht umsonst auf der Welt gewesen sein, verstehst Du?« So fragte Brigitte Reimann ihren Bruder Ludwig in einem Brief im Januar 1972.

Das Buch, das sie noch schreiben wollte, war ihr Roman »Franziska Linkerhand«, an dem sie seit zehn Jahren arbeitete und der erst nach ihrem Tod 1974 erscheinen sollte. Die Geschichte der jungen Architektin, für die Städte im Sozialismus Orte mit menschlichem Antlitz sein sollten, stellte die Reimann endgültig in eine Reihe mit Christa Wolf und anderen kritischen DDR-Autorinnen.

Ihre Briefe an den in Hamburg lebenden Bruder, der noch vor dem Bau der Mauer die DDR verlassen hatte sowie dessen Antworten gehören zu den interessantesten Dokumenten dieser »Geschwisterbriefe«, die Angela Drescher und Heide Hampel jetzt aus dem Nachlass der Autorin herausgegeben haben.

Aber auch ihre Briefe an die Eltern und die Familienrundschreiben des Vaters geben einen aufschlussreichen Einblick in Leben und Schreiben Brigitte Reimanns und ergänzen vorzüglich die bisherigen Tagebuch- und Briefeditionen. Sie sind Zeitdokumente aus den Jahren zwischen 1960 und 1974, die ebenso persönlich wie politisch kontrovers von Hoffnungen und Enttäuschungen auf beiden Seiten erzählen. Sie berichten aber auch vom fortgesetzten Versuch, trotz aller Meinungsverschiedenheiten und Verletzungen den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.

Mit Offenheit, Zuneigung und Humor tauschen die Geschwister Werkausgaben aus der DDR gegen Jazz-und Bluesplatten aus den USA, streiten leidenschaftlich über den Prager Frühling, die Kulturpolitik der SED und immer wieder über Bücher. Sie freuen sich über familiären Nachwuchs und gemeinsame Begegnungen, die dank Brigitte Reimanns Beziehungen zu hohen Funktionären im Staatsrat wieder möglich werden. Sie zeigen aber auch die zunehmende Entfremdung zwischen der zu Anfang hochgelobten Autorin und den Partei- und Literaturfunktionären, die ihre Kritik nur als »Angriffe auf den Sozialismus« begreifen können.

Selbst als Brigitte Reimann schon von ihrer Krebserkrankung gezeichnet und von Zweifeln zerrissen ist, gibt sie den Kampf um ihr Buch nicht auf.

Kurz vor ihrem Tod schreibt sie an ihren Bruder: »Ein interessantes Land, trotz allem und es lohnt sich wieder, sich zu schlagen: für das, was wir uns einmal unter Sozialismus vorgestellt haben.« Wie und woran diese Vorstellungen scheiterten, daran erinnert dieser Briefwechsel auf eindrucksvolle Weise.

Ebenso politisch wie literarisch interessant ist der Briefwechsel, den Brigitte Reimann zwischen 1955 und 1972 mit ihrem Kollegen Wolfgang Schreyer führte. Die beiden lernen sich 1953 in der Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren in Magdeburg kennen. Dem sechs Jahre älteren Schreyer gelingt schon ein Jahr später mit seinem Tatsachen-Roman »Unternehmen Thunderstorm« der Durchbruch. Er wird mit seinen Kriminalromanen und Polit-Thrillern zu einem der erfolgreichsten Autoren der DDR und erreicht Millionenauflagen.

Dabei setzt er sich mit Zivilcourage und List für Kolleginnen und Kollegen ein, die bei der SED in Ungnade gefallen sind. Er hilft Brigitte Reimann, die 1957 eine Verpflichtungserklärung für die Staatssicherheit unterschrieben hatte, um ihren Mann vor dem Gefängnis zu bewahren, bei der Dekonspiration und gegen die darauf folgenden Erpressungsversuche. Dieser mutige Schritt verbindet beide bis zu Reimanns frühem Tod, wovon ihr Briefwechsel ein anrührendes Zeugnis ablegt.

Die von Carsten Gansel und Kristina Stella ebenfalls aus dem Nachlass herausgegebenen Briefe widerlegen die pauschalen Urteile über »staatsnahe« DDR-Schriftsteller auf überzeugende Weise. »Ich möchte so gern ein Held sein, aber dazu reicht’s noch nicht«, schreibt Brigitte Reimann im September 1968 an Wolfgang Schreyer. Und der antwortet: »Schreib Dein Buch zuende!«

Das tut sie trotz aller Rückschläge und Schmerzen bis zum letzten Lebenstag. »Franziska Linkerhand« gehört heute zum Kanon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Wer wissen oder sich erinnern will, wie Frauen in der DDR der sechziger und siebziger Jahre gelebt und gekämpft haben, der muss diesen Roman lesen - oder wiederlesen.

Wer sich aus Anlass ihres 85. Geburtstages (21. Juli) auf die Spuren der Autorin begeben möchte, dem sei Matthias Aumüllers Broschüre »Brigitte Reimann in Neubrandenburg« empfohlen, die neben vielen Abbildungen auch einen biographischen und einen stadtgeschichtlichen Überblick sowie eine gute Literaturauswahl bietet. In Neubrandenburg stehen noch immer die Plattenbausiedlungen, in denen Franziska Linkerhand für menschenwürdigeres Wohnen gestritten hat, aber auch das Literaturhaus, das heute Brigitte Reimanns Namen trägt.

Brigitte Reimann Post vom schwarzen Schaf. Geschwisterbriefe. Herausgegeben von Heide Hampel und Angela Drescher. Aufbau Verlag, 384 S., geb., 24 €. Brigitte Reimann / Wolfgang Schreyer: Ich möchte so gern ein Held sein. Der Briefwechsel Herausgegeben von Carsten Gansel und Kristina Stella. Okapi-Verlag, 540 S., geb., 25 €. Matthias Aumüller: Brigitte Reimann in Neubrandenburg. Morio Verlag, 72 S., br., 7,95 €.

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