- Politik
- Geschächtetes Fleisch
»Judenliste« in Niederösterreich?
FPÖ könnte Registrierung orthodoxer Juden geplant haben / Erste Pläne stammten von der Sozialdemokratie
Menschen, die koscheres Fleisch kaufen wollen, sollen sich künftig im österreichischen Bundesland Niederösterreich registrieren lassen müssen. Das legt der Entwurf eines neuen Erlasses nahe. Verantwortlich dafür ist FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl. Er ist in der ÖVP-FPÖ-Koalition in Niederösterreich für Tierschutz und geflüchtete Menschen zuständig.
Laut Informationen der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien ist in diesem Erlass vorgesehen, dass künftig nur noch Jüdinnen und Juden koscheres Fleisch kaufen dürfen, die zuvor namentlich erfasst wurden und die nachweisen könnten, dass sie immer koscher essen. Das berichtet die »Wiener Zeitung«. Seitens der zuständigen Abteilung der niederösterreichischen Landesregierung werde argumentiert, dass so auch zwischen religiösen und nicht so religiösen Juden unterschieden werden solle. Landesrat Waldhäusl bestätigt die Existenz eines solchen Erlasses mit den Worten: »Aus der Sicht des Tierschutzes wäre Schächten für mich generell abzulehnen.«
In der Praxis würde eine solche Liste eine namentliche Erfassung aller orthodox lebenden Juden in Niederösterreich bedeuten. Gleichzeitig könnten nicht-koscher lebende Menschen auch keine Gäste mehr einladen, die nur koscher essen. Auch die Möglichkeit, koscheres Essen ausschließlich an Feiertagen zu konsumieren, wäre nicht mehr möglich.
Zusätzlich will Waldhäusl verbieten, dass geschächtetes Fleisch in andere Bundesländer exportiert wird. Niederösterreich umschließt die Bundeshauptstadt Wien, laut FPÖ-Waldhäusl werde geprüft, »ob der Bedarf des Fleisches an den Wohnsitz gekoppelt werden kann. Wir sind in Niederösterreich nicht dazu da, um den Wienern das geschächtete Fleisch zur Verfügung zu stellen.« Damit müsste möglicherweise sogar die Menge des gekauften Fleisches erfasst werden, um eine Weitergabe zu unterbinden.
Erste Pläne stammen von der SPÖ
Das Vorhaben der FPÖ hat in Österreich für Aufregung gesorgt. Im Zuge der Diskussion wurde bekannt, dass der ursprüngliche Plan für einen verschärften Zugang zu geschächtetem Fleisch von der Sozialdemokratie stammt. In einem Schreiben vom 20. September 2017 hatte der damals zuständige Landesrat Maurice Androsch von der SPÖ alle Behörden aufgefordert, das Schächten einzudämmen. Androsch sitzt inzwischen für die SPÖ im Parlament.
Vorzulegen sei laut Androschs Ansinnen ein Mitgliederverzeichnis, eine Vorlage eines Meldezettels, auf dem das Religionsbekenntnis enthalten ist, oder andere Dokumente, aus denen die Religionszugehörigkeit zweifelsfrei hervorginge. Die »Presse« zitiert aus dem Schreiben: »Der Bewilligungswerber (Antragsteller) muss einer Religionsgemeinschaft (Strömung) angehören, für welche das Schächten als Teil der Religionsausübung anzusehen ist. (...)«.
In einer Aussendung legt der Sozialdemokrat nun Wert darauf, dass es bei seiner Liste primär um Personen gegangen sei, die selbst Schlachtungen durchführen. Allerdings findet sich laut Presse im ursprünglichen Schreiben des SPÖ-Politikers auch die Forderung eines Nachweises darüber, dass »zwingende religiöse Ge- und Verbote zum Konsum des Fleisches vorliegen würden.« Damit müssten die Kunden also sehr wohl auf ihre religiöse Zugehörigkeit überprüft werden.
Die öffentliche Aufregung hat nun für einen Rückzieher gesorgt. Die ÖVP, die in Niederösterreich den Landeshauptmann stellt, hat inzwischen zugesichert, dass niemand registriert werde, der koscheres Fleisch kaufen wolle. Ziel der Einschränkung des Schächtens könnte übrigens gar nicht die jüdische Glaubensgemeinschaft gewesen sein. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass durch die Erfassung vor allem der Zugang von Menschen mit muslimischem Glauben zu geschächtetem Fleisch erschwert werden sollte. Das würde auch weit besser zu den aktuellen politischen Feindbildern in Österreich passen.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!