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Identitätsbasteleien
Über die Klassengestik der linksradikalen Klimaschutzbewegung
Wenn sich Tausende zum Protest versammeln, zu einem Unterfangen, das Adrenalin freisetzt, Ängste, Romantik und sonstige große Gefühle, ist es angebracht, auf die Gruppendynamik zu achten. Allzu leicht setzen sich sonst informelle Hierarchien in Kraft, schwingen sich Wort- und Gruppenführer auf, wird bewegungskulturelles Kapital in handfestere Währung getauscht, bis hin zu Ritualen von Dominanz, Herabsetzung und Belästigung. Besonders virulent ist das, wenn es nicht um eine Demo geht, sondern um Residenz, etwa in Protestcamps.
Dem trägt etwa das Klimacamp Rheinland Rechnung. Um auch das Protestklima zu schützen, publizierte die Organisation im vergangenen Jahr eine Richtlinie für »Awareness/Achtsamkeit«: »Weiß-sein, cis-Gender sowie Heteronormativität«, heißt es dort, »werden das Camp stark prägen, Wissenshierarchien bestehen«. Erwartbar würden »Menschen Workshops verlassen, weil Sprache und/oder dominantes Redeverhalten die Teilnahme für sie unmöglich macht oder ihnen Alltagsrassismen, -sexismen, etc. begegnen«. Dem wolle man mit einem Rahmen entgegenwirken, innerhalb dessen »alle in ihren*_seinen* Bedürfnissen« gesehen werden könnten, der es ermögliche, »unsere Privilegien zu reflektieren und einen sensibilisierten Umgang zu üben«, sodass »wir frei an unseren Identitäten basteln können«.
Zwar fehlt in der Liste, die auch Sanktionen in Form von Einladungen zu Awarenessgesprächen andeutet, nicht die Aufforderung, »Fachwörter und Szene-Codes« zu erklären, »um alle in Gespräche einzubeziehen«. Doch wird dieses Postulat schon durch das Format konterkariert, in der auf der Webseite etwa »cis-Gender« erklärt wird: in einem umfänglichen Fußnotenapparat.
Eine Sprache, die Inklusion größtmöglicher Diversität fördern soll, wirkt nach innen homogenisierend und nach außen exklusiv. Sinnbildlich dafür steht jener Fußnotenapparat, der schon als Textformat nicht-akademische Menschen erschreckt. Und gibt es nicht wie auch immer orientierte Leute, die mit der dort gegebenen tautologischen Definition - cis-Gender sind Menschen, die sich »nicht als trans*, inter* und/oder nicht-binär verorten« - nichts anfangen können? Wo der Text strukturelle Unterdrückung aufdecken will, strotzt er selbst vor symbolischer Gewalt. Er stellt sicher, dass die Gymnasial- oder Hochschulquote bei um die 95 Prozent liegen dürfte. Ausgeschlossen ist gerade die Gruppe, an deren »Identität« hier besonders nachhaltig »gebastelt« wird, ohne dass sie mitwirken dürfte: große Teile derjenigen (gleich welchen Hintergrunds), die oder deren Eltern in den Berg- und Kraftwerken arbeiten, die man so schnell wie möglich dichtmachen will.
Hier soll nun nicht der Trump gegeben werden - weder in einer Abrede der Destruktivität von Kohlendioxid, noch in seiner Abwertung von Minderheiten. Mit einem »Arbeitsplatzargument« lässt sich fast beliebig Kritik plattmachen. Es gibt Gruppen, denen es schlechter geht als bisher den Bergleuten - und jener Jargon ist keine Spezialität der Klimabewegung. Doch zeigen sich im Zusammentreffen von Intersektionalismus und Klimaschutz geradezu laborhaft Probleme, die zuletzt wieder die Linke umtreiben: die Bezüge zwischen akademischem Radikalismus und Arbeiterschaft.
Das Unbehagen der universitären Radikalen an der arbeiterlichen Kultur hat Geschichte. Sie beginnt mit antiautoritären Kommunarden und Spontis, die sich gegen »kleinbürgerliche« Kultur wenden. In der Dekade des Kleinstparteienradikalismus nach 1970 wird daraus eine romantische Verklärung eines »antibürgerlichen« Proletariats, der indes dessen reale konsumistische »Korrumpierung« gegenübersteht. Die Enttäuschung dieses Phantom-Proletkults schlägt in den 1980ern in eine linksalternative Bewegungssprache um, in der »Proll« ganz selbstverständlich zum Schimpfwort wird. Und im zu wenig begriffenen »progressiven Neoliberalismus« nach 1990 verdichtet sich in einer zunehmend kulturalisierten Linken eine Haltung, Alltagsästhetiken und Lebensweisen der Normalarbeiterschicht gewissermaßen zur herrschenden Kultur zu erklären, obwohl dieselbe zeitgleich tatsächlich immer stärker unter Druck gerät: Nirgends gebe es so viel Rassismus und so festgefahrene Geschlechterrollen. Heute sind wir an einem Punkt, an dem alles, was diese Kultur ausmacht, akademischen Linken als untragbar gilt - vom Arbeitsethos über die Familienplanung bis zu Pauschalreise und Grillgut.
In der Klimabewegung verdeutlicht sich diese Verschiebung wie auf einer Bühne, weil sich ihr Aktivismus direkt gegen die Grundlage eines Milieus wendet, das einmal Avantgarde der Arbeiterkultur war und - zum Beispiel - wesentlich an der Durchsetzung von Organisationsfreiheit und Achtstundentag beteiligt. Heute aber ist, wie Hannes Lindenberg und Tadzio Müller 2016 in der Zeitschrift »Luxemburg« schrieben, diese Schicht »unter den gegebenen Bedingungen faktisch« der »Feind«.
Überdeutlich wurde das am Rande der Aktionen von »Ende Gelände« gegen den Braunkohletagebau in der Lausitz im Sommer 2016, als sich in Schwarze Pumpe etwa 1000 Menschen den Klimaschützern entgegenstellten und Bergmannslieder anstimmten. Während Lindberg und Müller das offenkundige »Gerechtigkeitsdilemma« ansprechen, das sich in dieser Konfrontation zeigt, gewann man in sozialen Medien seinerzeit den Eindruck, als wären viele Aktivisten geradezu erleichtert, dass sich darunter auch Rechtsradikale gemischt hatten: So ließ sich jenes Dilemma zwischen schnellstmöglichem Ausstieg und absehbarer sozialer Verheerung der Region in verachtungsvollen Tweets über »Kohlenazis« entsorgen: Die Arbeiterinnen und Kumpels wurden, wie es jener neue linke Jargon ausdrücken würde, zu »Anderen« gemacht, die keine Empathie verdienen.
Die emotionalen Gewinne dieses »Othering« demonstriert ein Text über die selbe Begebenheit, den eine Zeitung druckte, deren Kürzel einmal für »Arbeiterkampf« stand: Hier schreibt Thalestris A. Zetkin Sätze wie: »Wenn die 20.000 deutschen Kumpel_innen ihre Arbeit auch nur für weitere zehn Jahre behalten dürfen, söffen wesentlich mehr als 20.000 Menschen im globalen Süden ab, für die eine Anmeldung beim Arbeitsamt Cottbus und Köln ein unerreichbarer Luxus wäre.«
Der Autor fordert, man dürfe nicht »die lokale soziale Frage gegen die globale« ausspielen - und nennt doch jeden Ausgleichsversuch eine »national bornierte Antwort auf die Frage des Jahrhunderts«. Bezüglich der »überschaubaren lokalen sozialen Frage« werde »die Lösung wohl sein, den Regionen einfach genügend Geld zu geben« - ob das dann wirklich so einfach ist? Ausgestattet mit dem wissenschaftlichen Mandat, ein Komplettausstieg nach 2025 sei unvertretbar, schwingt sich der Text zu einem gesinnungsethischen Rigorismus auf, der an den Gestus einer älteren Generation erinnert, die sich zu planieren berechtigt sah, was der wissenschaftlichen Weltanschauung entgegenstand. Am Ende dann die Freud’sche Pointe: »There is no alternative to climate justice« - tatsächlich mit Bezug auf Maggie Thatcher, die unter der Parole der Alternativlosigkeit ihren Großangriff auf die Arbeiterklasse startete, bei dem Bergleute in erster Linie standen.
Solche Haltungen stützen sich auf die allgemeine Desavouierung von Arbeitermilieus in der Linken und bauen sie zugleich immer weiter auf. Auch wenn die bundesweit 60.000 Personen, die indirekt und direkt in der Braunkohle arbeiten, nur 0,2 Prozent der Beschäftigten stellen, zeigt sich an ihrem Beispiel exemplarisch, wie die Linke den Bezug zu eben diesen Schichten verliert.
Thalestris A. Zetkin schreibt, er sei »Zeuge eines (friedlich endenden) Streitgesprächs zwischen um ihre Arbeitsplätze besorgten Lokalnazis und einem Klimainternationalisten« geworden: »Auf die aus dem Klimawandel resultierenden Migrationsbewegungen angesprochen« hätten erstere geantwortet, damit würden sie schon fertig. In einem von »Wissenshierarchie« geprägten Sprechakt wird also dem Arbeitsplatznazi erläutert, sein bornierter Wunsch, kein Sozialfall zu werden, könne im Angesicht des Weltschicksals nicht berücksichtigt werden - wobei man ihm eine Konkurrenz mit Migranten förmlich in den Mund legt. Will man da solidarische Haltungen erwarten?
Dieses Gespräch (immerhin gab es eins) zeigt, wie heute ganz allgemein an der »Identität« von Arbeitermilieus »gebastelt« wird: Es ist nicht mehr so, dass sich eine Arbeiterklasse im optimistischen Bewusstsein ihrer anwachsenden Macht in starken eigenen Apparaten erfindet. Stattdessen bildet sich ein einigendes Sentiment, wenn überhaupt, in ständigen Rückzugsgefechten, im Angesicht erodierender Strukturen, pessimistischer Szenarien und anhand abwertender Zuschreibungen, die noch dazu nicht selten von denjenigen ausgehen, die sich ihre alten Werte auf die Fahnen schreiben: Es kann aus dieser Negativität kaum Positives wachsen.
Es ist daher im Allgemeinen fatal, wenn in der Linken vor einem neuen »Proletkult« gewarnt wird, sobald so etwas wie Augenhöhe gegenüber diesen Milieus gefordert wird; stattdessen wäre es angebracht, auch diesbezüglich »unsere Privilegien zu reflektieren«. Und im besonderen Fall der Klimabewegung wäre wohl Radikalität nicht nur in Jahreszahlen zu messen, sondern in der Bereitschaft, für konkrete und realistische Perspektiven eines Danach zu streiten, statt sich in Ignoranz oder technokratische Floskeln von »Strukturwandel« und »Übergangszeit« zu flüchten. Hier wäre nicht nur Fantasie zu entwickeln, sondern auch gemeinsame Praxis. Das Gegenteil also dessen, was jener Thalestris A. Zetkin als Schlussakkord aufbietet, nämlich die allgemeine Forderung nach einer Aufhebung des Kapitalismus.
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