Vorsorge mit Abstrichen
Das Screening auf Darmkrebs erfolgt ab Juli 2019 in einem organisierten Einladungsverfahren
Der Gemeinsame Bundesausschuss für das Gesundheitswesen (G-BA) ist das oberste Organ der Selbstverwaltung in diesem Bereich. Das heißt, hier können und sollen Vertreter von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen klären, welche medizinischen Leistungen die gesetzlich Versicherten erhalten. Jedoch steht der G-BA immer wieder in der Kritik, zu schwerfällig zu sein und angesichts kaum überwindlicher Interessenkonflikte nicht zu den besten Ergebnissen zu kommen - und wenn überhaupt, dann mit großer Zeitverzögerung. Weiteres Manko: Patientenvertreter können zwar Anträge stellen und werden auch gehört, sie sind jedoch von der Beschlussfassung ausgeschlossen. Das alles wurde vom Gesetzgeber so festgelegt.
So überrascht es nicht, dass Beschlüsse des G-BA häufig Kritik auslösen, vor allem von Seiten der Mediziner und Patientenvertreter. Eine Entscheidung aus der letzten Woche kann als Beispiel dienen. Demnach soll das Screening auf Darmkrebs künftig als organisiertes Programm erfolgen. Das heißt, dass es künftig für bestimmte Altersgruppen regelmäßige Einladungen zu den Tests gibt, verbunden mit Informationen darüber sowie über Datenschutz und Widerspruchsrechte. Mit dem Beschluss erfüllt der G-BA endlich einen Auftrag des Gesetzgebers aus dem Jahr 2013, der eigentlich schon bis Ende April 2016 erledigt sein sollte. Bis zum ersten Einladungsschreiben wird es aber noch dauern: Es soll voraussichtlicher erst in knapp einem Jahr, am 1. Juli 2019 versandt werden.
Was umfasst die neue Regelung nun im Detail? Wie bisher können Tests auf nicht sichtbares Blut im Stuhl und Darmspiegelungen in Anspruch genommen werden. Das gilt für Frauen und Männer, die im Alter von 50 bis 54 Jahren jährlich einen immunologischen Test (iFOBT - fecal occult blood test) auf nicht sichtbare Blutspuren im Stuhl durchführen lassen können. Neu ist, dass Männer jetzt schon ab 50 Jahren einen Anspruch auf eine Darmspiegelung alle zehn Jahre haben. Wenn sie diese Früherkennungskoloskopie aber erst ab 65 Jahren wahrnehmen, ist nur eine erstattungsfähig. Bei Frauen sieht der Anspruch ähnlich aus, setzt aber erst im Alter von 55 Jahren ein. Wer sich noch keiner Früherkennungskoloskopie unterziehen wollte, hat ab 55 Jahren Anspruch auf eine iFOBT nur alle zwei Jahre. Kritiker halten letztere Entscheidung für völlig unlogisch, da gerade in diesem Lebensalter die Darmkrebshäufigkeit am stärksten ansteigt.
Sollte der Stuhltest auffällig sein, besteht wiederum Anspruch auf eine Abklärungskoloskopie. Dies alles ist jedoch noch Zukunftsmusik. Bis zum Juli 2019 gilt weiter die jetzige Krebsfrüherkennungsrichtlinie, in der beiden Geschlechtern die Vorsorgekoloskopie erst ab 55 Jahren zugestanden wurde.
Von der neuen Regelung ausgenommen sind Patienten mit einer familiären Vorgeschichte in Sachen Darmkrebs. Wenn nahe Verwandte bereits an Darmkrebs erkrankten, sind häufigere Kontrollen und Untersuchungen angeraten und abrechenbar. Einen Hinweis darauf gibt es in dem künftigen Einladungsschreiben jedoch nicht, was für die Patientenvertretung im G-BA ärgerlich ist, denn hier werde versäumt, genau diese Gruppe für ihre besondere Gefährdung zu sensibilisieren. Die besteht etwa darin, dass bei einer Krebserkrankung vor dem Erreichen des 60. Lebensjahres alle Verwandten ersten Grades ein zwei- bis vierfach erhöhtes Risiko für die Tumorerkrankung haben. Nach einer Studie aus dem Jahr 2008 liegt dieses familiäre Risiko in Deutschland bei drei Millionen Menschen zwischen 30 und 54 Jahren vor.
Patientenvertreterin Cordula Mühr vom Sozialverband Deutschland Bundesverband e.V. vertritt die Meinung, dass »alle aktuellen Veröffentlichungen darauf hinweisen, dass Darmkrebs häufiger auch bei jüngeren Menschen auftritt«. Deshalb habe man sich in den nun fünf Jahre laufenden Beratungen zum Thema immer für eine Senkung des Anspruchsalters eingesetzt, deutlich unter die 50-Jahres-Grenze. Jedoch sind die Patientenvertreter im G-BA eben nur antrags-, aber nicht stimmberechtigt. Auch das Netzwerk gegen Darmkrebs e.V. wies kürzlich darauf hin, dass Darmkrebs in Deutschland ebenfalls zunehmend bei Menschen unter 50 Jahren diagnostiziert wird und zum Tode führt. Das Robert-Koch-Institut schätzt ihren Anteil an den insgesamt an Darmkrebs Erkrankten auf fünf bis sechs Prozent. Andere Daten aus der Bundesrepublik liegen dazu nicht vor, aus anderen Ländern jedoch schon. In den USA gibt es bereits mehrere wissenschaftliche Studien zum Thema, dort wird der Anteil an den Neuerkrankungen auf bis zu 11 Prozent beziffert. Nach einer der Untersuchungen hat sich das Risiko für Rektumkrebs für die 1990 Geborenen gegenüber den 1950 Geborenen vervierfacht, dass für Darmkrebs hat sich verdoppelt. Zudem sei fast ein Drittel der Patienten mit Rektumkrebs jünger als 55 Jahre. Das Rektum ist ein etwa 15 Zentimeter langer Abschnitt am Dickdarmende.
Aber auch das Netzwerk gegen Darmkrebs sieht die Zahl der Betroffenen unter 50 Jahren als zu klein an, um für sie ein Screeningprogramm einzuführen. Deshalb fordert es, dass die Familienanamnese häufiger durchgeführt wird, also alle Patienten ab spätestens 25 Jahren dazu befragt werden. Außerdem sollte es einen Forschungsschwerpunkt dazu geben, ebenso wie das Thema Darmkrebs unter 50 in die Lehrpläne der medizinischen Ausbildung integriert werden sollte.
Einer weiteren Empfehlung von Fachverbänden folgte der G-BA nicht: Dem Einladungsschreiben zur Darmkrebsvorsorge hätte gleich ein immunologischer Teststreifen und ein Rückumschlag beigelegt werden sollen. In den Niederlanden wurde mit dieser Strategie eine Teilnahmerate von über 70 Prozent erreicht.
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