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Ein Schuss fiel nicht
Im Konzerthaus Berlin gab es ein Festkonzert zum 100. Geburtstag von Nelson Mandela
Die Rede ging um die Welt. »Ich habe gegen weiße Vorherrschaft gekämpft, und ich habe gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Ich habe das Ideal einer demokratischen und freien Gesellschaft in Ehren gehalten, in der alle Menschen harmonisch und mit gleichen Möglichkeiten zusammenleben werden. Aber, euer Ehren, wenn es sein muss, ist dies ein Ideal, für das ich bereit bin zu sterben.« Die Passage entstammt den letzten Worten, die Nelson Mandela im Rivonia-Prozess als Angeklagter sagen durfte. Mandela saß 27 Jahre in Haft. Nun beging die Welt wirklicher Freiheit, nicht die der verlogenen Schwätzer über Freiheit und Gewaltlosigkeit, aufrichtig seinen 100. Geburtstag.
Zu Ehren des Jubilars zelebriert wurde ein »Concert for he Government oft the Federal Republic of Germany«, ein Staatskonzert (wann hatte es derlei gegeben?), so von dem jungen MIAGI Youth Orchestra unter Jungdirigent Duncan Ward aus Südafrika selbst tituliert, das den Abend zusammen mit dem afrikanischen Vokalsextett Just 6 gestaltete. Die Truppe ist in diesen Wochen auf Tournee durch halb Westeuropa gewesen und beschloss dieselbe vorgestern im Konzerthaus Berlin.
Eindrucksvoll der Klangkörper aus bunt gekleideten Mädchen und Jungen. Groß besetzt die Holz- und Blechbläsergruppe sowie die Schlagzeuge, die Musiker allesamt Nachfahren der Sklaven und Sklavenhalter, Nachfahren der Demütigenden und Gedemütigten im einst rassistischen Apartheidstaat Südafrika. Kapitalismus, Elend, Mangel und Rassismus bestehen bis heute fort. Trotz der Aufrufe Mandelas zur Versöhnung bekämpfen sich auch in der Gegenwart Täter- und Opfergruppen.
Die Musik tröstet darüber nicht hinweg, wie viel Lebensfreude sie auch mitführt. Aber die ist ungeheuer wichtig, Lebensfreude und gerechter Kampf ergänzen einander. Das Konzert wuchs sich tatsächlich zu einer Kundgebung der Lebensfreude aus, bei der alle aufgefordert waren mitzutun.
Großen Eindruck machten vor allem die ihre Gesänge vollkommen durchrhythmisierenden Just 6. Ihre heimatlichen Gesänge riefen mehrfach Standing Ovations hervor. Hintersinnig: Sie eröffneten ihren Programmteil mit der deutschen Hymne auf Joseph Haydns berühmte Streichquartetttakte, deutsch gesungen, keineswegs der Konvention eines deutschen Staatskonzerts würdig, und sangen aufs Fremdeste Heines Lied von der »Loreley« in der Friedrich-Silcher-Vertonung. Das klang so schön, so anders, so unspießig, dass vor allem das zahlreich anwesende junge Publikum im Saal aufschrie vor Glück.
Der Abend geriet gleichwohl mehr als zwiespältig. Beethovens »Egmont«-Ouvertüre eröffnete ihn. Hochanständig die Wiedergabe, leicht, klar, jugendlich. Die Generalpause vor dem kurzen Adagio wenige Takte vor Schluss wurde wunderbar herausgespielt, obwohl die doch real gar nicht erklingt.
Dann offiziöses Tamtam. Das Bundesfinanzministerium und das Außenamt führten hier die Feder. Anwesend waren Minister, Senatoren, Sponsoren, untere Chargen aus Ministerien und Parlamenten, Vertreter des Abgeordnetenhauses von Berlin und aus dem Kulturbetrieb. Außenamtsminister Heiko Maaß, maßgeblicher Wortführer, was das gegenwärtige Feindbild Russland angeht, gab sich musikfreundlich und würdigte die Leistungen Nelson Mandelas beim Aufbau eines demokratischen, freien Südafrika. Sein Text im Programmheft beginnt allerdings mit einer die Figur Mandela beschämenden Lüge: »Der Protest, den er anführte, war friedlich.« Eben nicht. Mandela saß nicht ein, weil er sich wie Mahatma Gandhi und sein Anhang mit den Massen hingesetzt und friedlich protestiert hat, sondern weil er mit der Waffe in der Hand, nach dem Vorbild der kubanischen Revolution, die Apartheid abzuschaffen suchte. Fidel Castro, der seinen Kampf unterstützte, nannte er seinen Bruder. Das tilgen die wehrhaften, kriegerischen Demokraten heute einfach. Daran soll nicht erinnert werden, und auch nicht daran, dass die Bundesrepublik seinerzeit das südafrikanische Apartheidregime politisch, wirtschaftlich und militärisch unterstützt hat. Die Worte des Bundesministers für Finanzen im Programmheft dienen genauso der Überzuckerung der Figur, ihrer Eingemeindung in den ewig wiederholten Kanon von »Demokratie« und »Freiheit«. Nirgends ist der Gedanke präsent, dass bewaffneter Widerstand gegen unmenschliche Ordnungen legitim ist, solange die friedlichen Mittel nicht ausreichen, die Verhältnisse zu überwinden. Das bewiesen allein die Widerstandsbewegungen in Ländern während der Naziokkupation.
All den schmierigen, verlogenen Worten schlug das nachfolgende Konzert ins Gesicht. Duncan Wards Komposition »Rainbow Beats«, eine »Suite zu 100 Jahre Nelson Mandela«, die am Schluss erklang, sorgte dafür. Das frisch komponierte Werk, es ist eigentlich keines im strengen Sinn, erhitzte geradezu den Saal. Schritt um Schritt fügen sich disparate Teile aneinander. Fast stoisch beginnt das Orchester. Zunächst erscheint ein feingewebter, folkloristisch durchwirkter Klangteppich, in den jeder Spieler sich mit eigenen Farben und Akzenten einschreiben kann. Alsbald gesellen sich die Just 6 hinzu und treiben mit Rhythmen und Gebärden den emotiven Spiegel der Menge in die Höhe. Klangoptionen des Jazz, Blues, Folk treiben dem Orchestergeschehen zu. Plötzlich erheben sich die Orchestermusiker, beginnen zu tanzen, vorne, hinten, seitwärts, lachen und singen. Die Rhythmen überschlagen sich, immer mehr Stimmen schießen ins Kraut. Geordnete Chöre bilden sie nicht. Die Spieler, Mädchen wie Jungen, reißen ihre Instrumente hoch, jubelnd. Der Dirigent weilt längst nicht mehr an seinem Pult, den unterdes ein anderer Mann besetzt hält, der die Leute im Saal anhält, mitzusingen und mitzuklatschen, was sie begeistert tun. Duncan Ward führt für einen Moment sein Talent als Bodenturner vor. Wellenartig bewegt sich sein Körper über die Bühne.
Das Ganze ist ein Happening, wie es das Konzerthaus noch nicht erlebt hat. Alle jubeln siegestrunken mit dem Publikum, als wollten sie den Sieg über die Apartheid abermals feiern, diesmal musikalisch. Ein betäubender akkordischer Tuttischlag beendet die grandiose Show. Ein Schuss fiel nicht. Die Musiker ließen glücklicherweise ihre Maschinenpistolen in den In᠆strumentenkoffern.
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