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Auf dem Weg zum Supertreibhaus
Klimaforscher warnen vor einer »Heißzeit« und einem verheerenden Anstieg des Meeresspiegels, wenn Kipppunkte überschritten werden
Eine »Heißzeit«, ein rasanter Anstieg des Meeresspiegels, viele unbewohnbare Orte auf der Erde - das ist nicht die Vorschau einer Reihe apokalyptischer Hollywood-Filme, sondern die Prognose eines internationalen Forscherteams, die jetzt in den »Proceedings« der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA, kurz PNAS, veröffentlicht wurde. Selbst wenn das Zwei-Grad-Ziel bei der Erderwärmung eingehalten werde, heißt es in der Studie, könnten kritische Prozesse im Klimasystem angestoßen werden, die eine weitere Erwärmung der Erde auslösen und den Planeten in eine »Heißzeit« kippen lassen könnten. Die globalen Durchschnittstemperaturen würden dann dauerhaft um vier bis fünf Grad höher liegen als im Vergleich zum vorindus-triellen Zeitalter. Der Meeresspiegel könnte zwischen 10 und 60 Metern ansteigen.
Das Pariser Klimaabkommen ist eigentlich eine Verheißung: Wenn die Weltgemeinschaft den Vertrag einhält und es schafft, die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius zu begrenzen, werden die Auswirkungen des Klimawandels beherrschbar bleiben. Diese Annahme wird in der jetzt veröffentlichten Studie infrage gestellt.
Wie kommen die Wissenschaftler zu ihrer drastischen Prognose? Sie haben sich die sogenannten Kippelemente genauer angesehen. Dabei handelt es sich um Vorgänge im Erdsystem von überregionalem Ausmaß, beispielsweise das Auftauen der Permafrostböden in Russland, Kanada und Nordeuropa, das Schwinden des Amazonas-Regenwaldes oder der borealen Nadelwälder, das Abschmelzen des Grönlandeises oder den Verlust von Meereis in Arktis und Antarktis. Wenn menschliche Einflüsse dort zu starken Veränderungen führen, kann es sein, dass diese Elemente in einen anderen Zustand übergehen - sie kippen, und zwar irreversibel. Die Wissenschaftler befürchten: Je näher die Erderwärmung sich der kritischen Zwei-Grad-Grenze nähert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die natürlichen Kohlenstoffsenken kippen und künftig mehr Treibhausgase freisetzen, als sie zurzeit aufnehmen. Jedes Jahr binden die Wälder, Ozeane und Böden etwa 4,5 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, der sonst in die Atmosphäre gelangen und die Temperaturen zusätzlich erhöhen würde.
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Wenn ein Kippelement umgekippt ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass dadurch ein weiteres wichtiges Element im Erdsystem negativ beeinflusst wird. »Diese Kippelemente könnten sich wie eine Reihe von Dominosteinen verhalten«, sagt Johan Rockström, Leiter des Stockholm Resilience Centre und designierter Ko-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).
Einige Kippelemente können einen sich selbst beschleunigenden starken Klimawandel in Gang setzen, der dann nicht mehr rückgängig zu machen wäre. »Es könnte sehr schwierig oder sogar unmöglich sein, die ganze Reihe von Dominosteinen davon abzuhalten umzukippen«, warnt Rockström. »Manche Orte auf der Erde könnten unbewohnbar werden, wenn die ›Heißzeit‹ Realität würde.«
Derzeit liegt die globale Durchschnittstemperatur bereits um gut ein Grad über dem vorindustriellen Niveau und steigt um etwa 0,17 Grad pro Jahrzehnt an. »Die Treibhausgasemissionen aus Industrie und Landwirtschaft bringen unser Klima und letztlich das ganze Erdsystem aus dem Gleichgewicht«, sagt PIK-Direktor Hans Joachim Schellnhuber. Derzeit wisse die Forschung nicht, ob das Klimasystem bei etwa zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau »geparkt« werden könne - so wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht. »Oder ob es weiter abrutschen würde in ein dauerhaftes Supertreibhaus-Klima«, so Schellnhuber.
Bei wie viel Grad Erwärmung mit einem solchen Supertreibhaus gerechnet werden muss, lässt die Studie offen. Deutlich sagen dagegen die Forscher, wie sich dieses Horror-Szenario vermeiden ließe: durch eine entschlossene Minderung der Treibhausgasemissionen sowie eine angepasste Bewirtschaftung von Wäldern und Böden, sodass diese natürlichen CO2-Senken auch künftig ihre Funktion im Erdsystem erfüllen können.
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