- Kultur
- Bauhaus und der NS-Staat
Quadratisch, praktisch, braun
In einer Mammutschau schreibt der Württembergische Kunstverein die Geschichte des Bauhauses um
Und wo bitteschön sind die Abstraktionen von Wassily Kandinsky? Oder Oskar Schlemmers geometrische Puppen? Und wo die Stahlrohrmöbel, die berühmte Kugel-Leuchte und all die anderen Designklassiker? Zwar wirbt der Württembergische Kunstverein (WKV) in Stuttgart mit einer Schau zum Bauhaus, doch nichts von dem, was man mit der interdisziplinären Gestalterakademie in Verbindung bringt, ist zu sehen. Jedenfalls nicht auf Anhieb.
Diverse Museen bereiten sich gerade darauf vor, im kommenden Jahr den 100. Geburtstag der 1919 von Walter Gropius gegründeten Künstler- und Entwerferschmiede zu feiern. Schließlich gilt das zunächst in Weimar, später in Dessau beheimatete Bauhaus als Geburtsstätte eines revolutionären Formdenkens. Strenglinige Ästhetik und Fortschrittsgeist sollten sich zu einer neuen Gestaltungspraxis vereinen.
Vor dem offiziellen Jahrestag prescht nun der WKV mit einer Ausstellung voran, um diesem Mythos eine ordentliche Portion Ideologiekritik in den bereits kaltgestellten Jubiläumssekt zu spucken. Denn die Mammutschau am Stuttgarter Schlossplatz verfolgt mit 500 Exponaten das brüchige Nachleben einer bewunderten Institution, deren puristische Sitzgelegenheiten und Flachdächer bis heute unseren Alltag prägen.
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Rechercheprojekten. Visuelle Genießer dürften angesichts der überbordenden Fülle von Texten, Fotos und Grafiken schnell abwinken. Wer sich aber dennoch auf die begehbare Diskursgeschichte einlässt, wird mit einem inhaltlichen Perspektivenreichtum belohnt, der viele alte Gewissheiten umstößt. Ins Stolpern gerät der Besucher bereits durch Aufhänger und Titel der Schau. Ist das Ganze doch im Grunde die Korrektur einer Bauhaus-Retrospektive, die vor 50 Jahren an derselben Stelle eröffnet wurde. Der betagte Gründungsdirektor Gropius reiste damals persönlich zur Vernissage an den Neckar.
Unter dem sperrigen Motto »50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968« will die aktuelle Ausstellung nun das zur Sprache bringen, was seinerzeit ungesagt blieb. Als die Nazis, denen der kantenklare Funktionalismus ein Dorn im völkischen Auge war, den Kreativcampus schlossen und auch der Neuanfang in Berlin scheiterte, endete die Institution Bauhaus. Deren Wirkungsgeschichte aber sollte erst jetzt beginnen. Viele Absolventen und ehemalige Lehrer emigrierten in die USA. Von dort aus entwickelte sich der Formalismus aus der ostdeutschen Provinz zum liberalmodernen Weltstil, der ab 1945 wieder nach Deutschland zurückfand - so die landläufige Überzeugung. Weniger bekannt ist, was die nicht ausgewanderten Bauhäusler trieben. Ernst Neufert etwa, Gropius-Schüler der ersten Stunde und Autor eines Standardwerks zur Entwurfslehre, fand sich in der Entourage von Nazi-Architekt Albert Speer wieder. Hitlers gewiefter Chefplaner hatte nämlich früh das Potenzial des neusachlichen Ansatzes für industrielle und militärische Zwecke erkannt. Weswegen einiges entstand, das quadratisch, praktisch, braun war. Auch der Bauhaus-Typograf Herbert Bayer, der erst später in die USA übersiedelte, sah zunächst kein Problem darin, Reklame für »wasserabstoßend imprägnierte Kleidung aus arischer Hand« zu machen.
Ein anderes Beispiel bietet die Designzeitschrift »Die Neue Linie«, mit der sich die NS-Machthaber ein weltläufig-modernes Image geben wollten. Wer im WKV die Liste der Künstler studiert, die für das faschistische Lifestyle-Magazin Coverentwürfe lieferten, liest dort lauter Namen mit Dessau-Bezug: Neben Bayer tauchen der spätere Stuttgarter Hochschullehrer Hans Ferdinand Neuner, der Konstruktivmagier László Moholy-Nagy und sogar der südwestdeutsche Avantgarde-Guru und Beinah-Bauhäusler Willi Baumeister auf.
Trotz solcher überraschenden Erkenntnisse macht der Fokus aufs Archivarische den Rundgang zu einer recht zähflüssigen Angelegenheit. Immerhin: Zwischendurch lockern Beiträge zeitgenössischer Künstler den akademischen, von Vitrinen und Schautafeln bestimmten Charakter auf.
Mit einem bunten Turm aus Verpackungsmüll, auf dessen Spitze ein zum Playmobilmännchen verfremdeter Lenin steht, erinnert die österreichische Künstlerin Ines Doujak daran, dass sich Bauhaus-Vertreter auch noch anderen totalitären Systemen als den Nazis andienten. Am Wettbewerb für Stalins »Palast der Sowjets« zum Beispiel nahm neben Le Corbusier auch Walter Gropius teil. Derselbe Gropius, der dem amerikanischen Klassenfeind später als architektonisches Aushängeschild des Westens Botschaften und Wolkenkratzer baute. Um es sich mit den US-Brötchengebern nicht zu verscherzen, hat der Bauhaus-Gründer die Leistungen seines Nachfolgers, des Kommunisten Hannes Meyer, konsequent verschwiegen und das Bauhaus entpolitisiert. Mit Erfolg. Heute scheint Meyer (er erfand die Parole »Volksbedarf statt Luxusbedarf«) aus dem kulturellen Gedächtnis getilgt. Nicht zuletzt die Stuttgarter Ausstellung von 1968, die vom Auswärtigen Amt hinterher auf Welttournee geschickt wurde, half mit, dieses um die sozialistischen Aspekte betrogene Bauhaus-Bild zu verbreiten.
Der jetzigen Schau gelingt es, solche Machtstrukturen offenzulegen, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben. Viele der Künstler und Architekten standen politisch oder ökonomisch unter erheblichem Druck. Aber irgendwie erstaunt es schon, wie geschmeidig mancher Superheld der Moderne zwischen den weltanschaulichen Lagern lavierte. So bleibt im WKV nicht zuletzt der Eindruck zurück, der Dessauer Avantgarde-Olymp sei eine Schule der Opportunisten gewesen.
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