So talentiert und so weit weg von den Menschen

Karlheinz Stockhausen zum 90. Geburtstag

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Karlheinz Stockhausen ist unbezweifelbar eine Weltfigur der kompositorischen Moderne. Er war Bahnbrecher im zwiefachen Sinn: einmal kompositorisch-praktisch, indem er reihenweise neue Ideen, Techniken, Verfahren, Aufführungsmodelle von Kürten und Köln aus auf die europäischen Inseln der Neuen Musik trug; zum anderen, indem er durch seine enorme Anziehungskraft und seine beispielgebenden Klangerfindungen reihenweise Komponisten aus der Bahn warf und auf neue Geleise führte. Junge Komponisten schworen auf ihn, andere waren genauso fasziniert wie irritiert und beschritten eigene Wege.

Stockhausen wurde bekannt, nachdem seine Komposition »Kreuzspiel« für Kammerensemble und Dirigent (1951) aufgeführt wurde und der konservative Betrieb sich die Mäuler zerriss über den »Gesang der Jünglinge« (1953), seine erste elek᠆tronische Arbeit. Fortan galt er als der große Neuerer, dem die Zukunft gehörte. Einer kleinen Schar Avantgardisten, der Schönberg-Schule nahestehend und ihr entwachsend, stand eine riesige konservative Phalanx gegenüber. Stockhausen-Aufführungen galten als fatal, den Ohren nicht zuträglich, als Zerstörungswerk. Von »antimusikalischen Zwölfton-Schmieraktionen, die an Borniertheit und Böswilligkeit den antisemitischen Hakenkreuzschmierereien in nichts nachstehen«, war in einem besonders perfiden Text die Rede.

Als 1965 seine »Gruppen für drei Orchester« unter Michael Gielen, Bruna Maderna und Stockhausen selbst zur Aufführung gelangten, wurde das Werk mit einem Buh- und Pfeifkonzert aufgenommen, wie es in dieser Stärke vorher kaum zu hören war.

»XVIII Klavierstücke« und »Man᠆tra« für zwei Klaviere und Elektronik von seiner Hand bedeuten eine Revolution der modernen Klaviermusik. Beide Werke kommen zum bevorstehenden Musikfest Berlin zur Aufführung. Seine frühen Orchesterwerke wie »Punkte«, »Kontrapunkte« und besagte »Gruppen« gehören in die Reihe der Werke, die noch in 100 Jahren, sofern der kommerzielle Betrieb bis dahin nicht abgedankt hat, live zu hören sein werden. Die monumentale Oper »Licht« in all ihren Teilen umzusetzen, woran vor 30 Jahren ein Ensemble in der Mailänder Scala scheiterte, dürfte Aufgabe für kommende Generationen bleiben. Von größtem Gewicht ist Stockhausens elektronisches Werk. Was an technischer und Gedankenleistung in und hinter Werken wie »Gesang der Jünglinge«, »Kontakte«, »Telemusik«, »Hymnen« liegt, ist kaum abzuschätzen.

Die Selbstüberhebung ist Teil seines Projekts. Hypertroph die Vorstellung, seine Oper »Licht« - sie dauert 28 Stunden - in einem Zuge aufführen zu lassen. Seine »Hymnen« und andere Werke sah Stockhausen als das Nonplusultra an, unwiederholbar, unübertrefflich. 1990 setzt er die Öffentlichkeit über seine »Fünf Revolutionen seit 1950« in Kenntnis, ein Stufenmodell des von ihm technisch und künstlerisch Entfalteten. Er imaginiert eine Art Welt-Musik, planetare Musik.

Den Einsturz des World Trade Center in New York empfand der aus politischen Dingen sich weitgehend heraushaltende Komponist als gigantischen ästhetischen Vorgang, was den Zorn einer Weltöffentlichkeit erregte. Zum nachfolgenden Afghanistan-Krieg findet sich kein Wort von Stockhausen. 1967, als der in Westberlin lebende koreanische Komponist Isang Yun nach Südkorea verschleppt worden war und eine Künstlerwelt ihre Protestnoten um den Globus sandte, setzte er seinen Namen mit darunter.

Stockhausens Musiktheater »Originale«, das 1961 die Stadt Köln in helle Aufregung versetzte - das Musiktheater sollte nach den ersten Vorstellungen abgesetzt werden - ermöglicht vielerlei Versionen. Eine interessante war vor zwei Jahren in der Werkstatt der Staatsoper in Berlin zu erleben. Darin triumphiert die Kultur von Dada und die heilige technische Welt in der Schräglage. An einer Stelle sind sechs Straßensänger eingebaut, die junge Menschen aus allen Himmelsrichtungen präsentieren. Einige tragen Tücher, die unverkennbar auf soziale Bewegungen verweisen. Es sind Flüchtlinge. »Country« ist ihr Lied. Die Mikrofone wandern von Hand zu Hand. Leidenschaft spannt die Sehnen aller. Singend kämpfen sie.

Derlei hätte Stockhausen mitnichten gefallen. Er fühlte sich bis zuletzt weniger dem lebendigen Leben als vielmehr den technologisch-technischen Errungenschaften des neoliberalen Zeitalters verbunden. »So talentiert und so weit weg von den Menschen«, zitiert Frederic Rzewski, der fast alle Klavierstücke seines Kollegen aufgeführt hat, die Komponistin und Sängerin Giovanna Marini, und er ist irritiert, da doch Stockhausen für ihn der Inbegriff des erfolgreichen Komponisten zu sein schien.

Karlheinz Stockhausen starb am 5. Dezember 2007 in Kürten-Kettenberg. Am heutigen Mittwoch wäre 90 Jahre alt geworden.

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