Pfefferspray-Einsätze mit Todesfolge

Innerhalb kurzer Zeit sterben zwei Menschen bei Polizeimaßnahme - Politiker und Bürgerrechtler fordern Aufklärung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Es brennt auf der Haut, der Juckreiz kann viele Minuten bis hin zu Stunden andauern. Besonders stark wirkt es an den Schleimhäuten und in den Augen. Diese schließen sich sofort nach Kontakt mit dem Wirkstoff Oleoresin Capsicum, zu finden etwa in Paprikas und Chilischoten. Die geschwollenen Augen versuchen mit Tränen den Stoff schnell herauszuspülen. Das Einatmen wiederum führt zu Hustenanfällen, manche bekommen Atemnot, Krämpfe im Oberkörper. Pfefferspray verursacht nicht nur schwere Schmerzen - es kann in Kombinationen mit anderen Faktoren auch tödlich sein. In den vergangenen Tagen sind zwei Menschen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen ums Leben gekommen, bei denen Pfefferspray eingesetzt wurde. Politiker und Bürgerrechtler sind alarmiert und fordern Aufklärung.

Ein Fall ereignete sich am Montag in Hamburg. Ein Patient der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses sollte zu einem Gerichtstermin gebracht werden. Die Richter hatten die Aufgabe, über die Unterbringung des 57-Jährigen in einer Psychiatrie zu entscheiden. Der Mann habe sich laut Polizei jedoch gegen die Maßnahme gewehrt und mit Holzstäben in einer Toilette des Krankenhauses verschanzt. Die Pflegekräfte riefen die Beamten zu Hilfe. Diese hätten nach eigenen Angaben die Toilettentür geöffnet und den Patienten unter Einsatz von Pfefferspray überwältigt. Pfleger verabreichten ihm ein Beruhigungsmittel und fixierten ihn. Der Mann verlor daraufhin das Bewusstsein, am Dienstag starb er im Krankenhaus. Das Landeskriminalamt soll die Todesursache klären.

Der zweite Fall geschah nur wenige Tage zuvor in Hannover. Anwohner hatten am Wochenende die Polizei alarmiert, weil ein Mann auf der Straße randaliert und Fahrzeuge beschädigt hatte. Als die Beamten eintrafen, habe der 39-Jährige nach Angaben der Ermittler auch mit einer Eisenstange auf den Einsatzwagen eingeschlagen und die Polizisten mit Steinen beworfen. Die Beamten hätten daraufhin Pfefferspray eingesetzt. Der Mann sei sofort zusammengebrochen und habe das Bewusstsein verloren. Er verstarb noch am selben Tag im Krankenhaus.

Eine erste Obduktion ergab laut Staatsanwaltschaft, dass der 39-Jährige einen Herzfehler hatte. Es würden aber noch weitere Untersuchungen stattfinden, um zu überprüfen, ob er beispielsweise auch unter Drogen stand. Ein Fehlverhalten der Polizisten konnte die Staatsanwaltschaft bisher nicht feststellen. »Es gibt keine Anhaltspunkte, dass etwas schiefgelaufen sein könnte«, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge gegenüber Medien. Ermittlungen seien bisher nicht vorgesehen.

Kriminologen sehen diese Äußerungen mit Skepsis. Keine üblichen Ermittlungen bei einem Todesfall mit Fremdeinwirkung vorzunehmen sei möglicherweise auch eine Möglichkeit, um Beweise zu vertuschen, mutmaßte Thomas Feltes, Professor für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum, gegenüber Medien. Anstatt Pfefferspray gegen einen vielleicht psychisch gestörten Menschen einzusetzen, hätten die Beamten den sozialpsychiatrischen Dienst oder ein SEK-Kommando anfordern können.

Politiker und Bürgerrechtler fordern nun eine schnelle Klärung der beiden Fälle. »Die Todesursachen müssen lückenlos aufgeklärt werden. Bis jetzt weiß man nicht genau, welche Rolle das Pfefferspray gespielt hat«, sagte Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, gegenüber »nd«. Die Politikerin fordert, den Einsatz von Pfefferspray durch Beamte generell auszusetzen, bis klar ist, wie es zu den Todesfällen kommen konnte. »Pfefferspray ist gefährlich und als Hilfsmittel von Polizisten umstritten«, so die Abgeordnete. Schneider verweist auch auf die Beamten, die unter solchen Einsätzen mit Todesfolge zu leiden haben. »Möglicherweise sind sie nicht genügend für den Umgang mit Pfefferspray ausgebildet.«

Amnesty International äußerte generelle Kritik an der Verwendung des chemischen Stoffes. »Der Einsatz von Pfefferspray und anderen Reizstoffen kann immer auch zu schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, insbesondere wenn es unverhältnismäßig oder entgegen den Einsatzrichtlinien verwendet wird«, sagte Mathias John, Rüstungsexperte bei Amnesty International in Deutschland, gegenüber »nd«.

Der Einsatz großer Mengen Pfefferspray oder die Verwendung in geschlossenen Räumen sei laut der Menschenrechtsorganisation besonders gefährlich. »Dies kann zu schwerwiegenden Verletzungen oder sogar zu Todesfällen führen, insbesondere bei besonders verletzlichen Personen, beispielsweise mit gesundheitlichen Vorschädigungen«, so John. Amnesty International verurteile solche unverhältnismäßigen Einsätze »als mögliche Misshandlungen bis hin zu Folter oder Strafmaßnahmen«.

Pfefferspray ist als Kampfmittel durch das Abkommen über biologische Waffen von 1972 gegen Soldaten und Zivilisten im Krieg verboten. Im Inneren ist der Einsatz gestattet. In Deutschland wird das Mittel von Polizeibehörden seit 2000 verwendet, vor allem als Alternative zum Tränengas. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erklärte 2010 zu den Risiken: »Indirekte gesundheitliche Gefahren beim Einsatz von Pfefferspray bestehen insbesondere für Personen, die unter Drogeneinfluss stehen oder Psychopharmaka eingenommen haben.« Eine erhöhte Gefahr bestehe zudem für Asthmatiker, Allergiker und blutdrucklabile Personen.

Immer wieder gibt es Meldungen über Todesfälle im Zusammenhang mit Pfefferspray, jedoch keine umfassende Statistik. 2011 hatte die Linksfraktion im Bundestag einen Antrag eingebracht, um den Einsatz von Pfefferspray durch Polizisten zu beschränken. Die ehemalige LINKEN-Abgeordnete Karin Binder hatte 2010 zudem eine eigene Untersuchung zur Verwendung des chemischen Stoffes in Auftrag gegeben. Das Resümee: »Der Einsatz von Pfefferspray bei Polizeikräften muss in Deutschland verboten werden.«

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