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Über die Sammlungsbewegung, Kleiderfragen und linke Medien
Kein Volk ist auserwählt
Zu »Antisemiten, die keine sein wollen«, 25.7., S. 4; online: dasND.de/1095343
Meine Mutter war 18, als Krieg, Naziherrschaft und Holocaust vorbei waren. Trotzdem hatte sie zeitlebens ein schlechtes Gewissen gegenüber allen (!) Juden; mit ihr konnte ich über fast alles reden, nicht aber darüber, dass dieses schlechte Gewissen auch missbraucht wurde, von den USA (alle Botschafter bis einschließlich Kornblum; eine Nachama, gebürtige US-Amerikanerin, steht einem Berliner College vor, das US-amerikanische Werte vertritt), vom Zentralrat der Juden (s. die Kritik von Ruth Galinski, der zweiten Ehefrau von Heinz Galinski, den ich in seiner Zeit als ersten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Berlins sehr geachtet habe).
Auch in den USA gab es einen merklichen Antisemitismus - bis die Gräuelnachrichten über den Holocaust Allgemeingut wurden. Als ich 1995/96 an der University of Illinois at Urbana-Champaign weilte, sagte mir ein Kollege, dass es bereits wieder einen Antisemitismus gäbe, allerdings sehr verhalten. Von alledem ist bei Volker Beck keine Rede.
»Zu den Klassikern des modernen Antisemitismus gehören Verschwörungstheorien: Hinter den Mächtigen in Staat und Wirtschaft stehen demnach die angeblich eigentlich Mächtigen. Die Rothschilds, Rockefellers, Soros’ werden als Machtinhaber fantasiert. Sie seien die Puppenspieler, die Merkels, Macrons und Mays nur ihre Marionetten.« Hier ist Beck offensichtlich Opfer des Tabus der Politischen Ökonomie in (West-)Deutschland.
»Linke wie rechte Antisemiten raunen gern von einer jüdisch imaginierten kapitalistischen Übermacht und von einer vermeintlichen jüdischen Weltherrschaft.« Richtig ist, dass die Ausgrenzung der Juden aus den Zünften diese in die Geldwirtschaft gedrängt hat und die wohlhabenden Juden in den USA dafür sorgen, dass Israel lebensfähig bleibt, unabhängig von der menschenrechtswidrigen Siedlungspolitik Israels. Auch das wird von Beck nicht thematisiert.
Becks Zitate von Gerichtsurteilen lassen mich nicht nachvollziehen, ob der Antisemitismus-Vorwurf schwerwiegender ist als der Antisemitismus selbst. »Er beginnt nicht mit der massenhaften Ermordung der europäischen Juden. Der Holocaust war der verbrecherische Höhepunkt der abendländischen Geschichte des Antisemitismus, nicht ihr Anfang.« Das stimmt mit meinem Schulwissen überein. Es ist trotzdem nicht der versuchte Genozid, der alle anderen Genozide überragt und somit die Juden als ausgezeichnetes Volk (ein Schelm, der Parallelen zum Nazi-Rassismus zieht!) und Israel als Staat der Juden rechtfertigt. Die Erfindung des Holocaust als Rechtfertigung der Existenz Israels im Jahre 1979 ist genauso fragwürdig wie die Erfindung des Sowjetmenschen im Jahre 1977 als Sinnstiftung, weil die Berufung auf den Sieg im 2. Weltkrieg nicht länger fruchtete. Weder die Deutschen noch die Juden: Kein Volk ist ein »auserwähltes« oder »Herrenvolk«, das sollte Beck deutlich artikulieren.
Peter Enders, Königs Wusterhausen
Linker als gedacht
Zu »Wagenknechts Projekt nimmt Gestalt an«, 4.8., S. 4, online: dasND.de/1096320
Die Diskussion um S. Wagenknechts Sammlungsbewegung ist in vollem Gange, und das ist gut so. Ich möchte das Ergebnis meiner Gedankengänge als Geschäftsfrau einbringen. In manchen Berufen ist man gut beraten, parteipolitische Neutralität zu wahren, dazu gehört nach meiner Erfahrung aus über 25-jähriger Berufspraxis auch der Beruf der Gastwirtin. Nichtsdestotrotz stehe ich zu meiner linken Weltanschauung und höre aus vielen Gesprächen mit Gästen, dass sie so oder ähnlich denken.
Ich bin oft genug verblüfft, wie klar vermeintlich unpolitische Menschen, mit denen ich ins Gespräch komme, über politische Fragen denken, und das ist oft genug sehr links. Ich denke, dass S. Wagenknechts Vorhaben Menschen, die eben keiner Partei angehören, eine Plattform bietet. Sie haben es einfach satt, sich von Medien, Politikern oder sonst wem, eine Russlandphobie einreden zu lassen; sie verachten die USA-Hörigkeit unserer Regierenden; sie haben Angst vor Krieg, sie wollen nicht, dass ihre Kinder und Enkel eine kaputte Erde vorfinden usw. Um so zu denken, muss man keiner Partei angehören, und deshalb unterstütze ich S. Wagenknecht, und bin ganz und gar nicht der Meinung, dass damit die Linke gespalten werden soll.
Heidrun Hahn, Coswig
Zeit für eine solidarische Diskussion
Zu »So sammelt Wagenknecht«, 9.8., S. 1; online: dasND.de/1096811
Über Idee und Gedanken einer linken Sammlungsbewegung zu reden, solidarisch zu diskutieren, politisch links gemeinsam, achtungsvoll zu streiten, was hindert eine politische Linke daran? Was könnte sie daran hindern, wenn sie das ist, was sie sein will, Vertreter der Interessen der Ausgebeuteten, Erniedrigten, Betrogenen und Orientierungslosen?
Unterschiedliche Meinungen, wo wäre es nicht normal, diese auszutauschen? Die Frage ist nur, wie das geschieht, wie persönlich feindselig das geführt wird, wie wenig offenbar einige der Sache, dem Ziel verbunden sind. In einer Linken solidarische Diskussion vorauszusetzen, gehörte bisher zu meinem elementaren Verständnis. Wenn das Bild heute ein anderes ist und alle Medien des Klassengegners, der Kapitalvertreter, der Reichenlobby , der bürgerlichen Demagogen, was es sehr wohl gibt, ein leichtes Spiel wie nie haben, dann kommen langsam ganz andere Fragen in mir auf. Wenn auf dem Parteitag eine linke Berliner Senatorin sich in hysterischer Brüllerei persönlich gegen Wagenknecht wendet, so sagt das einiges, wo linke Politik in Berlin auch nicht sehr sozial und links dominant ist.
Wie kann ein Grundgedanke für eine Sammlungsbewegung nur abgelehnt, weggeschrien, ohne Argumentation abgetan werden, ohne dass gemeinsame Überlegungen vielleicht zu einer Chance entwickelt werden? Ist von Wagenknecht dahinter eine böse Absicht oder ein mieser Trick, etwas Feindliches oder Antikommunistisches zu vermuten? Welche Linken haben bessere Antworten und Lösungen angesichts der wachsenden großen Gefahren und einer unerträglichen Zersplitterung der Kräfte, deren gemeinsames Interesse dem kapitalistisch ungehemmt wirkenden System entgegensteht?
Warum dazu keine solidarische Diskussion? Was gibt es dagegen einzuwenden, zum Aufstehen aufzufordern, zum Aufstehen nicht nur unter Pegida, AfD und Co? Wir wissen es doch sehr gut, dass unter deren Fahnen sich viele finden, unter deren Fahnen getrieben, die mit ihren Sorgen und Ängsten keine anderen Ansprechpartner finden.
Wir wissen auch, dass wir das Flüchtlingsthema, Einwanderung und Asyl nicht eingeengt nur emotional-humanistisch als Menschenrechtsthema sehen können. Wir erfahren täglich, was diese Gesellschaft von Menschenrechten immer schon gehalten hat. Unsere Menschenrechtsfrage kann und muss vor allem die Klassenfrage sein. Warum wird Wagenknecht dabei alleingelassen und nicht über das geredet, was vielleicht abzuwägen ist? Natürlich freuen wir uns über jede Gegenbewegung örtlich oder themenbezogen. Reicht das aus? Kann konkurrierender feindseliger Streit unsere Antwort sein? NEIN! Solidarisch mit allen und jedem, dem das gemeinsame Ziel noch klar vor Augen und Sinn ist!
Roland Winkler, Aue
Gleichberechtigung in Kleiderfragen
Zu »Titten rein, es ist Sommer!«, 9.8., S. 4; online:dasND.de/1096815
Der Artikel von Caren Miesenberger hat mich sehr nachdenklich gemacht. Sie hat recht, aber meinen Blick fand ich in ihrem Text gar nicht aufgehoben.
Es ist Sommer. Allüberall bauchfreie Tops, Sport-BHs, luftige kurze Röcke, Hotpants. Kurz: viel Haut und wenig Stoff. So kann man den Sommer genießen.
Mutig, denke ich. Denn ich traue mich nicht so herumzulaufen. Zumindest nicht in der Mittagshitze auf sonnendurchfluteten Straßen, nicht im Büro und auch nicht auf meinen politischen Treffen. Nachbar*innen, Kolleg*innen und selbst Genoss*innen würden mich sonst anstarren und danach über mich reden, wie ich es erlebt habe, als ich nur meine Fingernägel farbig lackiert hatte.
Sehr mutig, denke ich auch, wenn couragierte Freunde als Tunten oder Dragqueens auftreten. Weil sie meist übertreiben, zuspitzen oder provozieren wollen, ist es für sie oft nur ein Spiel. Dennoch sind sie für mich Kämpfer gegen gesellschaftliche Normvorstellungen. In ihrer Anwesenheit fühle ich mich geborgen und kann der sein, der ich will. Sehr gerne würde ich mir öfter Make-up auflegen und das Paillettenkleid auch einmal in meinem Alltag tragen.
Es sind nur wenige Personen, die mich auch in Kleidung respektieren, die nicht für das Geschlecht produziert wird, mit dem ich mich identifiziere. Zu ihnen gehören meine Lebensabschnittsgefährtin und meine mehrheitlich schwulen Freunde. Sie sind Linke, oft etwas älter und politisch nicht mehr organisiert.
Zwar hat sich vieles in den vergangenen Jahrzehnten verbessert, aber Unisex ist bei der Kleidung noch immer die Ausnahme. Es gibt immer eine Damen- und eine Herrenabteilung. So fällt im Alltag selbst bloße Travestie - auch 50 Jahre nach 1968 - noch immer als Abweichung auf und wird abschätzig kommentiert.
Schon beim Einkaufen ziehe ich schräge Blicke auf mich. Kinder kommentieren unschuldig und für alle hörbar: »Das sind ja Frauenkleider!«, gefolgt von Gekicher der Erwachsenen. Und der Gesichtsausdruck von Menschen ausnahmslos aller Nationalitäten drückt mir gegenüber aus: »Der Typ hat sie ja nicht mehr alle.« Die ernsten Mienen signalisieren keinen Respekt und keine Würdigung. Sie vermitteln auch nicht: »Oh, der sieht ja elegant aus«. Wenn mir ein Lächeln begegnet, endet es mit Frotzeleien, Anzüglichkeiten oder Spott.
Übertreibe ich, wenn ich über solche Luxusprobleme eines weißen Mannes in Europa schreibe? Kann man mir Prüderie und Spießigkeit unterstellen, wie sie dummerweise auch Frauen vorgeworfen werden, die sich nicht wagen, oben ohne herumzulaufen? Fehlt mir der Mut zu zivilem Ungehorsam? Soll ich einfach häufiger Klamotten tragen, die mir gefallen? Ich würde das gerne. Aber ich schaffe es nicht. Ich ertrage die Starrerinnen und Starrer und ihre Sprüche nicht mehr. Wenn ich hinausgehe, stehe ich vereinzelt da und fühle mich alleine.
Solange ich das bauchfreie Trägerhemdchen nicht ohne Gaffereien und blöde Sprüche tragen kann, laufe ich an heißen Tagen auch ausnahmsweise mal ohne Shirt herum. So werde ich von meiner Umwelt mehrheitlich akzeptiert und fange mir keine schrägen Blicke ein.
Ich bin also in dieser Angelegenheit weder feministisch noch aufmüpfig oder widerständig, trage meist angepasst ein unauffälliges Shirt und bei strahlendem Sonnenschein schwitze ich darin.
Egal wie ich es drehe und wende: Ich kann insbesondere den Sommer nicht genießen. Ich fühle mich unwohl in den Klamotten, die mir die Gesellschaft als die passenden zuweist. Ich bin ein Cis-Mann - und ich will die patriarchale Gesellschaft überwinden. Aber ich will das nicht allein für FLTI*-Menschen (Anm. der Red.: Frauen, Lesben, Transgender, Intersexuelle), sondern vor allem für mich. Weil es ohne Patriarchat auch mir besser gehen würde.
Peter Nagel, per E-Mail
Caren Miesenberger pickt sich genau jene Details heraus, die sie braucht, um Männer als Feindbild darzustellen. Sie wirft Männern mit freiem Oberkörper »Mackertum« vor und behauptet: »Wirklich genießen können den Sommer nur Männer.« Warum verschweigt sie, dass Frauen als Oberbürgermeisterin, Landrätin oder Nachrichtensprecherin im kurzen Rock und ärmellosen Sporthemd in der Öffentlichkeit auftreten und alle das akzeptieren? Männer hingegen müssen lange Hosen, Schlips und Jacke tragen. Warum hingegen würden Männern »schlechte Manieren« vorgeworfen oder ihnen der Zutritt verweigert, wenn sie zu offiziellen Anlässen in kurzer Hose und ärmellosem Sporthemd erscheinen? Warum wird genau das nie als »Diskriminierung aufgrund des Geschlechts« bezeichnet, obwohl diese absurde »Kleiderordnung« eine extrem belastende und auch für jeden sichtbare Benachteiligung der Männer gegenüber den Frauen ist? Welcher Mann würde eine Arbeitsstelle bekommen, wenn er sagt, dass er bei 25 Grad nicht mit langer Hose und Jacke kommt, sondern in kurzer Hose und ärmellosem Sporthemd, weil er Gleichberechtigung fordert?
Ich finde es übrigens nicht originell, wenn ich von einer Gruppe alkoholisierter Frauen, lautstark mit »He, Süßer!« angelallt werde. Dabei trage ich weder Minirock noch Absatzschuhe oder schulterfreie Bekleidung.
Matthias Koch, Jena
Klimaretter Strom?
Zu »Die Hoffnung ruht auf E-Autos«, 11./12.8., S. 18; online: dasND.de/1096963
Es ist mir schleierhaft, wie aus den gegebenen Fakten eine solche Schlagzeile »Um das Klima zu retten, braucht es Strom statt Sprit« produziert werden kann. Die Frage lässt sich nur beantworten, wenn man die Gesamtenergie- bzw. CO2-Bilanz betrachtet.
Ein (sauberer) Dieselmotor hat bei optimaler Fahrweise einen Wirkungsgrad von 40-45 %, ein thermisches Grundlastkraftwerk 35-50 %. Bevor der Strom in der Batterie gespeichert ist, kommen nochmals Transformations-, Leitungs- und Ladeverluste hinzu. Der Anteil der Elektroenergieerzeugung aus regenerativen Quellen liegt etwa bei 30-35 %. Um eine nennenswerte Reduzierung des CO2-Ausstoßes über Elektrofahrzeuge zu erreichen, müsste der Anteil aus regenerativen Quellen deutlich über 50 % liegen.
Eine wirksame Reduzierung des CO2-Ausstoßes gelingt nur, wenn der individuelle Personenverkehr und die Lasttransporte auf der Straße sowie der Luftverkehr drastisch reduziert werden. »Wer den Sumpf trockenlegen will, sollte nicht die Frösche fragen.«
Winfried Sellnau, per E-Mail
Mehr Ideologie
Zu »Wer braucht noch linke Medien?«, 6.8., S. 4; online: dasND.de/1096414
Nein, Herr Staude, linke Medien sollten nicht die neoliberalen »Meinungsführer« nachäffen. Gerade Ideologie ist wichtiger denn je. Ist sie doch die Reduktion allen gesellschaftlichen Lebens und aller »Skandale« auf das Wesentliche, auf die Ursache des Übels. Klassenkampf muss die Parole sein und nicht das Verlieren in Nebenkriegsschauplätzen. Die »großen Massendemonstrationen« dürfen nicht als Revolution verkauft werden, sondern müssen eingeordnet werden in vom Neoliberalismus teils spektakulär verwendete Ablenkungsmanöver vom Schlage »Wir sind bunt«. Linker Journalismus muss stets auf die Ursachen der Schieflage reduzieren und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen im Kampf gegen den salonfähig gemachten Rassismus.
Und was ist gegen einen Dachverband linker Redaktionen einzuwenden, der gemeinsame Erkenntnisse verifiziert, weiterleitet, koordiniert (wie es die rechten Medien schon längst tun, während sich die linken gegenseitig schlachten). Sie haben es nicht nötig, rechten Schlagzeilen hinterherzurennen oder deren Halbwahrheiten auch noch zu verwenden.
Und ob sie die Moralpolizei innerhalb linker Ränkespiele abgeben sollten, ist höchst bedenklich, da dies gerade jener Yellowpress und Boulevardjournaille gleich käme, die es zu verachten gälte.
Linke Medien müssen aufstehen.
Jürgen Ludwig, Potsdam
Linke Unterstützung für Nicaragua
Zu »Eine zivile Alternative unterstützen«, 4./5.8., S. 3; online: dasND.de/1096288
Der Artikel macht mich als Freund des sandinistischen Nicaragua und, noch, als Sympathisanten der Linken fassungslos: Eine linke Autorin fordert den regime change in einem, im Vergleich zu allen anderen Ländern der Region, immer noch demokratisch und verhältnismäßig links verfassten Land! Obwohl sie weiß, dass es »keine linke Alternative« geben wird! Der in Westeuropa favorisierte Movimiento Renovador Sandinista fällt als Dritter Weg aus, da er trotz honoriger Repräsentanten wie Sergio Ramírez und Dora Maria Télez einfach nicht zu den Sansculotten des Sandinismus findet. Bleibt die bei allen Grünen so hoch geschätzte »zivile Gesellschaft«: die bekannten »NGO« und spontan entstandenen Studenten-Organisationen, deren Drahtzieher niemand kennt und die mit dem Rauch der Revolte zerstieben werden. Ein Sturz der Regierung Ortega bedeutet also unweigerlich die Öffnung nach rechts, die Wahl eines von den Unternehmer-Verbänden, von COSEP, ausgewählten Präsidenten, Sozialabbau nach den Forderungen des IWF und eine andere, den USA genehmere Außenpolitik!
Wie kann das eine linke »Solidaritätsbewegung« wollen?
Abgesehen von der Geschichtsvergessenheit, gerade im von Putsch und Gewalt gezeichneten Mittelamerika den Sturz des gewählten Präsidenten auf anderem als parlamentarischem Wege überhaupt zu erwägen: Auch wenn die Autorin die Regierung Nicaraguas abfällig als »Regime« tituliert - das politische System des Landes, also Verfassung, Parlament und Regierung, werden von Freund und Feind, vor allem aber von der Mehrheit der Bürger als »links« eingeschätzt. Sicher muss man Daniel Ortega und seine Familie nach der Selbstbereicherung in der »pinata« und nach seiner selbstherrlichen Regierungsführung in den letzten Jahren sehr kritisch sehen.
Aber: In der Regierungszeit von Ortega gab und gibt es in Nicaragua eine für die Region bis Mexico unvergleichliche Bildungs-, Gesundheits- und Sozialpolitik, eine effektive Senkung der Armut im Lande und Arbeiter-, auch Frauenrechte, die kein Nachbarland kennt.
Vor allem aber: Zum sandinistischen »System« gehört nicht nur die Familie des Präsidenten. Dazu gehören eine progressive Verfassung, für Mittelamerika beispielhafte Gesetze und überwiegend integre Gerichte, ein demokratisch gewähltes Parlament - und die immer noch bedeutende Zahl von Sandinisten in den Gewerkschaften.
Ich verstehe nicht, warum gerade die Linke dieses System in Acht und Bann tun sollte. Im Gegenteil: Solange der Sandinismus in den Organisationen des Volkes lebt, sollte ihn eine proletarische Solidaritätsbewegung nicht als »soziales Experiment« der Vergangenheit abtun, sondern sich, trotz der Ortegas in den linken Gewerkschaften und der Jugend, bei den Sandinisten in Sandalen und schweren Schnürstiefeln »neu verorten«.
Dr. Peter Hamann, Leipzig
Unterschiedliche Methoden
Zu »Panzer in Prag«, Wochenendbeilage, 18./19.8.
So richtig es ist, ausführlich daran zu erinnern, dass vor 50 Jahren in der ČSSR der Versuch einer Reformierung des Sozialismus an Haupt und Gliedern militärisch beendet wurde - Wichtiges fehlt.
Nicht nur im Osten, sondern auch im Westen hatte im Kalten Krieg kein Land eine Chance, aus dem Warschauer Vertrag (vom Sonderfall Albanien abgesehen) bzw. aus der NATO auszuscheiden. Die jeweiligen Vormächte ließen dies nicht zu. Nur die Methoden unterschieden sich. Ungarn 1956 und die ČSSR 1968 waren die direkte militärische »Lösung«. Der Westen ging einen anderen Weg.
Als in Griechenland 1967 eine Linkswende drohte, inszenierte die NATO einen Militärputsch zur Installierung einer faschistischen Diktatur, die bis 1974 währte. Ähnliches wurde intensiv für Italien vorbereitet, kam jedoch nicht zur Ausführung, weil politische und geheimdienstliche Ränkespiele andere Kanäle öffneten. Als die Nelkenrevolution 1974 die portugiesische Rechtsdiktatur hinwegfegte und sich ebenfalls eine progressive Entwicklung abzeichnete, isolierte man das Land in der NATO und drohte, vor allem mit Seemanövern vor der Küste und Scheinangriffen aus der Luft, ganz offen militärisch. Genscher gibt in seinen Memoiren versteckt Erwägungen in Washington zu, »NATO-Truppen von Norden her in Portugal landen zu lassen ...«. ČSSR auf NATO-Portugiesisch.
Weiter: Durch einige tatsächliche oder vermeintliche Reformer wurden in der ČSSR ehrliche Kommunisten, zum großen Teil Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Besatzer, aus ihren Funktionen gedrängt. Das konnten nicht nur die Husák-Leute später. Und schließlich: Waren es bis zum Einmarsch wirklich alles nur Reformer mit dem Ziel eines demokratischen Sozialismus? Oder schwammen nicht auch maßgebliche Leute mit im Strom, die das erstrebten, was wir heute in den Nachfolgestaaten der ČSSR, in erster Linie aber in Polen, Ungarn, den baltischen Staaten und der Ukraine erleben - einen zügellosen nationalistischen Kapitalismus? Ich hätte dem tschechoslowakischen Experiment Erfolg gewünscht.
Dr. Lothar Schröter, Borkwalde
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