Der fleißige Konstanzer Professor für Alte Geschichte und tüchtige FAZ-Autor Wolfgang Schuller versammelte zur Silvesterausgabe 2001 alle greifbaren Klischees des in Unordnung geratenden germanischen Heervolkes und forderte: »Gebt Berlin eine andere Regierung!«
Zwiedenkerisch ist gemeint: Jetzt die Landes-, bald die Bundesregierung. Zum Kürzel zusammengefasst heißt die lauernde Gefahr: »PDSPD«. Schon der böse Name lässt allen Helden den Hut hochgehen, so dass der Helm Platz findet. Das kommunistische tote Hirngespinst verwandelt sich in ein genossenschaftliches Gespenst: vorne Schröder, hinten Stalin, links Gysi, rechts Wowereit. Sollen wir nun gespenstisch antworten mit: Vorne Stoiber, hinten Hitler, links Merkel, rechts FAZ-Schuller? Blödsinn. Doch Hand aufs Herz: Warum sollen SPD und PDS nicht eine parallele Union zu CDU/CSU bilden? Die CSU baute Bayern zur regionalpolitischen Festung aus. Das geschlossene Terrain wurde von schlitzohrigen Politikern für Wirtschaftserfolge genutzt, die der vormals führende Norden nicht zu träumen wagte.
Soviel Intelligenz und Elan, zusammen mit Arbeiter- und Bauern-Schläue können Ostdeutsche auch aufbringen. Gysi, umtriebig wie Strauß, ist weitaus sympathischer als FJS samt Ziehsohn Stoiber. Lieferte Regine Hildebrandt nicht das Muster ostdeutscher Redlichkeit plus populärer Redekunst? Leider war sie von ihrer SPD kaltgestellt. Die Leute aus den neuen Ländern sollen endlich offen und direkt reden, frei von der Leber weg. Darf die PDS, überrascht von ihren Wahlerfolgen, sich ein hohes Ziel setzen? Bereits Wolfgang Harich umwarb, obwohl Kommunist, die SPD, und dass die Sozialdemokraten 1989 ihre neue Ostpolitik verleugneten und der CDU das Feld überließen, war der Rückfall in die Schwächen von 1914-1918, wie nicht nur Haffner bilanzierte. Wer heute von der PDS Schuldbekenntnisse verlangt, vergesse nicht die Polizei- und Reichswehrmassaker von Weimar: 17 Erschossene am Karfreitag 1919 in Offenbach am Main. 27 Tote und 75 Verletzte am 8.8.1919 bei einer Hungerdemonstration in Chemnitz. 1927 eine unbekannte Anzahl von Toten bei Kundgebungen für Sacco und Vanzetti in Hamburg und Leipzig. Am 1. Mai 1929 die 31 Zörgiebel-Toten von Berlin, dazu 1200 Verhaftete. Die Aufzählung ist schmerzhaft fortsetzbar. In den 15 Jahren Weimarer Republik büßten unter sozialdemokratischer und bürgerlicher Verantwortung mehr Menschen das Leben ein als in vier Jahrzehnten DDR. Ist das Aufrechnung? Nein, es ist vielverschwiegene Tatsache. Wo bleibt das Denkmal für die Opfer von Weimar?
Deutsche Kommunisten, schon in der Weimarer Republik und dann von Hitler und Stalin bedroht und getötet, suchten sich mit der DDR einen verfolgungsfreien Staat aufzubauen wie die Juden in Israel. Das ging schief, sollte aber bedacht werden. Zur Wiederholung: Der politisch motivierte Widerstand im Dritten Reich war zu 75 Prozent kommunistisch, zu 10 Prozent sozialdemokratisch, zu 3 Prozent christlich-bürgerlich. So die verbürgten Zahlen laut Aktenlage. Ist das nicht ein endlich zu würdigender Beitrag der Linken zur deutschen Vereinigung in der Mitte?
Wie in der SPD gibt es auch in der PDS verständliche, aber, wenn man nur will, überwindbare Einwände. Kurzsichtig wird die SPD oft wie früher abgelehnt. Haben PDSler Angst vor Sozialdemokraten wie diese vor PDSlern? Der Bruderzwist begann im Ersten Weltkrieg mit der Vaterlandsverteidigung und hält heute noch an, weil die PDS sich als einzige Antikriegspartei erweist, was sie in ganz Deutschland wählbar macht. Antimilitarismus als Konsequenz sozial-humaner Gerechtigkeit. Wenn die SPD dem noch nicht folgen kann, enthält sich die PDS eben der Regierungsteilhabe auf Bundesebene. Würde die SPD abgewählt, besänne sie sich vermutlich auf ihre angeborene unkriegerische Friedlichkeit und beide Parteien bestärkten ihren Unionismus. Stellt die SPD aber weiterhin die Bundesregierung, ändert sie gewiss bald ihre Politik, sind erst alle neuen Länder PDS-dominiert, also ostdeutsch regiert.
Kleingläubige beider Seiten halten den Unionsgedanken für Utopismus. Harich wurde 1956 für ähnliche Ideen verhaftet. Muss nochmal ein Halbjahrhundert vergehen, bis die deutsche Linke sich traut? Ich sage nicht, SPD und PDS sollen ineinander aufgehen. Soviel Differenz wie zwischen CDU und CSU muss bestehen bleiben. Alles andere darf uniert sein.
Der PDS kam zugute, dass die Ostdeutschen zur Selbstbehauptung eine besondere Mentalität entwickelten, auf die westdeutsche Politik mit dumpfer Arroganz reagierte. Fortan sind Wahlsiege mit mehr als 50 Prozent für die PDS in den neuen Ländern möglich. Die kommende Osterweiterung birgt Gefahren, aber auch Chancen wirtschaftlichen Aufstiegs. Osteuropäische Kunden, die durch die Einführung der D-Mark verloren gingen, können bald mit Valuta kaufen. Schaffen wir also ein florierendes selbstbewusstes Land der Gewinner statt der verordneten Verlierer. Da 2002 nun anfängt, bleiben noch 12 Jahre, bis 2014 ein Jahrhundert seit dem Kriegsbeginn von 1914 vergangen sein wird. Ein passendes Datum für die deutsche Sozialdemokratie, die Kriegsverwirrung samt Ermordung von Luxemburg und Liebknecht zu bedauern und die Epoche der Kriege durch konsequente Friedensstrategie zu beenden. 2014 wäre ein passendes Datum für die bei aller Unterschiedlichkeit abschließende Unionierung beider Parteien. Nach dem Muster von CDU/CSU. Nur eben links, wo das Herz schlägt, wie Oskar Lafontaine mit einem Zitat von Leonhard Frank sagte.
Die Zusammenarbeit ist übrigens älter als die Union von CDU/CSU. In meinem Geburtsort Gablenz, einer 1000-Seelen-Gemeinde zwischen Zwickau und Crimmitschau, kam es schon im Sommer 1933 zum ersten organisierten Widerstand von Kommunisten und Sozialdemokraten. Im März 1934 gab es zwischen Pleiße und Mulde 165 Verhaftungen mit anschließenden Gefängnis- und Zuchthausstrafen. Der Organisator des Widerstands, Rudolf Hallmeyer aus Plauen, starb am 8. September 1943 unter dem Fallbeil. Alfred Eickworth aus Gablenz desertierte 1943 aus dem Strafbataillon 999 zu den griechischen Partisanen und wurde im Gefecht mit der SS tödlich verwundet. In Gablenz stand für ihn ein Gedenkstein. Ich weiß nicht, was daraus geworden ist in einer Zeit, in der selbst das kürzeste Gedächtnis noch über seine eigenen Beine stolpert.
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