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Soziale Rechte in Gefahr
Wohlfahrtsverbände kritisieren mangelnde Umsetzung von internationalem Sozialpakt
Wenn es um die Verletzung von Menschenrechten geht, denken wohl die wenigsten an Deutschland. Fakt ist jedoch, dass auch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte Menschenrechte sind und diese auch hierzulande erheblich verletzt werden. Zu diesem Ergebnis kommen die Berichte des Forums Menschenrechte und der Nationalen Armutskonferenz an den UN-Sozialausschuss, die am Freitag in Berlin vorgestellt wurden.
Passend zum Wohngipfel der Bundesregierung, der kurze Zeit später über Maßnahmen gegen die Wohnungsnot beriet, wurden in diesem Bereich zahlreiche Schutzlücken und Handlungserfordernisse identifiziert: »Es ist höchste Zeit, dass wir anerkennen, dass die Wohnprobleme in Deutschland auch menschenrechtliche Dimensionen aufweisen«, sagte Michael Krennerich vom Forum Menschenrechte. Das Menschenrecht auf Wohnen erfordere die Verfügbarkeit von Wohnraum, der auch bezahlbar sein müsste, ohne dass andere Grundbedürfnisse darunter leiden.
Handlungsbedarf sieht Krennerich insbesondere im Bereich der Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Weitere Probleme seien die rasant steigenden Wohnkosten und die damit einhergehende Not in Ballungsgebieten, Zwangsräumungen, Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt und Defizite beim barrierefreien Wohnen. Aber auch die dauerhafte Unterbringung von Geflüchteten in großen Sammelunterkünften sowie Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte werden in dem Bericht erwähnt.
Hintergrund ist eine für kommenden Dienstag in Genf angesetzte Anhörung der Bundesregierung vor dem UN-Sozialausschuss. Alle fünf Jahre wird dabei die Umsetzung des UN-Sozialpakts überprüft. Deutschland hat dazu einen Bericht vorgelegt, wie es um die sozialen Rechte hierzulande bestellt ist. Ergänzend zum Bericht der Bundesregierung haben insgesamt 15 zivilgesellschaftliche Institutionen Parallelberichte vorgelegt.
Barbara Eschen von der Nationalen Armutskonferenz, einem Bündnis aus Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Betroffeneninitiativen, hebt hervor, dass Armut auch in Deutschland ein menschenrechtliches Problem ist. Zu viele Menschen seien auf ehrenamtliche Hilfsangebote angewiesen. »Armut in Deutschland ist Realität. Und sie zu bekämpfen, ist keine Wohltätigkeit, sondern eine Verpflichtung«, so Eschen. Besonders betroffen seien Wohnungslose, in Altersarmut Lebende, prekär Beschäftigte, Alleinerziehende, Erwerbslose und Geflüchtete. Diese Menschen seien keine Bittsteller, sie hätten ein Recht auf einen angemessenen Lebensstandard sowie auf Wohnung, Nahrung und Kleidung.
Zu den sozialen Rechten gehören auch das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheit. Der UN-Sozialausschuss hat in der Vergangenheit bereits mehrfach die große Zahl derer, die trotz Arbeit auf Grundsicherung angewiesen sind, kritisiert. »Das ist beschämend«, findet Eschen. Obwohl die Wirtschaft boomt, habe sich Erwerbsarmut in den letzten zehn Jahren von 4,8 Prozent auf 9,6 Prozent verdoppelt. Hier gebe es »enormen politischen Handlungsbedarf«. So müssten prekäre Beschäftigungsverhältnisse stärker in reguläre Arbeit umgewandelt werden.
Eschen und Krennerich kritisierten zudem die Hartz-IV-Sanktionen: Die Grundsicherung sei ohnehin zu knapp bemessen, zusätzliche Sanktionen seien menschenrechtlich problematisch. »Das ist existenzbedrohend«, betont Eschen. Kritisch sei auch, dass EU-Migrant*innen seit zwei Jahren ganz von der Grundsicherung ausgeschlossen sind. Insbesondere bei Menschen aus Osteuropa führe dies bei Verlust des Arbeitsplatzes häufig zu Wohnungs- oder gar Obdachlosigkeit.
Der UN-Sozialpakt verlangt auch, dass die Vertragsstaaten Menschenrechtsverletzungen durch eigene Unternehmen im Ausland verhindern. Maren Leifker vom Forum Menschenrechte kritisierte, dass die deutsche Außenwirtschaftspolitik in Menschenrechtsfragen trotz zahlreicher Verstöße weiter auf Freiwilligkeit setze. Dabei hätte die Bundesregierung mit der Außenwirtschaftsförderung einen »enormen Hebel«, Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards im Ausland zu verpflichten.
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