Polizei lässt Nazis in Dortmund gewähren
NRW-Innenminister Reul verspricht »Nachbereitung«
»Nationaler Sozialismus - jetzt, jetzt, jetzt!« und »Wer Deutschland liebt, ist Antisemit« hallt es am Freitagabend durch die Dortmunder Stadtteile Dorstfeld und Marten. Es wehen schwarz-weiß-rote Fahnen, Bengalos werden gezündet. Rund 100 Neonazis demonstrieren. Begleitet werden die Neonazis von einer Handvoll Polizisten, einem Journalisten vom WDR und Robert Rutkowski, der als @korallenherz auf Twitter regelmäßig rechte Aufmärsche dokumentiert.
Rutkowski stellt an dem Abend mehrere Videos des Aufmarsches ins Netz. Zu sehen ist, wie die Nazis ungestört durch die angebliche »Herzkammer der Sozialdemokratie« laufen. Das ist in Dortmund allerdings schon seit Jahren ein gewohntes Bild. Die Neonazis verfolgen eine penetrante Demonstrationspolitik. Der Grund für die Aufmärsche am Freitag war, dass einige Nazis in der Vorwoche ein Demokratiefest gestört hatten und von der Polizei in Gewahrsam genommen worden waren. Mit ihren Demonstrationen am Freitag und einer weiteren, die für Samstag geplant war, aber abgesagt wurde, wollten sie sich bei der Polizei für den Einsatz rächen.
Nun ist die Empörung über den schwachen Polizeieinsatz am Freitag groß. Fremdenfeindliche, antisemitische Parolen, die Verherrlichung des Nationalsozialismus - all das konnten die Nazis ungestört tun, während ein Großaufgebot der Polizei einige Kilometer entfernt in der Nordstadt einen medienwirksamen Einsatz gegen »Clan-Kriminalität« durchführte, bei dem auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) zu Gast war.
Mehrere nordrhein-westfälische SPD-Politiker kritisieren Reul nun dafür, dass er die Neonazis habe gewähren lassen, und fragen, ob die von CDU und FDP angekündigte innenpolitische »Null-Toleranz-Strategie« nicht für die Rechten gelte. Auch das »American Jewish Comitee Berlin« (AJC) kritisiert den Polizeieinsatz am Freitag. Der antisemitische Aufmarsch sei »erschreckend«. »Nach den letzten Wochen braucht es endlich unmissverständliche Signale, eine Stärkung der Zivilgesellschaft und konsequentes Einschreiten der Polizei«, so das AJC.
Bundesjustizministerin Katharina Barley (SPD) erklärte, dass Antisemitismus keinen Platz in der Gesellschaft habe, und kündigte an, der Rechtsstaat werde »eine klare Antwort« finden. Die Dortmunder Polizei reagierte auf die Kritik. Nachdem sie den Polizeieinsatz erst gerechtfertigt hatte, hat sie nun eine »Nachbereitungsgruppe« eingerichtet. Dies hatte auch Reul angekündigt.
Ursächlich für den minimalistischen Polizeieinsatz dürfte - neben anderen Einsätzen wie dem in der Nordstadt und dem Großeinsatz im Hambacher Forst - das Fehlen von Gegenprotesten am Freitag gewesen sein. Antisemitische Parolen, Pyrotechnik und so weiter - das kennt die Dortmunder Polizei von Dutzenden rechten Aufmärschen. Oft genug schreibt sie dann auch Anzeigen, die allerdings entweder von der Staatsanwaltschaft oder den Gerichten nicht weiterverfolgt werden, da die Dortmunder Neonazis sehr genau wissen, was sie rechtlich dürfen und was nicht. Selbst bei dem Versuch, den Aufmärschen von Freitag eine weniger attraktive Strecke zu geben, scheiterte die Polizei vor dem Verwaltungsgericht.
Dass es am Freitag in Dortmund keinen Protest gegen die Nazis gab, ist der schwach aufgestellten Zivilgesellschaft zuzuschreiben. Die Gruppe »Antifa Union« schreibt in einer Stellungnahme zu den Aufmärschen, dass von der Zivilgesellschaft »nichts« zu erwarten sei, wenn es »wirklich darauf ankommt«. Beim Demokratiefest in der Vorwoche habe sich »Prominenz aus Stadtverwaltung und Lokalpolitik die Klinke in die Hand« gedrückt. Das Fazit der Antifa-Gruppe: »Zivilgesellschaftliches Engagement in Dortmund bleibt daher weiterhin in Symbolpolitik behaftet.« Ein bitteres, aber zutreffendes Fazit.
Vor wenigen Monaten brachen Antifaschisten den Protest gegen einen rechten Aufmarsch ab. Sie waren deutlich weniger als die Nazis. Proteste sind in Dortmund immer mit Risiken verknüpft. Solidarität unter den verschiedenen Spektren gibt es nicht, SPD und Gewerkschaften stellen sich seit Jahren gegen Blockaden von rechten Aufmärschen und grenzen sich von linken Nazigegnern ab. Die Ereignisse am Freitag reihen sich insgesamt in eine mehr als 30-jährige Geschichte neonazistischer Organisierung ein. Sie sind kein neuer Höhepunkt, sondern beinahe Alltag in der Ruhrgebietsstadt.
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