Vorsicht, Spektakel!
Das Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigt situationistische und antisituationistische Werke
Selten passt ein Ausstellungsort so gut zur Ausstellung. Die Situationisten, die erst allem Konsum, dann aller Kunst abschwören wollten, sind in einer leeren Lagerhalle zu sehen. Jedenfalls wirkt der Hauptsaal des Hauses der Kulturen der Welt wie ein schnöder Speicher, noch dazu ein fensterloser. Die darin dargebotenen Dokumente, Fotos und Gemälde liegen in schummrigem Licht, damit garantiert keine Mallorca-Stimmung aufkommt.
Wolfgang Scheppe, der die Schau mit Roberto Ohrt und Eleonora Sovrani kuratiert hat, preist sie mit den Worten, es sei die erste, die vollkommen auf eine ästhetische Perspektive verzichte. Bitte kein Spektakel! Denn das Spektakel war für den obersten Bußprediger der Bewegung, Guy Debord (1931 - 1994), Teufels- oder Kapitalistenwerk. In seinem Sinne haben die Ausstellungsmacher mit eisernen Besen ausgefegt. Keine Fotos von Situationisten, keine Schilderungen ihrer rabiaten Aktionen, nicht einmal ein Nachvollzug ihrer politischen Debatten, die ja, via Gruppe Spur, auch im Deutschland der 1960er Jahre ihren Niederschlag gefunden hatt.
Stattdessen liegen Bücher und Zeitschriften unter Glas, vor denen die Besucherin oder der Besucher steht wie das Kind vor dem Schaufenster mit der Weihnachtsdekoration (und den Geschenken, die es doch nicht kriegt). Geordnet sind sie nach einem Plan von Meister Debord selbst, der im dänischen Silkeborg eine situationistische Bibliothek errichten wollte (die seine Anhänger inzwischen zusammengetragen haben). Diese 730 Titel umfassende Bibliothek wird in dem fetten Katalog zur Ausstellung aufgeschlüsselt und kommentiert. Er sei jedem, der sich auch nur entfernt für den Themenkreis interessiert, empfohlen.
Die Idee von einer Bibliothek als Mausoleum hat etwas Monomanisches. Aber es spricht doch für Debord, dass er darin auch Schriften vieler unmittelbarer Vorläufer der Situationisten, etwa von CoBrA (mit Constant, Asger Jorn und anderen), der Experimentele Groep aus Holland, insbesondere aber der Lettristen aufnehmen wollte, von denen er selbst im Streit schied.
Grund der Trennung war, dass Debord und seine Leute - eine ihrer typischen Aktionen - einen Auftritt von Charlie Chaplin stören wollten. Isidore Isou, Genie des Lettrismus und einer der unterschätzten Künstler des Jahrhunderts, hatte zwar viele neue Ideen, aber hing auch an der bereits leicht müffelnden des »Schöpferischen«, und Chaplin hielt er nun mal für schöpferisch. Debord überzog seinen einstigen Lehrer bald mit Spott und warf nur wenige Jahre nach Gründung seiner eigenen Gruppe alle Situationisten hinaus, die noch Kunst machten, denn das hieße ja, sich der Herrschaft des Spektakels zu unterwerfen.
Große Freude an der Exkommunikation hatten überhaupt alle Anführer solcher Künstlergruppen, auch André Breton, auch Isou und später George Maciunas, der Herr über Fluxus. Aber Maciunas, ein selbst ernannter Stalinist, schuf immerhin entzückende kleine Kunstwerke. Debord hielt sich an sein eigenes Dekret; er stellte nichts mehr her, und es gibt auch fast nichts von ihm, nur eben, auch nicht schlecht, strenge Bücher.
Diese Art von Kritik an dem, was Wolfgang Fritz Haug die »Warenästhetik« nennen sollte, kommt einem puritanisch, jedenfalls nicht allzu marxistisch vor. Denn wie die Warenform den Konsumenten formt, hat Marx plastisch und plausibel beschrieben, aber sich ihretwegen das Konsumieren zu verbieten, wäre ungefähr so, als wollte einer zu atmen aufhören, weil Gefahr besteht, dass die Luft kapitalistische Abgase enthält.
Gleichwohl besticht solcher vernagelte Radikalismus die Jungen, und die Situationisten haben nachweislich einigen Einfluss auf den Pariser Mai 1968 gehabt. Die Ausstellung reflektiert das, indem sie Polizeifotos von den großen Demonstrationen in Paris einem deutschen Warenkatalog gegenüberstellt. Der Otto-Versand nutzte den Radical Chic der Zeit für sein »Post Shop«-Magazin mit fescher Protestjugendmode. Hätten die Protestler Zeit gehabt, sich das anzusehen, hätten sie sich wundern müssen. Die Kuratoren schreiben: »Durch die affirmative Kraft ihrer Warenwerdung sahen sich die ikonischen Gesten der Selbstvergewisserung unversehens gegen ihren politischen Ausgangspunkt gewendet.« Das Kapital ist perfide, kaum baust du einen Molotow-Cocktail, schon stehst du im Otto-Katalog. Die Gegenüberstellung von Aufstand und Otto ist originell, wenn auch vielleicht etwas platt. Aber das Beste kommt eh noch.
Am Ende des Rundgangs befinden sich nämlich Schilder, auf denen steht, die Besucherin oder der Besucher betrete nun, gewissermaßen auf eigene Gefahr, antisituationistisches Gelände; Werke seien zu sehen, die später nicht mehr im Sinne des Erfinders waren und von ihm verdammt wurden. (Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob diese Schilder nicht doch ernst gemeint sind.) Und da folgt nun eine Reihe von teils gemeinsam geschmierten Art-brut-Arbeiten, die das Herz des unaufgeklärten Konsumbürgers jauchzen lassen. Überhaupt zum ersten Mal zu sehen ist ein Werk, das Asger Jorn, Ralph Rumney, Walasse Ting und Yves Klein 1957 gemeinsam gemalt haben. Die schiere Lebensfreude strahlt aus diesen Albereien, Farbexzessen und witzigen Abänderungen (»détournements«) von Spießeridyllen. Und das ist natürlich die Gefahr aller streng-puritanischen Darbietungen: Sie machen die Augen nur noch hungriger nach billigen Effekten.
Von solchem Heißhunger scheint selbst Debord hin und wieder befallen worden zu sein. Die Ausstellung ist nach seinem Lieblingsfilm benannt, einem Schocker mit Joel McCrea und Fay Wray aus dem Jahr 1932, »The Most Dangerous Game«, deutscher Verleihtitel: »Graf Zaroff - Genie des Bösen«.
»The Most Dangerous Game. Der Weg der situationistischen Internationale in den Mai 68«, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, noch bis 10. Dezember. Der erste Band des von Wolfgang Scheppe und Roberto Ohrt herausgegebenen Katalogs, 908 S., Merve-Verlag, kostet für Ausstellungsbesucher zwei Euro Aufpreis zur Eintrittskarte und ist im Buchhandel für 24 Euro erhältlich.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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