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Was Freundschaft vermag
Aka Morchiladze über einen Filmvorführer, der eigentlich ein Fürst ist
Sein Vater sei der letzte Khan von Kirbal gewesen, heißt es über Islam Sultanow, den titelgebenden Filmvorführer in diesem Roman. Das sei ein kleines gebirgiges Land in Mittelasien. Den ganzen Roman über wird man rätseln, von wo genau dieser Fürstensohn nach Georgien kam und welcherart die Schriftzeichen waren, die einem jungen sowjetischen Soldaten in Afghanistan das Leben retteten.
• Aka Morchiladze: Der Filmvorführer. Roman.
A. d. Georg. v. Iunona Guruli. Weidle Verlag. 132 S., br., 19 €.
Der junge Mann heißt Beso, war als Fahrer bei einer internationalen Organisation in Tbilissi angestellt und ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Wobei er ein Manuskript in englischer Sprache hinterließ, sozusagen seine Memoiren. Warum er nicht auf Georgisch geschrieben hat? Wer weiß … Jedenfalls nutzte Aka Morchiladze diesen Kunstgriff, der schon seit jeher Romanen etwas Authentisches verleihen konnte: Beso breitet vor uns sein Leben aus. Er spricht von seiner Kindheit in einer kleinen Stadt in Westgeorgien (auch der Autor stammt, wie sein Name sagt, womöglich aus dieser Region), erzählt von seiner Familie und darüber, wie er Islam Sultanow kennenlernte. Der vierzig Jahre ältere Mann blieb ein Fremder in der Stadt, in die er aus einem sibirischen Straflager gekommen war. »Wie wir zu Freunden wurden, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, er brachte mir bei, wie man ein Seil flicht und die merkwürdigen, vielleicht in den Lagern gelernten Knoten bindet.« Nachdem Besos Vater durch einen Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, hat Sultanow den Jungen wohl insgeheim adoptiert. Wirklich insgeheim, niemals drängte er sich auf, aber ohne das von ihm verfasste Schriftstück wäre Beso wohl von den Taliban erschossen worden.
Erst zum Schluss enthüllt sich der Hintersinn, und doch bleibt vieles geheimnisvoll. Was hat es mit dem Königsmantel auf sich, den Islam Sultanow einem alten Koffer entnimmt? Soll Beso im mysteriösen Kirbal etwa ein neues Khanat errichten? Warum nicht, mag sich der Autor gedacht haben, schließlich wurde auch jene Villa wieder von den adligen Eigentümern übernommen, in der sich zu sowjetischen Zeiten das Stadtmuseum befand. Freilich, allzu ernsthafte Deutungen will Aka Morchiladze seinen Lesern keinesfalls aufdrängen. Er hat das Talent zur Leichtigkeit, wie man an seinem furiosen Roman »Die Reise nach Karabach« sehen konnte, der im Frühjahr im Weidle Verlag erschien.
Morchiladze will unterhalten, was ihm auch prächtig gelingt. Will unsereins vor Augen führen, was für Geogier ganz normales Leben ist. Wie Ehen gestiftet und geschlossen werden (Besos Schwester ist 15, als sie einen 16-Jährigen heiratet), wie Freundestreue über allem steht. All das Althergebrachte, an dem die Sowjetmacht nur oberflächlich etwas ändern konnte, bleibt über wechselnde gesellschaftliche Verhältnisse ein verlässlicher Boden. Man versteht und nimmt keinen Anstoß daran, dass die »Diebe im Gesetz« Beso helfen, weil er unter ihnen einen Kumpel hat.
»Bleib ruhig und warte ab«, rät Islam Sultanow. Und: »Du musst eine Fremdsprache lernen.« Oder das: »Im Leben ist es so, dass Gott dich mehrmals aufsucht. Wenn du ihn ohne Antwort zurückschickst, bist du geliefert.« Wie soll man das verstehen? Hinter dieser Gestalt spürt man eine Sehnsucht des Autors, die auch die eigene ist: »Er war ein ehrenhafter Mann … Was er hatte, war eine merkwürdige, unausgesprochene Würde.« Gab es früher mehr solcher Menschen? Oder waren sie immer schon selten, auch wenn die von ihnen vertretenen Werte lauter gepredigt wurden?
Die »Wir-Gesellschaft« ließ dem Einzelnen mitunter wenig Freiraum, die »Ich-Gesellschaft« sprengt (fast) alle Grenzen und lässt Menschen ohne Orientierung allein.
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