Gott lacht unser in seinem Himmel

In seiner verspielten Strenge fortschrittlich: Eckhard Henscheid schreibt »Aus dem Leben der Heiligen«

  • Jürgen Roth
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass ein Dichter wie Eckhard Henscheid, dessen weitgespanntes und glücksspendendes Werk in seinen polemisch-satirischen Partien »wider die neblichte Geschwätzigkeit« gerichtet ist, ein schmales, im besten altertümliche Sinne weithin erbauliches Buch mit dem Titel »Aus dem Leben der Heiligen - Neue Legenden« schreibt, vermag nicht zu erstaunen. Denn neben dem Sujet der Verlaberung der vergammelnden Welt des »Sprachkapitalismus« (»Zeit Online«, 12. September 2018) sind bei Henscheid christliche, im speziellen katholische Motive und Bilder und Ikonen von Beginn an präsent, bisweilen so deutlich, dass sich etwa der letzte Band seiner »Trilogie des laufenden Schwachsinns«, »Die Mätresse des Bischofs«, mit dem Roman »Dolce Madonna Bionda« und der Novelle »Maria Schnee« zur Marientrilogie verbindet.

Eine weitere, eine verschärft religions- und gotteskundliche Trilogie bilden nun die Heiligenlegenden an der Seite von Henscheids grandioser Studie »Welche Tiere und warum das Himmelsreich erlangen können« sowie des irrwitzigen, sprachzertrümmernden Kleinromans »Aus der Kümmerniß« - um darüber hinaus sogar eine Tetralogie anzudeuten.

1990 erschien »Hoch lebe Erzbischof Paul Casimir Marcinkus!«, ein Sammelband mit Glossen, Abrechnungen und Aufsätzen, unter anderem eben über den Vatikanbanker, Sagenhaftmafioso und Größtgauner Erzbischof Marcinkus, der die Kurie durch unfaßbare Waffen- und Drogen- und sonstige Geldgeschäfte in die Scheiße geritten hatte.

Etwa in der Mitte des Buchs der Heiligenlegenden, die wie ein Reigen heilsgeschichtlicher Kurzbildungsromane komponiert sind, findet sich die hagiographische Miniatur »Hoch lebe Abt Pochimus!« - die Preisung eines wahrhaft Lauteren, der dem vor dreißig und mehr Jahren im Auftrag des Heiligen Stuhls herumfuhrwerkenden Berserker Marcinkus nachträglich oder auch vorlaufend demutsvoll in die Parade fährt.

Man wollte den Text in Gänze zitieren, so wundersam spöttisch einerseits und so gentil und liebreich andererseits tönt er und wandelt er vor sich hin. Der exemplarisch tüchtige Pochimus »entfesselte, berichtige sofort: errichtete […] 8 Klöster mit insgesamt gut und gerne 7.000 Brüdern, welche er ins Leben zu rufen vermochte, alle in Demut einander strikt verbunden und den tückestarken arianischen Vandalen unter Geiserich durchaus feind; dem Christenthume aber auf Gedeih und Verderb wohlgesonnen und getreu«, »all dies in der wohllöblichen Tradition des Nikolaus von Flüe, im Volksmund als ›Bruder Klaus‹ gerufen und erhöht, welcher auch kaum je ruhte. Gott schätzte sich allzeit glücklich, diesen hohen Heiligen zu haben« - der indes einen Haken hat: »Allerdings hieß der Vorgewürdigte gar nicht Pochimus, sondern dies geht auf einen fast teuflischen Abschreibfehler zurück. In Wahrheit hieß dieser heilige Abt Pachomius, he!«

Die in den Heiligenlegenden obwaltende Ironie ist eine der Milde und zugleich der Selbstverkleinerung des Autors, welcher man, ein Gespür für dergleichen vorausgesetzt, eine Art Frömmigkeit ablauschen mag. Blödelnd lustig nämlich macht sich Henscheid über die anachronistische kirchenschriftliche Technik des Ehrerweises, die zumal dem Volksbuch »Legenda aurea« (1293) des Jacobus de Voragine vielerlei verdankt, in keiner Zeile. Obschon für und für »im Kampfe gegen die giftvollen und im tiefsten Grunde saudummen Arianer« (das waren irgendwelche frühchristlichen Häretiker), im feurigen Streite wider die »widerwärtigen Arianer und gegen deren vom Beelzebub herrührende gottverdammte und stets zu rügende Ermittlungslehre gegen Christum von Nazareth« und wider »Irrlehrer und andere Scheusale wie die Arianer, die Hugenotten, Luther und die Priscilliaristen (Vorläufer von Voltaire und anderen soweit bekannten Teufeln)« viel verlangt wird. Auch gegen »die Nestorianer und anderes zweifelhaftes Gelichter«, bzw. »andere üble Schnallentreiber«, des gleichen »gegen die Verfehlungen des Geschlechterverkehrs« und »wider alle Versendung und Verseuchung«, wider »Lauigkeit« und »Unsittigkeit«, in deren Folge zwangsläufig das Fegefeuer »ausgebaut« ward. Es kommen allerlei komische rhetorische Instrumente von der Hyperbel und der blumigen Rigorosität über den schimmernden Neologismus bis zur dezent verrutschten Grammatik zum allerunerbittlichsten oder vielmehr zarten Einsatz - contra den Satan, den »Pfiffikus«, sowieso. Dessenungeachtet, das wollten wir sagen, herrscht in diesem wohlwortgesetzten Delirieren der sanfte und segensreiche Wille zur freundlichen Hinwendung und -gabe »in sittlicher Wohlgezogenheit«, auf dass die Kinder Gottes Gutes tun und des Herrn Ansprüchen genügen mögen, und zwar trotz »umwölbender kläglicher Umstände und Winseleien« und all des innerweltlichen Kladderadatsches.

Kurz: »Gott lacht unser in seinem Himmel«, aber: »Was wäre Europa ohne solche Heilige und Wohltäter? Bedenke dies, und erwäge es sorglich.«

Hermann Peter Piwitt nannte Henscheids Idylle »Maria Schnee« in »konkret« 2/1989 dessen »wundersamstes, innigstes und radikalstes Buch […]. Es muß schon einer mächtig […] rebellisch sein, eben ein Henscheid, damit ihm eine Idylle heute gelingt.« Eine unserer zahllosen Hausschatzstellen ebenda lautet: »Man unterschätze, fuhr der Korpulente, kaum hatte er sein siebentes obergäriges Bier angetrunken, fort, Judas im Vergleich zu Jesus. Der Dicke besah seine dicken Finger und betupfte die schweißige Stirn. Judas sei jahrelang von der Forschung niedergemacht worden, die Beweise lägen heute historisch klar zutage. (…) Jesus sei ein typisches Pfaffenprodukt, er, der Dicke, könne an dem Mann nichts finden. (…) Jesus habe fürs Urchristentum zweifellos einiges, für den Kommunismus aber wenig geleistet, murmelte der Dicke weh und fast schon abwesend.«

Ein Mirakelbuch sui generis sind auch die Heiligenlegenden. Texte dieses Tons, dieser Stillage sind heute womöglich kaum noch »vermittelbar« oder »an den Mann zu bringen«, wie es im BWL-Troglodytendeutsch heißen dürfte, an die Frau freilich ebensowenig, und die Literaturkritik winkt ohnehin praktisch ausschließlich den immer gleichen Stangenprosaschrott (J. Zeh et cetera) durch, als habe sie die Belanglosigkeit und die formale Verlotterung ihrer Gegenstände angesteckt.

Inmitten des überbordenden Wahnsinns, dem man sich dieser Tage »de fuckin’ facto« (»The Wire«, Staffel 4) rund um die Uhr ausgesetzt sieht, tupft Henscheid, sich selber oder den Leser in eigensinniger rezeptionsgeschichtlicher Rückwendung eventuell für »erhöhungsbedürftig« erachtend, einen solchen Satz hin: »Gott war nicht eher zufrieden, als bis das alles erledigt war.« Bums.

Was rückwärtsgewandt anmutet, ist in seiner verspielten Strenge nonkonformistisch und angesichts des blindwütigen Weiter-so an allen Fronten des Lebens fortschrittlich. Henscheid verkörpert, singulär, eine vertrackt avantgardistisch errettende Literatur, die in ihrer dialektischen Verschmitztheit selbst dem Atheisten Adorno geschmeckt hätte, ja vermutlich saugut geschmeckt hätte.

Das glaubst du aber.

Eckhard Henscheid: Aus dem Leben der Heiligen - Neue Legenden. Büro Wilhelm Verlag, 104 S., Hardcover, 16,80 €; buero-wilhelm.de/verlag

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