Karl Marx beim Barbier
Am 18. Februar 1882 besteigt Karl Marx in Marseille den Dampfer »Said« und verlässt zum ersten Mal in seinem Leben Europa. In Algier nimmt ihn Albert Fermé in Empfang, der sich in der Pariser Kommune engagiert hatte. Doch an politische Kämpfe ist für Marx nicht mehr zu denken. Den Tod seiner Frau Jenny drei Monate zuvor hat er nicht verwunden, und das wärmere Klima kann seine chronische Rippenfellentzündung nicht kurieren. Karl Marx lässt sich ein letztes Mal fotografieren, bevor er beim Barbier Haarpracht und Bart opfert. Ein Akt, der ihm selbst beinahe symbolisch vorkommt. Seine größte Sorge gilt dem Wohlergehen seiner Töchter. Während er die Eindrücke einer ihm ganz neuen Kultur auf sich wirken lässt, zieht er unsentimental eine Art Resümee seines Lebens und Wirkens: der liberale Vater mit jüdischen Wurzeln, die wilden Studienjahre in Bonn und Berlin, seine frühen poetischen Ambitionen, seine seltsam bremsende Rolle im Revolutionsjahr 1848, dann das ewige Exil, die Zumutungen der Armut. Der Journalist und Publizist Uwe Wittstock erzählt eine bisher wenig beachtete Episode im Leben des späten Karl Marx und beleuchtet aus ihr heraus das Leben und Wirken dieses großen, aber auch zutiefst widersprüchlichen Geistes. Auch wenn ihm der revolutionäre Anspruch von Marx und dessen Motivation eher fremd ist, ist ihm doch ein lesenswertes biografisches Werk gelungen.
Uwe Wittstock: Karl Marx beim Barbier. Leben und letzte Reise eines deutschen Revolutionärs. Blessing, 288 S., geb., 20 €
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