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  • Politik
  • Deutsch-polnische Beziehungen

Missklänge trotz Gleichschritt

Beziehungen zwischen Berlin und Warschau bleiben angespannt

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

Man könnte den Eindruck gewinnen, der polnische Präsident sei ein Dauergast in den deutschen Medien. Wenn sich westlich von Oder und Neiße wieder einmal die negativen Schlagzeilen über die konservative Regierungspartei PiS häufen, probiert Andrzej Duda gern den Rückwärtssalto in die Rolle des gemäßigten Staatslenkers und versucht, dem in Berlin »verzerrten Polenbild« (so der einhellige Tenor bei den Konservativen) entgegenzusteuern. Tadellose diplomatische Auftritte und Interviews für deutsche Zeitungen sollen die bilaterale Eisfläche zum Schmelzen bringen. In solchen Momenten scheint Duda zu wissen, dass es nicht nur Muskelspiele sind, die zum Durchbruch führen.

Doch derzeit bemüht er sich nicht um Korrektur, im Gegenteil: Wenige Tage vor den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen spricht er sich für weitere Kriegsentschädigungen aus. »Nach meiner Auffassung sind die Reparationszahlungen kein erledigtes Thema«, sagte Duda der »Bild am Sonntag«. Auch die Analysen einer parlamentarischen Expertengruppe hätten ergeben, dass die Verluste nicht entschädigt wurden. Dies sei demnach eine »Frage von Wahrheit und Verantwortung«, so Duda.

Unterdessen sehen andere polnische Juristen und Abgeordnete die Reparationsfrage als endgültig geklärt. »Der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 regelt abschließend alle Rechtsfragen in dieser Angelegenheit«, meint der frühere Chefdiplomat Radek Sikorski. Diese These untermauert der Politiker der liberal-konservativen PO-Partei mit dem Argument, dass Polen seit dem Inkrafttreten des Vertrags kein Verfahren mehr eingeleitet habe. »Natürlich hat sich keiner vor uns um Entschädigungen bemüht, denn wir können erst seit drei Jahren weitgehend störungsarm regieren«, sagt wiederum Arkadiusz Mularczyk (PiS), der Vorsitzende des Expertenteams. Darüber hinaus sei es »armselig«, dass die Opposition eine für Polen so entscheidende Frage als »taktisches Instrument« der Regierung denunziere.

Vielleicht wäre es tatsächlich zu einfach, dieses betrübliche Thema allein auf die Machttaktik der PiS zu reduzieren. Mehr als die Hälfte der polnischen Bevölkerung kann den populistischen Arien der Regierenden kaum etwas abgewinnen, aber beim Thema Reparationsforderungen haben sie zwei Drittel der Polen hinter sich. Auch eine Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des Kriegsausbruchs in Wieluń soll laut Duda stattfinden. Auf die Stadt fielen 1939 die ersten deutschen Bomben. In nur wenigen Stunden wurde sie in Schutt und Asche gelegt, 1200 Zivilisten starben. Wieluń sah bereits am ersten Kriegstag so aus wie deutsche Städte am letzten.

Allerdings machen weder Provokationen aus Warschau noch aus Berlin die deutschen Kriegsverbrechen rückgängig und schaden letzten Endes beiden Seiten. Ohne Anerkennung der Friedensordnung gibt es keine Zukunft für niemanden. Dabei gibt es zahlreiche Gelegenheiten für die deutsch-polnische Aussöhnung. Erst vor einer Woche hatte sich Duda mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin getroffen. Im Auswärtigen Amt stellten sich beide Amtskollegen den Fragen eines deutsch-polnischen Publikums. Dass Duda sogar bei dieser Diskussionsrunde aufs mediale Gaspedal drückte, zeigt, wie angespannt die Beziehungen tatsächlich sind. Der polnische Präsident wurde unter anderem nach der Pressefreiheit in Polen gefragt. Dessen Bemerkung, polnische Medien seien freier als deutsche, weil sie über die Vergewaltigungen von Frauen durch Migranten sofort berichten würden, sorgte für verständnisloses Raunen im Saal. Regierungsnahe Medien in Polen bezeichneten die Veranstaltung in Berlin als eine »öffentliche Demütigung« ihres Präsidenten. Es sind die gleichen Redakteure, die auch allergisch reagieren, wenn die polnische Regierung von der deutschen in Brüssel kritisiert wird.

Die aktuellen deutsch-polnischen Beziehungen erinnern folglich an manche Phasen des Ersten Weltkrieges: Zwei Fronten schießen lange aus ihren Schützengräben, aber nichts passiert. Wieso denn auch? Uns verbindet wirklich mehr, als uns trennt.

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