Das grüne Wunder

Die einstige Ökopartei hat ihr Image renoviert. Heute ist sie alles: konservativ, liberal und gleichzeitig links

Es ist noch nicht lange her, da hieß es angesichts fallender Beliebtheitswerte, die Grünen stünden mit dem Rücken zur Wand. Heute jedoch sind sie obenauf. Bei den Wahlen in Bayern verdoppelten sie ihren Stimmenanteil, in Hessen erzielten sie zuletzt ein Rekordergebnis von fast 20 Prozent, in Berlin liegen sie in Umfragen derzeit an erster Stelle.

Die Grünen, so heißt es, sind durch einen politischen Schwenk zur Volkspartei geworden: Heute sind sie Mainstream. Doch will die Partei nicht nur die sogenannte Mitte repräsentieren, sondern größere Teile des politischen Spektrums abdecken: Sie gilt nicht mehr als links, sondern als konservativ, als liberal - und gleichzeitig immer noch als links. Zwar »waren die Grünen nie eine klassisch linke Partei«, erklärt Jürgen Trittin. »Sie waren zuerst Ökologen. Und Ökologen sind immer links.« Nicht links, sondern Ökologen, und daher doch links, so die Dialektik.

Diese breite Abdeckung politischer Bedürfnisse macht die Grünen derzeit nicht unglaubwürdig, sondern mehrheitsfähig. Ihre radikalen Teile hat sie abgeworfen. Heute eröffnet sie keine Gegensätze mehr zwischen Umwelt und Wirtschaft, zwischen Reich und Arm, zwischen Weltpolitik und Pazifismus, zwischen Weltoffenheit und Patriotismus, zwischen Heimat und Globalisierung. Sie verspricht, alle Gegensätze zu versöhnen. Das tun zwar andere Parteien auch. Doch den Grünen werden ihre Versprechen eher geglaubt. Und sie haben einige im Angebot: »Mit Grün wird Deutschland gerechter«, wirbt die Partei für sich, »mit Grün wird Deutschland europäisch, weltoffen und gleichberechtigt.« Anderen EU-Ländern stellt sie eine »Partnerschaft mit Respekt auf Augenhöhe« in Aussicht, sie bietet »verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik und gelingende Integration«; an die Stelle ungezügelter Globalisierung soll eine Handelspolitik treten, die nicht nur den deutschen Wohlstand mehrt, sondern auch »fair« ist und »soziale und ökologische Standards« in aller Welt ausbaut. Die Landwirtschaft soll umgebaut werden, sodass das Essen nicht nur gesünder ist, sondern auch bezahlbar. Statt »blinden Wachstumsglaubens und ungebremsten Profitstrebens« plädiert sie für qualitatives Wachstum und grüne Renditen, grüne Steuern, grüne Finanzmärkte. Kurz: Heute wollen die Grünen nicht nur den Gegensatz zwischen Ökonomie und Ökologie tilgen, sie versprechen zudem soziale Gerechtigkeit ohne große Umverteilung. Im globalen Kampf der Supermächte wollen sie Deutschlands Einfluss geltend machen - mit friedlichen Mitteln und ohne Zwang. Sie stehen für eine offene Gesellschaft, die Migranten willkommen heißt und gleichzeitig die Grenzen dichthält.

Das alles wollen sie erreichen ohne grundlegende Veränderungen am System: Im Prinzip kann alles bleiben, wie es ist. Halten die Grünen, was sie versprechen? Ein Check anlässlich des Grünen-Bundesparteitags zur Europawahl, der am Sonntag endet.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.