- Berlin
- Kleingartenentwicklungsplan
Große Hoffnung für die Kleingärten
Bestandsschutz für Parzellen auf landeseigenem Gelände soll bis 2030 verlängert werden
Die Sonne verschwindet langsam hinter der Laube. Nur noch kurz wippen die lila Astern im gelben Abendlicht. Die Saison auf der Parzelle von Susanne Fünfstück in der Kleingartenanlage »Zur Linde« am S-Bahnhof Baumschulenweg geht langsam zu Ende. Die Wildbienen sind aus den zahlreichen Insektenhotels ausgezogen, die über 20 Nistkästen leer. Jetzt heißt es, den Garten winterfest machen: Regentonne ausschütten, Büsche und Bäume schneiden, die Pumpe entleeren und frostfest verpacken.
Auf rund 2900 Hektar gibt es in Berlin 890 Kleingartenkolonien mit zusammen 71 473 Parzellen - überwiegend auf landeseigenem Gelände. »Keine vergleichbare Metropole hat eine so große Anzahl an privat nutzbaren Gärten im unmittelbaren Einzugsbereich der Innenstadt«, brüstet sich der Senat auf seiner Internetseite. Erholung, Klimaschutz, Gemüseanbau, soziales Vereinsleben: Die Argumente für Gärten sind vielfältig. Doch es werden immer weniger: 2012 gab es in Berlin beispielsweise noch 926 Anlagen mit 73 607 Parzellen.
»Der sogenannte Kleingartenentwicklungsplan ist eigentlich ein Kleingartenvernichtungsplan«, ätzte Günter Landgraf, Präsident der Gartenfreunde Berlin. »Wir brauchen mehr Grün in Berlin, nicht weniger.« Doch immer wieder sind Kolonien bedroht und müssen geräumt werden. Die Autobahn A100 wird verlängert: 300 Kleingärten müssen 2012 in Neukölln und Treptow weichen. Ein privater Investor will Wohnungen errichten: 152 Parzellen auf einer Teilfläche der privaten Kolonie Oeynhausen in Charlottenburg müssen weg. Aktuell bedroht sind zum Beispiel die Kolonie »Ehrliche Arbeit« in Adlershof wegen des Neubaus einer Schulturnhalle, und ebenfalls aus diesem Grunde sechs Parzellen der Kolonie »Bornholm II« in Prenzlauer Berg.
Wegen des dringend notwendigen Wohnungsbaus in der Hauptstadt verschärfte sich zuletzt die Debatte. Begehrlichkeiten auf die Flächen der Kleingärtner nehmen zu. Zuletzt sollte die Anlage »Blankenburg« in Pankow verschwinden, weil ein neues Stadtviertel mit mehr als 10 000 Wohnungen auf dem Gelände und auf angrenzenden Rieselfeldern entstehen sollte. Gartenbesitzer protestierten. Nun ist das Thema auf Sommer 2019 verschoben.
Während einige Kleingartenanlagen verschwinden, füllen sich die Wartelisten. »Über 10 000 Bewerber gibt es derzeit berlinweit«, hat Günter Landgraf nachgezählt. Darum habe der Verband der Gartenfreunde momentan auch einen Aufnahmestopp verhängt.
Seit Schriftsteller Wladimir Kaminer 2007 ein Buch über seinen inzwischen aufgegebenen Kleingarten in der Kolonie »Bornholm II« schrieb, liegen Gärten im Trend. Neben Interkulturellen Gärten, Gemeinschaftsgärten und ähnlichen neuartigen Projekten erlebt auch der klassische Kleingärtner eine Renaissance.
Scheinbar gibt es also auch bei jungen Menschen in der Großstadt durchaus eine Sehnsucht nach Bodenhaftung durch Natur und nach selbst angebautem Biogemüse. Wenige Zentimeter kurzer Rasen und ordentlich abgegrenzte Beete sind nicht mehr das vorherrschende Bild. Der Schrebergärtner von heute hat ein Herz für Insekten aller Art, lässt den Löwenzahn im Rasen blühen und verrichtet sein Geschäft auf dem Kompostklo.
Susanne Fünfstück hat zwar erfahren, dass sich Nachbarn beschweren, wenn mal wieder ein Ast über den Gartenzaun zum Nachbarn hinüberragt, aber mit ihrem Naturgarten liegt sie voll auf der Linie, die der Verband der Gartenfreunde proklamiert. Sie sagt: »Auch wir Städter müssen gucken, wie wir die Artenvielfalt erhalten können. Man muss auf Gift verzichten und beispielsweise torffreie Erde verwenden.« Dagegen, dass ihr üppig wuchernder Garten weniger Arbeit mache, verwahrt sie sich. »Ein Naturgarten braucht sogar mehr Kraft, als ein anderer Garten«, betont sie.
2020 läuft die offizielle Sicherungsfrist für viele Berliner Kleingärten - auch die der KGA »Zur Linde« - aus. »Wohnbaupotenzialfläche« ist momentan der Begriff, bei dem Kleingärtner über alle Gartenphilosophien hinweg Angst bekommen. Denn so sind die überwiegende Mehrzahl der Kleingartenflächen in Berlin kategorisiert. »Große Flächen, wie hier am Plänterwald sind natürlich reizvoll«, weiß Susanne Fünfstück.
Der Senat hielt sich lange bedeckt, was Bauprojekte auf Kleingartenland betrifft. Verbal äußerten die meisten Politiker große Sympathie für Kleingärten, auch sie sahen das Wählerpotenzial. Wie es tatsächlich kommen soll, wird sich erst zeigen, wenn Ende des Jahres der Entwurf des neuen Kleingartenentwicklungsplans vorliegt. Immerhin dürfen nach einem Bericht der »Morgenpost« die Pächter in 160 Kolonien aufatmen, denn Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) habe zugestimmt, die Bestandsgarantie für Kleingartenanlagen auf landeseigenen Flächen bis mindestens 2030 zu verlängern. Vorerst gerettet wären damit 6600 Parzellen und auch große Teile der Kleingartenanlagen »Bornholm I« und »Bornholm II«. Potenziell von Räumung bedroht wären demnach nur noch 5000 Parzellen auf privaten Grundstücken.
Dass auch Bezirke Kleingartenanlagen sichern können, macht momentan Lichtenberg vor. Seit Dezember 2017 fasste der Bezirk bereits 19 sogenannte Aufstellungsbeschlüsse für Bebauungsplanverfahren, die das Gebiet von 24 Kleingartenanlagen umfassen. Darin werden die Kleingärten als »Grünfläche« und nicht mehr als »Wohnbaupotenzialfläche« ausgewiesen. Die Berliner Umweltverwaltung unterstützt dieses Vorgehen. Man begrüße dies ausdrücklich, heißt es.
Doch wenn Kleingärtner auch weiterhin eine Lobby haben wollen, müssen sie sich öffnen, beispielsweise mit Schulen oder Kitas kooperieren. Günter Landgraf sieht die Gartenfreunde hier auf einem guten Weg: »Was die Öffnung betrifft, gibt es Hunderte von Projekten«. In einigen Anlagen am Plänterwald richteten die Schrebergärtner einen »Kleingartenpark« ein, der Anwohner zum Verweilen einladen soll. Susanne Fünfstück war bei der Planung dabei. »Manche wollen sich lieber einigeln. Aber das geht nicht, immerhin ist das öffentliches Pachtland, das wir beackern«, sagt sie.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.