Reiches Deutschland - arme Kinder

In der Bundesrepublik ist jedes sechste Kind armutsgefährdet / Thomas Krüger: »Kaum Fortschritte«

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Die SPD versucht derzeit, ihre Gesetze sexy zu verpacken. Denn darin, so meint sie, liege ihre Misere. Das »Starke-Familien-Gesetz« klingt entsprechend: wohlklingend, aber letzten Endes nichtssagend. Ein Aspekt ist die Erhöhung des Kinderzuschlags, also der Zuverdienstgrenze bei Grundsicherungsbeziehern. Gegenüber der Zeitung »Welt« sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) in genauso wohlklingenden Worten: »Damit entwickeln wir ein echtes Familienstärkungsgeld.« Denn: Die Große Koalition hat sich den Kampf gegen die Kinderarmut auf die Fahnen geschrieben. Vor wenigen Tagen wurde zudem eine Erhöhung des Kindergelds und des Kinderfreibetrags im Bundestag beschlossen. Das alles soll der Kinderarmut entgegenwirken und Familien besserstellen. Kinderrechte sollen zudem sogar ins Grundgesetz kommen.

Doch dass auf diesem Feld dringender Handlungsbedarf besteht, zeigt erneut ein Blick in die Statistiken. Den präsentierte am Mittwoch die Bundeszentrale für Politische Bildung gemeinsam mit dem Statistischen Bundesamt und dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) im aktuellen »Datenreport 2018«. Die Zahlen dieser Organisationen, die allesamt nicht im Verdacht stehen, sich mit einer tränenrührigen Sache gemein zu machen, sprechen für sich: Laut dem Statistischen Bundesamt ist derzeit jedes sechste Kind in Deutschland armutsgefährdet. Im Durchschnitt des Jahres 2017 waren 15,2 Prozent aller Menschen unter 18 Jahren in Deutschland von Armut gefährdet. Diese Grenze wird üblicherweise bei 60 Prozent des mittleren Einkommens gezogen. Personen, die weniger netto zur Verfügung haben, gelten als armutsgefährdet. »In den vergangenen Jahren sind hier in Deutschland kaum Fortschritte gemacht worden«, kritisierte Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung und Vorsitzender des Deutschen Kinderhilfswerks. Vor allem darauf verweist er explizit: »Der Anteil stagniert seit 2008 und zwar trotz der guten Wirtschaftsdaten.«

Auch der Mikrozensus sieht die Armutsgefährdungsquote bei Kindern auf hohem Niveau: Bei 15,8 Prozent im Jahr 2016. Seit 2010 sei der Wert sogar leicht gestiegen. Damals lag ernoch bei 14,5 Prozent.

Die Auswirkungen für die betroffenen Kinder sind beträchtlich. »Wir sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Situation des Elternhauses und dem Gesundheitszustand der Kinder«, sagte Mareike Bünning, Wissenschaftlerin am WZB. Jugendliche mit niedrigem sozioökonomischem Status haben demnach öfter psychische Probleme, ernährten sich ungesünder und trieben seltener Sport.

Dazu kommt ein weiteres Problem, das trotz zahlreicher Versprechungen der Regierenden nicht verschwindet: Bildungsungleichheit. Auch diese ist unmittelbar mit Armut verbunden. Arme Menschen sind zu großen Teilen niedrig gebildet, haben also keinen Schulabschluss oder nur einen Hauptschulabschluss. Auch hier verwiesen die Statistiker am Mittwoch auf verfestigte Zustände. Die Kinder von Menschen mit niedriger Bildung bleiben weiterhin oft in diesem Status. 55,5 Prozent der Kinder, die eine Hauptschule besuchen, haben Eltern, die entweder gar keinen Schulabschluss haben oder selbst nur die Haupt- oder Volksschule besucht haben. Hingegen haben zwei Drittel aller Kinder auf Gymnasien oder gymnasialen Schulzweigen mindestens ein Elternteil mit Abitur oder Fachabitur. »Die Zahlen im Datenreport zeigen, dass Klassenpositionen immer noch ›vererbt‹ werden, was gerade Menschen am unteren Rand der sozioökonomischen Leiter im schlimmsten Fall lebenslang auf eine bestimmte Klasse festlegt«, bilanzierte Krüger von der Bundeszentrale für Politische Bildung. Er forderte die Politik zum Handeln auf.

Und die Politik will liefern. Noch vor Weihnachten will Familienministerin Giffey ihr »Starke-Familien-Gesetz« zur Förderung ärmerer Familien im Kabinett einbringen. Doch: Genau so unverbindlich wie der Titel ist auch sein Inhalt. Andere würden sagen: unzureichend. Die Grünen führen an, dass nur 30 Prozent der Eltern, die einen Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, die Leistung tatsächlich in Anspruch nehmen. »Die anderen stellen keinen Antrag, scheitern an dem komplizierten Antragsverfahren oder geben irgendwann einfach auf. Viele kennen die Leistung auch schlicht nicht«, attestierten sie bereits in einem Antrag im Mai. Darin fordern sie automatisierte und vereinfachtere Auszahlung des Zuschlags. Insgesamt solle dies ein erster Schritt in Richtung einer Kindergrundsicherung sein.

Auch die LINKEN-Vorsitzende Katja Kipping sagte gegenüber »nd«: »All die Maßnahmen lösen nicht das grundsätzliche Problem. Während reiche Familien von Steuervergünstigungen besonders profitieren, kommen sie bei armen gar nicht an.« Kindergeld beispielsweise wird voll auf Hartz IV angerechnet. Kipping fordert deswegen eine Kindergrundsicherung in Höhe von rund 600 Euro. Diese solle mit dem Spitzensteuersatz der Eltern verrechnet werden, »so dass die Ärmsten die volle Kindergrundsicherung erhalten, während der Satz der vermögenden Familien bis auf 320 Euro abschmilzt.« Die LINKEN-Vorsitzende wies zudem auf ein weiteres Problem in der Debatte hin: »Damit Kinderrechte nicht nur auf dem Papier stehen, muss der Kampf bei der Armut der Eltern ansetzen. Das heißt: höhere Löhne, keine Sanktionen und eine Mindestsicherung von 1050 Euro.«

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