Kompetenzgerangel um Menschenleben

Über Kältebahnhöfe für Obdachlose in Berlin

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein trauriges Schauspiel, das sich zurzeit zwischen den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und dem Senat darbietet: Seit die BVG im September erklärt hat, dass sie ihre zwei Kältebahnhöfe nach 15 Jahren wegen Sicherheitsbedenken im Winter nicht mehr nachts für Obdachlose offen lassen wird, schieben sich Politik und Verkehrsbetriebe gegenseitig die Verantwortung für den nächsten Kältetoten zu. Die Kritik an der kaltherzigen Entscheidung der BVG ist so berechtigt, wie das Manöver des Berliner Senats, den landeseigenen Verkehrsbetrieben die alleinige soziale Verantwortung zuzuschieben, scheinheilig ist. Schließlich kommt die Entscheidung der BVG keineswegs überraschend: Schon seit Jahren kündigt sie an, dass bald Schluss ist mit den Kältebahnhöfen. Man kann dem Unternehmen durchaus unterstellen, dass es eher seine geschäftlichen Interessen als die Sicherheit der Obdachlosen im Blick hat. Nichtsdestotrotz hatten die politisch Verantwortlichen genug Zeit, nach Alternativen für diese Notlösung zu suchen.

Sicher gibt es unter den Obdachlosen einige, die nicht in die Einrichtungen der Kältehilfe gehen wollen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) mag damit zwar recht haben, doch wenn diese Feststellung mehr sein soll als nur ein Vorwand, sich aus der Verantwortung zu stehlen, muss man sich fragen, ob unter den rund 100 Obdachlosen, die laut BVG die Kältebahnhöfe nutzen, nicht auch einige sind, die dort nicht hingehen können. In vielen dieser Einrichtungen sind Alkohol, Drogen oder Hunde untersagt. Nun sind aber einige der Menschen, die auf der Straße leben, drogen- oder alkoholabhängig und/oder besitzen einen Hund. Auch für diese Menschen muss es Einrichtungen der Kältehilfe geben - und das ist die Aufgabe des Senats und nicht der BVG. Dass es ab dem 1. Dezember in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg eine neue Notunterkunft für 100 Obdachlose geben wird, in der bis zu zehn Hundebesitzer*innen ihre Tiere mitbringen können, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, reicht aber bei Weitem nicht aus.

Marie Frank
Marie Frank arbeitet im Ressort Hauptstadtregion. Ihre Schwerpunkte sind soziale Bewegungen und Asylpolitik. 

All dies macht die Entscheidung der BVG jedoch nicht weniger verwerflich. Wenn wirklich Sicherheitsbedenken der Grund waren, stellt sich die Frage: Warum jetzt und nicht schon vor 15 Jahren? Wenn dadurch Zugeständnisse vom Senat erpresst werden sollten, wäre das ein perfides Machtspiel auf dem Rücken der Schwächsten dieser Gesellschaft. Ob nun Taktik oder nicht, es ist gut, dass die Verkehrsbetriebe mittlerweile eingelenkt und die Nutzung der Zwischengeschosse der Bahnhöfe Lichtenberg und Moritzplatz in Kreuzberg angeboten haben. Es bleibt zu hoffen, dass der Senat der Forderung, dass das Land dafür sanitäre Einrichtungen und eine Betreuung der Obdachlosen sicherstellen muss, zustimmt und die Bahnhöfe endlich öffnen können. Bei den derzeitigen Temperaturen ist jeder Tag, der ungenutzt verstreicht, ein Spiel mit Menschenleben.

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