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Taiwan lehnt Ehe für alle ab
Volksabstimmung entscheidet gegen Urteil des Obersten Gerichtshofs in Taipeh
Die Hoffnung der Lesben und Schwulen in Taiwan auf die Möglichkeit zur regulären Eheschließung hat einen schweren Rückschlag erlitten. Bei einem Referendum haben die Taiwaner sich am Samstag gegen eine Rechtsänderung entschieden. Auf die Frage: »Sollten das Bürgerliche Gesetzbuch die Ehe darauf beschränken, zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen zu werden?« antwortete bei der Abstimmung rund sechs von zehn Wahlberechtigten mit »Ja«. Die Regierung ist zwar nicht streng an das Ergebnis der Abstimmung gebunden, doch sie kann das es auch nicht ignorieren.
Die Befürworter der Ehe für alle zeigen sich schwer enttäuscht. »Es war ein ungleicher Kampf bei diesem Referendum«, kommentierte die Taiwaner Allianz zur Förderung der zivilen Partnerschaftsrechte (TAPCPR). »Unsere Gegner hatten Hunderte von Millionen von Taiwan-Dollar für Werbung aufgebracht.« Die Organisation forderte Regierung und Gesetzgeber auf, die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender (LGBTIQ) weiterhin zu schützen. Die homo-feindlichen Gruppen, die unter dem Deckmantel der Familienwerte operierten, missbrauchten die Instrumente der Demokratie, um eine rationale Diskussion zu unterdrücken, so TAPCPR.
Eigentlich galt die Ehe für alle auf der Insel in Ostasien daher schon als beschlossene Sache. Schon im Mai vergangenen Jahres hatte das Verfassungsgericht in Taipeh eine Gleichstellung angeordnet. In dem Urteil verdonnerte das Gericht die Regierung, innerhalb von zwei Jahren ein Gesetz für eine Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu erlassen. Alles andere bedeute Diskriminierung eines Teils der Bevölkerung. Bei der progressiven Präsidentin Tsai Ing-Wen rannten sie damit offene Türen ein. Taiwan wäre das erste Land in Ostasien gewesen, in dem Schwule und Lesben regulär heiraten können.
Doch nun wird es wohl allenfalls eine »kleine Lösung« geben und nicht die große Reform des Eherechts. Präsidentin Tsai steht innenpolitisch bereits jetzt schon schwer unter Druck. Sie musste als Parteichefin zurücktreten, weil sie bei den Kommunalwahlen - ebenfalls am Samstag - eine schwere Schlappe erlitten hat. Das Verhältnis zum immer übermächtigeren China ist ebenfalls ein dominierendes Thema in der öffentlichen Debatte. Tsai könne sich da gesellschaftspolitisch keine offene Flanke leisten, warnen Parteifreunde.
Konservative Gruppen liefen in den vergangenen Monaten Sturm gegen die Ehe für alle. Sie verstoße gegen die konfuzianische Familienwerte, sagten Vertreter der »Koalition für das Glück der nächsten Generation«. Sie suggerierten in Werbeanzeigen, dass ein »Ja« zur Homo-Ehe die Kinder in großer Zahl dazu verführe, schwul und lesbisch zu werden. Die Folge sein dann eine Welle von HIV-Infektionen, die das Gesundheitssystem überlaste. Infolgedessen würden Rentner keine ausreichende Behandlung mehr erhalten, behauptete die »Koalition«. Die Mehrheit müsse nicht einer Minderheit gehorchen, lautete einer ihrer Sprüche.
Menschenrechtsgruppen und LGBTQI-Vertreter kritisierten diese Propaganda als einen Verstoß gegen den Geist der taiwanischen Verfassung. Die Befürworter der Ehe für alle brachten in das gleiche Referendum ihre konkurrierenden Fragen ein, holten sich aber eine Abfuhr beim Volk. »Das Ergebnis ist wirklich enttäuschend«, sagt Chang Pei-Li, ein offen schwul lebender Angestellter in Taipeh. Die Gesellschaft habe seine Form zu leben zurückgewiesen. Das schmerze auch dann, wenn rechtlich-formal doch noch eine Gleichstellung erfolge. »Ich bin traurig. Diese Leute bewahren wirklich mit aller Macht ihre Spießigkeit«, sagt der 42-Jährige.
Verfassungsrechtlich ist in Taiwan nicht so ganz geklärt, was passiert, wenn ein Urteil des Obersten Gerichts gegen den Ausgang eines Referendums steht. Aus Sicht der Regierung zeichnet sich jedoch bereits eine pragmatische Lösung ab. Sie will dem Willen des Volkes nachkommen, indem sie das Bürgerliche Gesetzbuch (Minfa) unangetastet lässt. Die Ehe bleibt also eine Institution zwischen Mann und Frau. Zugleich will Tsai in einem neuen Gesetz eine eingetragene Partnerschaft mit gleichen Rechten einführen. Schon jetzt können sich gleichgeschlechtliche Paare auf zahlreichen Ortsämtern registrieren lassen - dieser Schritt ist also nicht so groß. Mit der pragmatischen Lösung dürfen allerdings beide Seiten gleichermaßen unglücklich sein.
Auch die lesbische Politikerin Miao Poya, die bei den Kommunalwahlen am Samstag als erste offen lebende Vertreterin der LGBTQI-Bewegung in einen Landtag gewählt wurde, zeigte sich in einer Botschaft auf Facebook enttäuscht. Sie führte das Ergebnis bei dem Referendum auf Desinformation durch die Gegenseite zurück und forderte die Bürger auf, ihre örtlichen Abgeordneten aufzusuchen. Dort sollten sie auf eine Gesetzesänderung dringen. Die Lage sei nicht hoffnungslos - nur kompliziert.
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