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Freie, Gleiche und Herrin ihrer Geschicke
August Bebels berühmtestes Buch, »Die Frau und der Sozialismus«, enthält noch viel Unabgegoltenes
Dem noch jungen Manifest-Verlag ist zu danken, marxistische Klassiker wieder unter die Menschen zu bringen, zwecks Aufklärung und Vernunftstärkung. Passend zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts in Deutschland gab er beispielsweise August Bebels »Die Frau und der Sozialismus« neu heraus. Der Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie und einer der wenigen damaligen männlichen Vorkämpfer für Frauenrechte hat selbst nicht mehr miterlebt, dass Frauen wählen und sich wählen lassen konnten, starb er doch bereits 1913. Sein wohl berühmtestes Buch erschien erstmals 1897 in Zürich und erlebte bis 1910 allein 50 Auflagen. Die Neuausgabe offeriert ausgewählte Vorworte, in denen Bebel seine Widersacher überzeugend widerlegt.
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August Bebel: Die Frau und der Sozialismus.
Manifest-Verlag, 398 S., br., 16,90 €.
Eingeleitet wird die neue Edition sach- und fachkundig von Linda Fischer. Sie zitiert Clara Zektin, die Bebels Werk lobte: »Zum ersten Male wurde darin den Genossen klargelegt, in welchem Zusammenhange die Frauenfrage mit der geschichtlichen Entwicklung steht, zum ersten Male ertönte aus diesem Buch der Ruf: Wir können die Zukunft nur erobern, wenn wir die Frauen als Mitkämpferinnen gewinnen.«
Tatsächlich sah Bebel die Frauenfrage eng mit der sozialen Frage verbunden. »Sein Buch erzwang ein Umdenken, da es unweigerlich klar machte: Keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau.« Linda Fischer konstatiert, dass - trotz etlicher Errungenschaften seither - »wir weit von einer gleichberechtigten Gesellschaft entfernt« sind. Sie verweist auf Lohnunterschiede, Gewalt gegen Frauen, Sexismus in den Medien und am Arbeitsplatz, ungleiche Verteilung der Hausarbeit, Kindererziehung und unentgeltlichen Pflege. Aktuell ist Bebels Schrift auch insofern, als er die Verantwortung der Gesellschaft für Erziehung, Bildung, Mutterschutz, Altenpflege, Gesundheit und Wohnen (!) betonte - was DDR-Bürger schon erfahren durften und was sie nach 1990 oftmals schmerzlich vermissten.
Bebel würdigte die bürgerliche und proletarische Frauenbewegung: »Immerhin haben die feindlichen Schwestern weit mehr als die im Klassenkampf gespaltene Männerwelt eine Reihe Berührungspunkte, in der sie, getrennt marschierend, aber vereint schlagend, den Kampf führen können.« Die Überlegenheit sozialdemokratischer über bürgerliche Frauenvereine sieht er in der Erkenntnis, dass »alle Schranken zu beseitigen (sind), die den Menschen vom Menschen, also auch das eine Geschlecht vom anderen, abhängig machen ... Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit und Gleichstellung der Geschlechter.« Dementsprechend wie in Stein gemeißelt sein erster Satz: »Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein.«
Im ersten Abschnitt untersucht Bebel die Stellung der Frau in der Urgesellschaft, sich auf Studien von Marx und Engels sowie des US-Anthropologen Lewis Henry Morgan stützend. Er zeigt, wie das Mutterrecht mit dem Aufkommen der Klassengesellschaften vom Vaterrecht verdrängt wurde. Für die Reformation, die eine kleine Aufwertung der Frau brachte, vermerkt er: »Die gesunde Sinnlichkeit des Mittelalters fand in Luther ihren klassischen Dolmetsch.« Für das 18. Jahrhundert konstatiert er »Charakterlosigkeit und Schamlosigkeit«, um die es »am schlimmsten stand in den beiden deutschen Hauptstädten, in Wien und Berlin«. Und vom britischen Ökonom John Stuart Mill übernimmt er den Befund: »Die Ehe ist die einzige wirkliche Leibeigenschaft.«
Mit Statistiken unterfüttert, setzt sich Bebel mit Geldehe und Ehebörse auseinander, mit sozialer Not geschuldetem »Kindesmord« und »Fruchtabtreibung«, Prostitution und femininen Selbstmord. Man liest hier beispielsweise: »Die Männerwelt hat stets die Benutzung der Prostitution als ein ihr von ›Rechts wegen‹ zukommendes Privilegium betrachtet. Um so härter und strenger wacht und urteilt sie, wenn eine Frau, die keine Prostituierte ist, einen ›Fehltritt‹ begeht.« Fabrik- und Hausarbeit werden eingehend diskutiert. »Es ist wahrlich kein schöner Anblick, Frauen, sogar im schwangeren Zustand, mit den Männern um die Wette beim Eisenbahnbau schwer beladene Karren fahren zu sehen oder sie als Handlanger, Kalk und Zement anmachend oder schwere Lasten und Steine tragend, beim Hausbau zu beobachten«, klagt Bebel. Immer wieder blickt er in die weite Welt, in die USA, nach Neuseeland, China und Russland. Er unterbreitet gar bereits frappierend moderne Überlegungen zu Nachhaltigkeit und Ökologie.
Besonders wichtig ist ihm freilich der Kampf um Bildung und um die gleiche politische und rechtliche Stellung der Frau. Bebels Zukunftsvision: »Die Frau der neuen Gesellschaft ist sozial und ökonomisch vollkommen unabhängig, sie ist keinem Schein von Herrschaft und Ausbeutung mehr unterworfen, sie steht dem Manne als Freie, Gleiche gegenüber und ist Herrin ihrer Geschicke.« Möge es endlich so sein!
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