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Der Triumph der giftigen Alge
Ozeanversauerung stört das Nahrungsnetz im Wasser
Unter dem Mikroskop ähnelt sie ein wenig einer mehrfarbig schillernden Himbeere. Mit bloßem Auge ist sie nicht erkennbar, denn Vicicitus globosus ist gerade mal 30 Tausendstel Millimeter groß. Außer in den Polarmeeren kommt die giftige Alge in allen Ozeanen vor. Das Besondere an ihr ist aber, wie gut sie niedrigere pH-Werte verträgt. Während insbesondere die kalkbildenden Organismen unter der zunehmenden Versauerung der Weltmeere leiden, vermehrt sich Vicicitus globosus ab einer Kohlendioxidkonzentration von 600 ppm (parts of million) im Wasser; bei 800 ppm produziert sie ausgedehnte Blüten. Dies zeigt ein Langzeitexperiment unter der Leitung des GEOMAR Helmholtzzentrums für Ozeanforschung Kiel, dessen Ergebnisse kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Climate Change erschienen.
Das internationale Forscherteam installierte vor Gran Canaria neun Mesokosmen - 15 Meter lange, senkrecht zur Wassersäule stehende Kunststoffschläuche mit einem Durchmesser von etwa zwei Metern. Ihr Wasserkörper enthielt dieselbe Arten wie das umliegende Wasser, war jedoch davon räumlich getrennt. Die Wissenschaftler senkten darin den pH-Wert auf das Niveau, das sie in 30 bis 40 Jahren in den Weltmeeren je nach IPCC-Szenario erwarten. Über einen Zeitraum von 57 Tagen beobachteten sie nun, wie sich die künstliche Versauerung des Wassers auf die Lebensgemeinschaft auswirkte.
Die giftige Algenblüte hatte für die Meeresfauna dramatische Folgen: »Alles Leben oberhalb der Algen wurde massiv dezimiert. Das gesamte Nahrungsnetz brach zusammen«, erzählt Ulf Riebesell, Professor für Biologische Ozeanographie am GEOMAR und Erstautor der Studie. Dabei war es offensichtlich nicht der niedrigere pH-Wert, der die anderen Meereslebewesen zur Strecke brachte, sondern die Algen selbst: »Keiner frisst sie, weil sie so toxisch sind«, so der Kieler Forscher. Möglicherweise nehme ihre Giftigkeit mit steigendem CO2-Gehalt sogar noch zu.
Die Massenvermehrung der Alge stört zudem die organischen Stoffkreisläufe der Ökosysteme: »Weil Vicicitus globosus nicht gefressen wird, werden anschließend auch keine Kotballen gebildet, die den Kohlenstoff in die Tiefe transportieren. Auch die Algen selbst sinken nicht zum Meeresgrund«, erklärt der Meeresbiologe. Wird der Kohlenstoff jedoch an der Oberfläche abgebaut, bleibt er dort erhalten und begünstigt so ein weiteres Wachstum der giftigen Alge.
Vicicitus globosus wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach mit lokalen Fischsterben assoziiert. Diese Gefahr sehen die Forscher bei sinkendem pH auch für die Gewässer vor den Kanaren, wo sich zahlreiche Aquakulturen befinden. »Dies ist der erste Nachweis aus einer Freilandstudie, dass Ozeanversauerung giftige Algenblüten fördern kann«, warnt Riebesell. »Um nicht blauäugig ungünstige Entwicklungen zu provozieren, ist es dringend notwendig, Monitoringprogramme auszuweiten, gerade in den Subtropen und Tropen, wo diese noch fehlen.«
In dem Feldversuch war Vicicitus globosus der einzige Nutznießer eines niedrigeren pH-Werts des Wassers. Man weiß jedoch, dass auch andere Arten wie die Blaualgen oder einige Fadenalgenarten davon profitieren können: »Evolutionsbiologisch stammen sie alle aus einer Zeit, in der der CO2-Gehalt im Wasser aber auch in der Luft um ein Vielfaches höher lag als heute. Deshalb sind sie in ihrer Kohlenstoffnutzung relativ ineffizient«, sagt Riebesell. Bei einer höheren Konzentration können sie ihre Photosyntheseraten steigern und die bisherigen Produzenten verdrängen.
Für Nicola Wannicke, Spezialistin für Cyanobakterien am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), ist es bei Blaualgen ein Zusammenspiel von Faktoren, das eine Massenvermehrung begünstigt: »Die zeitgleiche Erhöhung der Temperatur ist ein weitaus prägnanteres Phänomen und hat hier den deutlich größeren Einfluss«, erklärt sie. Zentral sei außerdem die Nährstoffzufuhr aus der Landwirtschaft.
Das deckt sich mit den Ergebnissen des auslaufenden Forschungsprogramms BIOACID für das Ökosystem des Ostseebodens: »In der Lebensgemeinschaft mit anderen Organismen wird der Versauerungseffekt komplett weggepuffert, etwa weil die Großalgen das CO2 aus dem Wasser saugen und kompensieren«, so Martin Wahl, Professor für Marine Ökologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Bei den tropischen Korallenriffen steht oder fällt dagegen ein ganzes Ökosystem mit den Steinkorallen. »Bestehende Daten deuten darauf hin, dass wir in den nächsten 30 bis 40 Jahren über die Hälfte dieser Riffe verloren haben werden«, warnt Riebesell. Eine Chance zu ihrer Rettung sieht er in der Ansiedlung von Seegras in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Doch diese Idee steckt, laut dem britischen Meeresökologen Richard Unsworth, der seit Jahren zu dieser Pflanze forscht, noch in den Kinderschuhen. »Wir haben herausgefunden, dass in den Mittagsstunden der pH-Wert in Seegraswiesen bei bis zu 9 liegen kann. Wir nehmen an, dass sie damit den angrenzenden Riffen einen gewissen Schutz vor Ozeanversauerung geben können«, erklärt er. Das größte Problem dabei sieht er jedoch in dem globalen Verlust dieser Lebensräume durch Ozeanerwärmung, Wasserverschmutzung und Zerstörung, wie er in einer im Oktober erschienenen Studie zeigt https://link.springer.com/article/10.1007/s13280-018-1115-y.
Doch selbst wenn es in Zukunft gelingen sollte, an strategischen Orten Seegras anzusiedeln, bliebe vielerorts das Problem bestehen: »Die Versuchsergebnisse sind ein weiteres Argument dafür, unsere CO2-Emissionen drastisch zu senken«, so Riebesell.
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