Zeugnis der Schuld

»Die guten Feinde« dokumentiert den skandalösen Umgang mit den Widerstandskämpfern der »Roten Kapelle«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Manchmal ist es sinnvoll, das Ende vor den Anfang zu setzen, also die Folgen der Geschichte vor ihren Ursprung. Der große Dramatiker Günther Weisenborn zum Beispiel starb 1969 wie so viele Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus verbittert und verfemt in innerer Emigration. Der furchtbare Blutjurist Manfred Roeder dagegen, dem er sein Schicksal zu verdanken hatte, lebte wie so viele NS-Täter bis zu seinem Tod 1971 unbescholten und wohlgelitten von seiner Richter-Pension.

Es ist auch sieben Jahrzehnte nach dieser Gründungssünde der jungen Bundesrepublik schier unfassbar, mit welcher Nonchalance sie die personelle Verantwortung für Terror, Krieg und Völkermorde im besten Fall ignorierte, im schlimmeren (ungleich häufigeren) verdrehte. Wer das Porträt »Die guten Feinde« auf Arte sieht, könnte darüber noch immer verzweifeln. 90 Minuten lang skizziert der Filmemacher Christian Weisenborn die bewegte Lebensgeschichte seines berühmten Vaters. Und das Resultat ist ein beredtes Zeugnis der Schuld, die Deutschland auch nach dem Ende des größten aller Menschheitsverbrechen auf sich geladen hat.

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Dabei beginnt alles so fröhlich. Im soziokulturellen Aufbruch der wilden 1920er Jahre wächst die rheinische Frohnatur Günther Weisenborn neben Bertolt Brecht zum neuen Licht im Berliner Kulturbetrieb heran. Gleich sein Dramendebüt »U-Boot S 4« wird an der Volksbühne mit Heinrich George in der Hauptrolle zum pazifistischen Fanal der Weimarer Boheme. Der Mittzwanziger ist zu dieser Zeit bestens vernetzt, weithin beliebt - bis ihn die Nazis vom Star zum Paria machen. Weisenborn - weit jenseits radikaler Gesinnungen - schließt sich einer Widerstandsgruppe an: der »Roten Kapelle«. Humanistisch statt ideologisch geprägt, kümmern sich deren Mitglieder eher um Verfolgte des NS-Regimes als um dessen gewaltsamen Sturz, werden dafür selbst von der Sowjetunion rechts liegen gelassen und laufen lange knapp unterm Radar der Gestapo. Als sich dies während des Krieges ändert, landen Hunderte von Rotkapellisten in Haft. Darunter Günther Weisenborn. Er überlebt sie vermutlich wegen seines Nachnamens. Nur weil die Gestapo ihre Gefangenen vorm russischen Einmarsch streng nach Alphabet exekutiert, kann sein Sohn Christian, Jahrgang 1947, jetzt also vom Vater und seiner Gemeinschaft erzählen.

Er tut es mit reichhaltigem Filmmaterial, Archivfotos, Interviews mit Nachfahren prominenter Zeitzeugen und dezentem Reenactment, also relativ konventionell. Leider. Denn so intensiv sich der Autor mit seinem Bruder Sebastian auf die Suche nach Spuren des gemeinsamen Vaters begibt, so kurz gerät die Abhandlung der Nachkriegsfolgen für die Mitglieder der »Roten Kapelle«. Ganze zehn Minuten widmet Christian Weisenborn dem Mythos von der »Fünften Kolonne des Kommunismus«, den kein Geringerer als ihr Chefankläger Manfred Roeder so hartnäckig unters Tätervolk mischt, bis selbst Günther Weisenborns geliebter »Spiegel« darauf hereinfällt. Obwohl er nicht zu den 59 Mitstreitern gehört, die auf Roeders Geheiß an Fleischerhaken in Berlin-Plötzensee sterben, zerbricht der Überlebende letztlich an dieser Ignoranz.

Das aufs Finale der Dokumentation einzudampfen, ist ihr Makel. Sehenswert bleibt der Film dennoch. Ungemein ergreifend. Und ein Mahnmal verdrängter Gerechtigkeit, auf der dieses Land bis heute fußt.

Arte, 22.50 Uhr

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