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Ein Produkt blühender Fantasie
Heli Ihlefeld über Willy Brandt und andere Bonner Politikgrößen
Frau Ihlefeld, Sie haben ein munteres Sprüche-Büchlein herausgebracht: »Brandt to go.« Was ist Ihr liebster Spruch?
Es fällt mir schwer, einen zu benennen, weil es so viele Sprüche sind, die ich mag. Vielleicht: »Die Demokratie lebt von der Anteilnahme und dem politischen Engagement ihrer Bürger.« Oder: »Mehr Demokratie wagen.« Sehr sympathisch für mich war auch sein Wunsch, es möge wieder einen »blauen Himmel über der Ruhr« geben. Solche Einsichten und Ziele habe ich im letzten Wahlkampf meiner Partei, der SPD, vermisst. Man hat zu wenig erklärt, um was es geht, es sind nicht die wirklich wichtigen Themen angesprochen worden.
»Wir waren Freunde halt. Und das war gut«, sagt Heli Ihlefeld und meint damit ihr Verhältnis zu Willy Brandt. Die Journalistin hat für diverse bundesdeutsche Zeitungen gearbeitet und mehrere prominente Politiker interviewt, bevor sie Pressesprecherin der ersten Bundestagspräsidentin, Annemarie Renger, wurde und später bei der Deutschen Telekom als Gleichstellungsbeauftragte eine »Kultur auf Augenhöhe« durchzusetzen versuchte. Mit der 83-Jährigen sprach Karlen Vesper.
Wichtig finde ich: »Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.«
Und er betonte: »Außenpolitik soll Generalstabsarbeit für den Frieden sein.« Willy Brandt hat wichtige Akzente gesetzt, immer die Zukunft im Blick gehabt. Er hat seine Politik aber auch am Tag ausgerichtet, nicht fantasiert und Schritt für Schritt versucht, seine Vorstellungen umzusetzen. Da kann seine Partei noch viel von ihm lernen. All das fehlt mir zurzeit in der Politik der SPD ein bisschen.
Steht deshalb im SPD-Domizil in Berlin eine zerknitterte Skulptur von Brandt, weil die Partei mit ihm eigentlich nichts mehr am Hut hat?
(Lacht herzlich) Na ja, das ist Kunst, dazu will ich mich nicht zu äußern. Ich kann nur meine Meinung äußern, dass die SPD heute nicht viel aus Brandt macht.
Der Antifaschist und Emigrant Willy Brandt ist in Nachkriegswestdeutschland lange als »Landesverräter« diffamiert worden. Hat ihn dies nicht mit besonderem Misstrauen seiner Umgebung gegenüber erfüllt?
Er hat sicher darunter gelitten, dass man es ihm so schwer machte, aber er hat weitergekämpft und war ein großartiger Wahlkämpfer. Ihm gelang es im Adenauer-Deutschland Jahr für Jahr den Stimmenanteil für die SPD zu erhöhen, bis er nach einem fulminanten Wahlkampf 1972 die Mehrheit für seine Partei errang. Ich war damals Mitglied der Wählerinitiative …
… die Günter Grass ins Leben rief.
Ja, und auch ich habe für Willy Brandt geworben. Er hat es geschafft, nicht nur seine eigenen Genossen zu packen, sondern auch die Bürger, die der SPD fernerstanden. Es war eine spannende Zeit.
Sie haben verschiedene Größen der Bonner Politik porträtiert. Wer war am angenehmsten als Gesprächspartner?
Ich habe mich gern mit dem Staatsrechtler Carlo Schmid unterhalten, einem der Väter des Grundgesetzes und des Godesberger Programms der SPD.
Der in der NS-Zeit aber keine rühmliche Rolle spielte.
Er hat sich aber in der Nachkriegszeit für die deutsch-französische Versöhnung eingesetzt. Er war sehr geistreich. Auch Thomas Dehler von der FDP, Bundesjustizminister. Beeindruckend war auch Hildegard Hamm-Brücher, ebenfalls von der FDP und Staatsministerin im Auswärtigen Amt. In der NS-Zeit war sie mit Mitgliedern der studentischen Widerstandsgruppe »Weiße Rose« um Hans und Sophie Scholl in Kontakt. Hamm-Brüchers Großmutter war Jüdin.
Welche Interviewpartner enttäuschten Sie?
Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Helmut Schmidt.
Warum?
Kohl war damals noch Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, ich sollte ihn für meine Zeitung zum Gnadenrecht kraft seines Amtes befragen. Er konnte nichts dazu sagen. Das Interview ist nicht erschienen. Punkt. Genscher hatte eine sehr diplomatische politische Sprache, da war mir immer zu wenig Aussage. Da war ich auch enttäuscht. Schmidt wollte ich für eine Biografie über seine Freundschaft zum DGB-Vorsitzenden Ernst Breit befragen. Das Gespräch war mit diesem Thema verabredet. Er hatte dann wohl keine Lust. Jedenfalls antwortete er gleich auf meine erste Frage schroff: »Ich bin nicht mit Ernst Breit befreundet!« Da bin ich gegangen.
Sie waren später Pressesprecherin der ersten weiblichen Bundestagspräsidentin, der Sozialdemokratin Annemarie Renger.
Ich habe die Fronten gewechselt. Als Journalistin habe ich mich auch schon immer für die Fragen der Gleichberechtigung und Emanzipation der Frauen interessiert. Und nun hatten wir die erste Frau im dritthöchstem Staatsamt der Bundesrepublik. Dafür gab es damals keine gute Presse. Die Medien interessierte nur, ob die Frisur sitzt und das Kleid passend ist.
Was jahrelang auch die erste Bundeskanzlerin, Angela Merkel, erleiden musste.
Das fand ich alles ganz furchtbar und unmöglich. Ihre Aussagen zu politischen Themen wurden dagegen nicht wahrgenommen. In den letzten zwei Jahren der Legislaturperiode von Annemarie Renger gelang es mir, durch eine gute und gezielte Pressepolitik das Bild von ihr in der Öffentlichkeit zu verändern. Ihre politischen Aussagen wurden wahrgenommen und sie wurde besser und zutreffender porträtiert. Sie hatte letztlich eine gute Presse.
Später wurden Sie Gleichstellungsbeauftragte beim Telekom-Konzern.
Ich war zunächst Pressesprecherin bei der Bundespost, die dann unter dem christdemokratischen Postminister Christian Schwarz-Schilling in drei Unternehmen zerschlagen wurde - Post, Telekom und Postbank. Gleichstellungsbeauftragte bei der Telekom wurde ich deshalb, weil ich glaubte, dort einiges bewegen zu können. Und ich denke, ich habe einiges erreicht, um eine Kultur auf Augenhöhe im Betrieb zu kreieren.
Angesichts 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland - wie ist es Ihrer Meinung nach um die Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau bestellt?
Es gibt noch viel zu tun. Frauen müssen paritätisch überall präsent sein, ob in der Politik, im sozialen Bereich, in Wissenschaft und Bildung oder in der Kultur. Denn wir Frauen sind nicht nur die Hälfte der Menschheit, ohne uns gäbe es überhaupt keine Menschheit!
Wie hielt es Willy Brandt persönlich mit der Achtung und Anerkennung der Frau?
Eine gute Frage. Mich hat immer geärgert, dass er als »Weiberheld« diskreditiert wurde. Er hatte ein ganz großes Charisma, das ist richtig. Aber die Frauen liebten ihn nicht, weil er ein Charmeur war, sondern weil er sie respektierte, ihnen auf Augenhöhe begegnete und nicht irgendwelche Spielchen mit ihnen trieb, wie von anderen großen, mächtigen Männern durch die MeToo-Debatte bekannt ist. Er zeigte Respekt und Anerkennung den ihn umgebenden Frauen gegenüber, zum Beispiel seiner Staatsministerin Katharina Focke.
War die Enttarnung des HVA-Spions Günter Guillaume an seiner Seite der wahre Grund für den Rücktritt von Willy Brandt 1974? Brandts engster Vertrauter Egon Bahr vergoss damals Tränen und befand die Entscheidung des Freundes für falsch.
Das sehe ich auch so. Alle, die ihn liebten, waren natürlich unendlich traurig und entsetzt, als Willy Brandt seinen Rücktritt erklärte. Ich glaube, es gab mehrere Gründe für seine Entscheidung. Vor allem war er enttäuscht und zutiefst betroffen, dass er so wenig Unterstützung erhielt. Herbert Wehner, führendes Mitglied seiner Partei, wie auch Genscher, mit dem Willy Brandt die neue Ostpolitik in die Wege geleitet hatte, ließen ihn schnöde im Stich. Es war sogar Genscher, der ihm letztlich diesen Spion ins Nest gesetzt hatte. Sodann gab es auch die vielen Gegner von Brandts Entspannungspolitik, die die Gunst der Stunde nutzten.
Zudem dürfte der erste sozialdemokratische Bundeskanzler auch von den großen Demonstrationen der Gewerkschaften gegen ihn enttäuscht gewesen sein?
Kann sein. Aber er war auch gesundheitlich nicht auf der Höhe, war ausgepowert von einem erfolgreichen, aber anstrengenden Wahlkampf. Er wollte wohl einfach nicht mehr.
»Weibergeschichten«, die ihn nach der Logik der Geheimdienste für ausländische Mächte erpressbar gemacht hätten, waren nicht der Grund für den Rücktritt - der dann also ein erzwungener gewesen wäre?
Ach, Quatsch. Nein. Willy Brandt war mit Sicherheit nicht erpressbar. In seinen Erinnerungen schrieb er selbst über das Gerücht um Weibergeschichten: »Ein Produkt blühender Fantasie ...«
Willy Brandts wohl bekanntester Ausspruch lautete: »Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.« Er sagte dies angesichts des Falls der Mauer. Ein Irrtum? Nicht nur angesichts der fortbestehenden mentalen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen, sondern auch der sozialen?
Im Sommer 1973 wurde der Bundeskanzler von Journalisten gefragt, ob er damit rechne, die Wiedervereinigung Deutschlands noch zu erleben. Damals antwortete er: »Ende dieses Jahres werde ich 60 sein. Ich möchte von der Güte des Herrn nicht allzu viel erwarten. Daher meine ich, bei realistischer Beurteilung, dass ich dies möglicherweise der nächsten Generation überlassen muss.« Dann kam die Überraschung. Kurz vor seinem Tod, drei Jahre nach dem Fall der Mauer, erinnerte er daran, dass man angesichts der Geschichte einen langen Atem haben müsse. Und er ergänzte seinen Satz von 1989: »Abgeschlossen ist der Prozess des Zusammenwachsens erst, wenn wir nicht mehr wissen, wer die neuen und wer die alten Bundesbürger sind.«
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