Der schreibende Barmann

Berlin-Redakteur Nicolas Šustr hat den Zapfhahn gegen Stift und Zettel eingetauscht

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.
Der schreibende Barmann

Einen Kindheitstraum hat sich für Nicolas Šustr durch seine Arbeit als Redakteur für »neues deutschland« erfüllt. »Nach Müllmann und Lokomotivführer wollte ich Journalist werden«, erzählt er bei einem Feierabendbier in der Kreuzberger Bar »Möbel Olfe«, die nicht nur bei Schwulen und Lesben sehr beliebt ist. Den Lokomotiven ist Šustr zumindest inhaltlich treu geblieben: Neben der Wohnungspolitik ist er im Ressort »Hauptstadtregion« vor allem mit Verkehrspolitik betraut.

Das Schreiben liegt ihm sozusagen im Blut - durch seine Mutter, die 1968 aus Prag nach Westberlin emigrierte, hatte er viel mit der Literaturszene zu tun. Bereits mit 14 Jahren schrieb er seinen ersten Artikel für die Fachzeitschrift »Stadtverkehr«. Eine ganze Doppelseite füllten seine Ausführungen über die Mailänder U-Bahn damals. Auch 28 Jahre später schreibt Nicolas Šustr in Windeseile ganze Seiten voll - wenn man ihn lässt.

Dennoch war sein Weg in den Journalismus nicht so gradlinig, wie man meinen könnte. Sein Linguistikstudium an der Uni Potsdam schmiss er bereits nach drei Semestern, auch das Geschichtsstudium hielt er nur unwesentlich länger durch. Seiner Leidenschaft fürs Schreiben blieb er jedoch treu: Nach einem Praktikum beim Berliner Stadtmagazin »zitty« schrieb er viele Jahre lang als Freier für deren Gastro-Rubrik, später landete er bei der Nachrichtenagentur ddp und schließlich beim Inforadio-Verkehrsservice des rbb.

Da das Leben als freier Journalist nicht sonderlich viel abwarf, eröffnete der damals 29-Jährige mit einem Freund die Bar »Sofia« in Kreuzberg. »Ich wollte vor meinem 30. Geburtstag nicht mehr auf den Unterhalt meiner Eltern angewiesen sein«, erklärt er seinen Ausflug ins Gastro-Gewerbe. Es dauerte zwar eine Weile, bis der Laden Gewinn abwarf, doch als es so weit war, folgten »ein paar Jahre Fröhlich-die-Nächte-Durchmachen und dabei noch Geld verdienen«, wie er schmunzelnd erzählt.

Seine Erfüllung fand er dort jedoch nicht. Als 2006 sein heutiger Ressortleiter Martin Kröger auftauchte und ihm einen Job als freier Mitarbeiter anbot, war er sofort dabei. So oft es ging, schrieb er neben seiner Arbeit in der Kneipe für das »nd«. Der Fleiß zahlte sich aus: Als 2015 Bernd Kammer, genannt »Bahn-Bernd«, in Rente ging, war Šustr zur Stelle und übernahm die Themen des scheidenden Redakteurs, der sich auch als »Bau-Bernd« einen Namen gemacht hatte.

Bauen ist heute weniger sein Gebiet, eher das Thema Mieten, wo er sich mittlerweile einen guten Ruf erarbeitet hat und bestens vernetzt ist. »Das Thema Wohnen ist oft nicht so abstrakt wie das Thema Verkehr, hier geht es um konkrete Schicksale«, erzählt er. Berlin sei von den steigenden Mieten komplett überfahren worden, »und das hört ja nicht auf«. Schon einige Male seien die Menschen, mit denen er zu tun hat, in Tränen ausgebrochen.

Bereut hat er seine Berufswahl nie: »Es ist zwar anstrengend, aber die Arbeit an sich ist super.« Zur Entspannung hat er immer noch seine Kneipe, wo er nach wie vor ein gern gesehener Gast ist.

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