Keine Anerkennung von 65.000 Verfolgten durch Schäuble

Historiker Lutz van Dijk möchte, dass beim Gedenken des Bundestags zum Holocaust im übernächsten Jahr ein Vertreter der Opfergruppe der Homosexuellen spricht.

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Die Initiative zur Erinnerung an die Leiden homosexueller NS-Opfer während der Holocaustgedenkstunde des Bundestags im Jahr 2021 hält ihren Druck auf Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) aufrecht. Wenige Tage vor dem diesjährigen Gedenken forderte sie in einem offenen Brief an Schäuble, welcher der Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag vorlag, ein persönliches Gespräch. Zudem verwies sie darauf, dass bereits mehrfach an bestimmte Opfergruppen erinnert wurde.

Schäuble habe sämtliche Gesprächsangebote bislang ausgeschlagen. »Unsere wiederholten Angebote, dem Bundestagspräsidenten unsere Petition persönlich zu übergeben und zu erläutern, wurden abgelehnt«, hieß es in dem offenen Brief. Stattdessen habe Schäuble mitteilen lassen, dass er »prinzipiell keine Petitionen in Empfang« nehme.

Zudem kritisierte die Initiative eine Mitteilung der Bundestagsverwaltung, Schäuble stehe »der Aufteilung des Gedenkens in einzelne Opfergruppen aus grundsätzlichen Erwägungen skeptisch gegenüber«. Der Bundestag habe bereits dreimal thematisch an einzelne Opfergruppen erinnert - 2011 an Roma und Sinti, 2016 an Zwangsarbeiter sowie 2017 an Behinderte und Euthanasieopfer.

Schäubles Vorgänger Norbert Lammert (CDU) habe beim Abschied 2017 gemahnt, »dass eine vitale Demokratie nicht daran zu erkennen ist, dass am Ende Mehrheiten entscheiden, sondern daran, dass auf dem Weg bis zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechte wahrnehmen können«, hieß es. Dem fühle sich die Initiative verpflichtet, zumal sexuelle Minderheiten in vielen Teilen der Welt weiter verfolgt würden.

Zu bedenken sei zudem, dass »seit unserer ersten Anfrage Anfang 2018 wieder mehr alte Männer gestorben sind, die noch nach 1945 nach dem NS-Unrechtsparagrafen 175, der in Deutschland bis 1969 unverändert bestand, verurteilt wurden und eine Anerkennung ihres Leids im Bundestag im Rahmen einer Gedenkstunde nun nicht mehr werden erleben können«. Dies gelte »umso mehr für weitere Verschiebungen«.

Die Initiative um den deutsch-niederländischen Historiker Lutz van Dijk möchte erreichen, dass beim Gedenken des Bundestags zum Holocaust im übernächsten Jahr ein Vertreter der Opfergruppe der Homosexuellen spricht. Sie wird unter anderem von Holocaustüberlebenden, dem Internationalen Auschwitz-Komitee, dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland sowie Historikern aus dem In- und Ausland unterstützt.

Die Organisatoren setzen sich seit 2018 für dieses Anliegen ein und konnten nach eigenen Angaben vier der fünf Bundestagsvizepräsidenten - die Vertreter von SPD, Grünen, FDP und Linkspartei - dafür gewinnen. Schäuble teilte der Initiative zuletzt mit, er sehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt »keine Veranlassung«, sich bereits mit den Planungen der Gedenkfeier für das Jahr 2021 zu befassen.

Der Bundestag erinnert anlässlich des Holocaustgedenktags am 27. Januar jedes Jahr an die Opfer des Nationalsozialismus. Der Akt des Gedenkens wird von der kompletten Staatsführung besucht und viel beachtet.

Das NS-Regime bezeichnete Homosexuelle - insbesondere Männer - als »Volksschädlinge« und »Staatsfeinde« und verfolgte sie drakonisch. Zu diesem Zweck gab es eine eigene Polizeibehörde.

50.000 Männer wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt. Schätzungen zufolge wurden außerdem bis zu 15.000 Schwule in Konzentrationslager gebracht und dort oftmals besonders grausam gequält. Mehr als die Hälfte starb. AFP/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.