- Kultur
- Jeder stirbt für sich allein
Der Blick in den Spiegel
Armin Petras inszeniert in Leipzig Falladas »Jeder stirbt für sich allein / Die Leipziger Meuten«
Wozu Menschen doch fähig sind, im Guten wie im Schlechten! Hans Fallada schrieb seinen über 700 Seiten starken Roman »Jeder stirbt für sich allein« 1946 in nur vier Wochen in der Charité - während eines Drogenentzugs. Als das Buch im Jahr darauf erschien, war er bereits tot.
Er wusste von dem Fall der Eheleute Hampel, die er im Roman Quangel nennt. Nach dem Front-Tod ihres einzigen Sohnes begannen sie, handgeschriebene Flugblätter gegen das sinnlose Schlachten in diesem Krieg zu verfertigen. Als sie gefasst wurden, zählte die Gestapo über 200 Briefe. Die beiden wurden hingerichtet. Die letzten Kapitel dieser klarsichtig wie ein kalter Rausch vor uns erstehenden Menschenschicksale zeigen wahres Heldentum. Auf die Frage, ob es nicht dumm sei, wegen einiger Flugblätter, die doch nichts ausgerichtet hätten, das Leben zu verlieren, antwortet Otto Quangel, er sei wenigstens anständig geblieben: »Ich habe nicht mitgemacht.«
Mehr als Sand im Getriebe eines verbrecherischen Systems zu sein, geht in bestimmten geschichtlichen Situationen kaum. Aber diese Bereitschaft, sich notfalls selbst von einer militanten Machtmaschine zerreiben zu lassen, entscheidet über Würde und Würdelosigkeit. Ein großes Thema, hier verhandelt unter kleinen Leuten.
Armin Petras hat »Jeder stirbt für sich allein« nun am Schauspiel Leipzig auf die Bühne gebracht - mit Wucht und breitem Pinsel malt er auf bis zu drei Videowänden. Er erweitert den Fallada-Roman um die Szenerie der »Leipziger Meuten«, einer jugendlichen Subkultur in der Stadt, die sich der Nazi-Ideologie zu entziehen versuchte. Leipziger Schauspielschüler sind die Meuten, die gut choreografiert über die Bühne tanzend sich jedem Gleichschritt verweigern - ganz im Geiste von Steppenwolfs »Born to be wild« rund 25 Jahre später. Nun ja, gut choreografiert und per Kamerablick herangezoomt ist das, was auf der Bühne passiert. Aber erreicht es auch jene Eindringlichkeit, die Falladas Roman auszeichnet - das innere Drama der Notwendigkeit auch eines vergeblichen Widerstands zeigend?
Petras inszeniert mit einem jugendlich drapierten Gestus, der erst verwundert, dann verstimmt. Er zwingt die Geschichte ständig dazu, übertourt zu laufen, immer passiert etwas, sehr laut und grell, ständig im Jahrmarktmodus. Das hier wirkt fast so, als wolle sich Petras damit als Castorfs Fortsetzer an der Berliner Volksbühne bewerben. Aber mittels solch vordergründiger Ähnlichkeiten scheint das keine gute Idee. Zumal Castorf es nie versäumte, altersgemäße Wandlungen zu vollziehen, und inzwischen ein ebenso eigensinniger wie feinsinniger Textdeuter geworden ist, jedoch einer, der nie bloß dem Publikum gefallen will.
Aber genau das erstaunt an Petras Inszenierung: Sie ist bar jeden subversiven Gedankens, rennt fahnenschwenkend lauter offene Türen ein. Die Leipziger Meuten sind dabei nicht mehr als Ornament, ohne jede dramaturgische Funktion. Wenn er Fallada schon nicht pur als Romanadaption auf die Bühne bringen will, womit sie dann kontrastieren? Die Gegenwart böte einiges an Stoff dazu. Denn Fallada zeigt ewige Typen im Kleinbürgerkosmos. Anna und Otto Quangel (stark: Julischka Eichel und Wenzel Banneyer) finden erst durch den privaten Verlust zu einer inneren Stärke des Widerstands, die dann jedoch nicht mehr verhandelbar ist. Auch das ist eine Möglichkeit im Kleinbürger.
Alles Bewohner eines Mietshauses: Die kultivierte ältere Dame, Frau Rosenthal (Bettina Schmidt) ist Jüdin; sie weiß, ihr Schicksal ist vorbestimmt.
Der pensionierte Kammergerichtsrat (Berndt Stübner) beschwört die unbestechliche Justitia - auch er folgerichtig ein Verlierer. Die Gewinner sind Leute wie Obergruppenführer Heitler (Andreas Keller): zynisch, pervers, skrupellos. Mit resthumanen Skrupeln kämpfend dagegen: Oberkommissar Escherich (Felix Axel Preißler). Aber hier entsteht im Spiel nichts, was man nicht vorhergesehen hätte. Schlimmer noch: Die Klischees beginnen es zu beherrschen. Wie kann das sein, bei jemandem wie Armin Petras, der sich einst mit solchen Äußerlichkeiten nicht zufriedengab? Petras mit Mitte fünfzig ist nun mal nicht mehr Petras mit dreißig, aber er inszeniert hier so, als ob.
Der hier behauptete berufsjugendliche Sturm-und-Drang-Gestus scheint also eine Attitüde, ein konserviertes Relikt der eigenen Vergangenheit, mehr noch: eine Unaufrichtigkeit der Regie, die Folgen hat. Man schaut kalt und unbeteiligt dem hektischen Treiben da vorn zu.
Nur ab und zu gelingt es den Schauspielern dann doch, zu jener Wahrheit durchzudringen, die lächerlich und schmerzhaft zugleich ist. Der Blockwart Emil Barkhausen, eine Knallcharge übelster Art und sein jämmerlicher Freund Enno - ein überaus seltsames Paar. Ebendieses Drama zwischen beiden, den Verrat auf unterster menschlicher Ebene, machen die großartigen Tilo Krügel und Markus Lerch zu einer ganz eigenen Art von Störfall, der die allzu glatte Inszenierung torpediert.
Man schaut schockiert: Auch dies sind Menschen mit Träumen und Ängsten. Banal, böse, aber auch wieder fast so vertraut wie der Blick in den Spiegel.
Nächste Vorstellungen: 8.2., 27.2., 6.3.
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