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Ein Mittel gegen Willkür
Wie Tarifbindung helfen kann, den Abstand bei den Einkommen zwischen Männern und Frauen zu verringern
Tarifverträge sind neutral, sie haben kein Geschlecht. Manche meinen, sie hätten deshalb auch keine Bedeutung für die noch immer gravierende Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Das stimmt jedoch nicht. So wies die Hans-Böckler-Stiftung schon 2015 darauf hin, dass nach Tarif bezahlte weibliche Beschäftigte gut neun Prozent höhere Stundenlöhne erhielten als diejenigen ohne Tarifvertrag. Bei Männern war der Tarifvorsprung mit knapp sieben Prozent dagegen kleiner. In frauendominierten Branchen mit geringer Tarifbindung wie etwa dem Einzelhandel fiel der Tarifvorteil für Frauen noch deutlicher aus. Mit Tarifvertrag ist man besser dran – dieser Satz gilt auch in Bezug auf die Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.
Wissenschaftler erklären diesen Befund zum einen damit, dass Frauen überproportional in den unteren Lohngruppen vertreten sind, die von kollektiven Verhandlungen besonders profitieren. Vor allem aber sagen sie, dass die Standardisierung der Löhne durch Tarifverträge die Möglichkeiten zur Lohndiskriminierung vermindert, zumindest innerhalb von Lohngruppen. »Tarifverträge sind wichtig, weil sie ein klares Regelwerk setzen«, sagt Malte Lübker vom wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Böckler-Stiftung.
Während allgemein gilt, dass bei steigender Qualifikation und Funktion der Gender Pay Gap, also die Lohnlücke, zunimmt, geben Tarifverträge einen »Referenzrahmen« vor. Sie gleichen etwa den Umstand aus, dass Frauen oftmals zurückhaltender als Männer über ihr Gehalt verhandeln beziehungsweise Frauen von vornherein weniger angeboten bekommen. »Mit Tarifverträgen hängt es nicht von der Durchsetzungsstärke der Einzelnen ab, wie viel sie verdienen«, erklärt Tarifexperte Lübker.
Die geringere Lohnlücke in tarifgebundenen Betrieben kann aber auch auf die Existenz von Betriebsräten zurückgeführt werden, die es hier häufiger gibt als in tariflosen Firmen. Denn diese haben den Auftrag, darauf zu achten, dass im Unternehmen niemand diskriminiert wird.
»Tarifbindung ist aber auch kein Allheilmittel«, schränkt Lübker ein. Sozialisierte Berufswahl oder die höhere Teilzeitquote von Frauen, die eher durch gesetzliche Weichenstellungen beeinflusst werden können, wirkten sich mit und ohne Tarifvertrag aus. Die »gläserne Decke«, die Frauen daran hindert, in eine Führungsposition im mittleren oder gehobenen Management aufzusteigen, lässt sich nicht einfach per »Tarifdekret« durchbrechen.
Dennoch spielt es auch dabei eine Rolle, wie sensibel Gewerkschaften für Geschlechterfragen sind. Tarifverträge unterscheiden zwar diskriminierungsfrei rein formal nach Anforderungen, Belastungen oder Qualifikation. Zugleich steckt in dieser Bewertung und Eingruppierung von Tätigkeiten eine entscheidende Quelle für Lohnungleichheit. So ist bekannt, dass traditionell von Frauen ausgeübte Tätigkeiten strukturell unterbewertet sind. Dies hat sich auch in Tarifverträgen tief eingeschrieben. Es bedeutet aber auch: »Tarifverträge spielen bei der Aufwertung von traditionell weiblichen Berufen wie Pflege eine wichtige Rolle«, wie Lübker betont.
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Gewerkschaften fordern inzwischen auch die Anerkennung von Familienauszeiten für die Betriebszugehörigkeit. Denn die tariflich festgelegte Staffelung des Gehalts nach Dienstjahren wirkt für Frauen nachteilig, da sie ihre Erwerbsphasen für Kinder oder die Sorge für Angehörige häufiger als Männer unterbrechen und somit höhere Zulagen erst später oder nie erhalten.
Einfluss auf den Gender Pay Gap haben auch Betriebsräte: Sie können mit darauf hinarbeiten, dass sich die Betriebskultur wandelt und beispielsweise Teilzeit kein Ausschluss für eine Beförderung darstellt. Mit Arbeitszeitforderungen, wie sie in den letzten Tarifrunden üblich geworden sind, tragen Gewerkschaften dazu bei, dass Teilzeitarbeit erleichtert und auch für Männer normaler wird. Perspektivisch könnten sich dadurch die Einkommen von Frauen und Männern annähern.
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