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Über Rechte reden

Verfressene Angst: Auf der Leipziger Buchmesse bemüht man sich um Haltung.

«Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.» Diese Einsicht überspannt, wenn auch unausgesprochen, mehrere Buchvorstellungen und Diskussionen auf der Leipziger Buchmesse. Kaum verwunderlich angesichts der Zunahme von Rechtsextremismus und Neofaschismus nicht nur hierzulande, sondern europaweit, wenn nicht sogar weltweit.

Auf dem Sachbuchforum stellt Hajo Funke, emeritierter Professor des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin, sein neues Buch «Der Kampf um die Erinnerung» (VSA) vor. Wenige Stunden zuvor hat er mit dem Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik am gleichen Ort über die rechtspopulistische Zerstörung Europas debattiert. Die fatale aktuelle Entwicklung markiere eine Verschärfung lange schon schwelender Tendenzen: Soziale Unruhe und sozialer Unmut sind Ergebnisse eines radikalen, gnadenlos-brutalen Neoliberalismus. Die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands und der EU mache die Globalisierung für ihre Existenzangst und Notlagen, für Ausgrenzung und Entfremdung verantwortlich. Funke diagnostiziert eminente Schwächen des politischen Systems und der Demokratie und beklagt eine Entfesselung massiver Ressentiments durch rechtsradikale und rechtspopulistische Bewegungen und Parteien. In Österreich würden diese dadurch begünstigt, dass dort nach 1945 autoritäre Strukturen weiterwirkten, die nicht wirklich so aufgebrochen worden sind wie in Deutschland, West und Ost - wenngleich auch jeweils auf verschiedene Weise und mit unterschiedlicher Konsequenz. Die beunruhigenden Zustände in Italien wurden bereits mit der Regierungskrise vor 20 Jahren angelegt. Das italienische Beispiel belege, dass es oft kein Halten mehr gibt, wenn Rechte erst einmal die Macht an sich gerissen haben. Warum auch in den Niederlanden trotz wirtschaftlich entspannter Lage rechtes Gedankengut so stark verbreitet ist, führte Funke aber nicht näher aus. Dass der Durchmarsch des Rassemblement National, der Rechten in Frankreich, zumindest gestoppt werden konnte, verdanke sich «Macrons Charme». (Nun, wenigstens dafür dürfen wir dem französischen Präsidenten dankbar sein.) In Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament schätzt Funke das Wählerpotenzial der Rechten auf 25 Prozent. Eine beunruhigende Prognose.

Auch der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik artikuliert Besorgnis über anwachsenden Antisemitismus, Antiislamismus und Homophobie in sozialen Schichten, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Die benachteiligten Gruppen sehnten sich nach einem sozialen Wohlfahrtsstaat. Brumlik spricht von einer «Koalition von Verlierern» (der Globalisierung) und fordert soziale Steuerungen ein. Er konkretisiert: Notwendig seien eine vernünftige Beschäftigungs- und Investitionspolitik. Und: «Wir dürfen die Straße nicht Rechtspopulisten und Neonazis überlassen.» Worauf eine Frau im Publikum sich empört, dass der sogenannte Trauermarsch für Daniel H. in Chemnitz von den Medien verunglimpft worden sei. Eine Intervention, die zu erwarten war und von Funke wie auch Brumlik brav pariert wird.

Am Stand des Mitteldeutschen Rundfunks gewährt Christian Fuchs Einblicke in seine Recherchen im extrem rechten Milieu. Gemeinsam mit Paul Middelhoff hat er ein Buch über «Das Netzwerk der Neuen Rechten» (Rowohlt) verfasst, mit dem Untertitel «Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern». Fuchs weist auf eine große publizistische Vielfalt der rechtspopulistischen und rechtsradikalen Bewegungen und Parteien hin - von Ergüssen auf «Bild»-Niveau und nicht lesbaren Hetzblogs bis hin zu akademischen, theoretisierenden Monografien. Rechte Publizisten seien stark untereinander vernetzt, auch wenn sie dies zu kaschieren versuchen. Fuchs und Middelhoff haben 150 extrem rechte und rechtspopulistische Organisationen deutschlandweit ausgemacht, die Zahl der Aktivisten und Strategen schätzen sie indes auf etwa 100, die in verschiedenen Gruppen gleichzeitig tätig sind. Die ungefähr 20 Prozent AfD-Wähler seien nicht alle der Neuen Rechten zuzuordnen, betonte Fuchs.

Die Finanzierung dieser Neuen Rechten sei undurchsichtig, die beiden Autoren gehen aber von zweistelligen Millionenbeträgen aus. Der «Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten» werde maßgeblich von mittelständischen Unternehmern, deutschen wie ausländischen, unterstützt. Ein Hamburger Reeder, der vor 20 Jahren schon die inzwischen verschwundene Deutsche Partei finanzierte, hat wohl auch der AfD einen Anfangskredit gewährt, sei jetzt allerdings mit deren Ausrichtung nicht mehr zufrieden und habe sich zumindest von dieser Partei abgewandt. Abschließend gab Fuchs dem Messepublikum noch den Hinweis: «Wenn Sie wissen wollen, welche Neuen Rechten in Ihrer Nachbarschaft umtriebig sind, erkundigen Sie sich unter www.neuerechte.org.»

Eine Halle weiter und ein paar Stunden später stellt die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Literaturcafé ihr neues Buch «Angst essen Freiheit auf. Warum wir unsere Grundrechte schützen müssen» (WBG) vor. Den grammatikalisch schiefen Titel hat sie dem Film «Angst essen Seele auf» von Rainer Werner Fassbinder entlehnt. Die Juristin warnt, dass die Angst vor islamistischen Terroranschlägen wie auch die (unbegründete) Sorge in Teilen der Bevölkerung um einen angeblichen Verlust von Wohlstand durch die Einwanderung von Geflüchteten nicht dazu verleiten dürfen, Grundrechte bereitwillig aufzugeben und Freiheiten beschränken zu lassen. «Das möchte ich nicht», ruft sie mit Verve aus. Dies würde die selbstbestimmte Persönlichkeit in einer Demokratie beschädigen. Beifall vom Publikum erntet sie mit ihrer Aufforderung an alle Demokraten, eine Regierungsbeteiligung der AfD, ob nun auf Länder- oder auf Bundesebene, zu verhindern: «Ich möchte keine Zustände wie in Italien.» Ihrer eigenen Partei diktierte sie ins Stammbuch, nicht nach rechts zu liebäugeln, Haltung zu zeigen.

Wider den Staat, private Konzerne und Rechtspopulisten, die sie «Brunnenvergifter» nennt, seien Grund- und Freiheitsrechte vehement zu verteidigen, das gelte explizit auch für die Meinungs- und Pressefreiheit. Leutheusser-Schnarrenberger möchte keinen Nachtwächterstaat - «Natürlich muss er seine Bürger schützen, sollte aber nicht in deren Privatsphäre schnüffeln» - und ebenso wenig Bürgerwehren auf den Straßen, die selbstherrlich Justitia spielen.

Insgesamt wird auf der Leipziger Buchmesse oft auf Artikel 1 des Grundgesetzes verwiesen - «Die Menschenwürde ist unantastbar». Er gilt nämlich für alle Menschen, egal welcher Nationalität, Konfession, politischer Orientierung, für den Bürger mit deutscher Staatsangehörigkeit ebenso wie für in ihrer Not zu uns flüchtende Menschen.

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