Krieg und Confusão

»Another Day of Life« erzählt von der Arbeit des Journalisten Ryszard Kapuscinski zu Beginn des angolanischen Bürgerkriegs

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie man in einem Bürgerkrieg am Checkpoint grüßt, kann über Leben und Tod entscheiden. Und der polnische Journalist Ryszard Kapuściński trifft die falsche Entscheidung, als er die nicht uniformierten Kämpfer als Genossen anspricht. Sie gehören nicht zur MPLA. Im letzten Moment retten deren Kämpfer, geführt von der jungen und schönen Guerillera Carlota, ihn und seinen Kollegen Artur Queiroz. Bald darauf stirbt Carlota im Gefecht, auf einer Mission, die Kapuściński maßgeblich initiiert hat. Schuldgefühle plagen ihn, aber auch er hat eine Mission - und sie besteht nicht allein darin, über den Krieg zu berichten. Kapuściński sympathisiert mit der MPLA und verzichtet auf den journalistischen Ruhm, als erster über die kubanische Intervention gegen die südafrikanische Invasion zu berichten. Angesichts des Kalten Krieges erscheint es klüger, diese Information noch eine Weile zurückzuhalten.

Spätestens seit Russel Price (Nick Nolte) in »Under Fire« (1983) mit einem gefälschten Foto der nicaraguanischen Revolution zum Sieg verhalf, war die Figur des Journalisten, der mit seiner Rolle hadert und sich zur Parteinahme gedrängt sieht, immer wieder Thema von Spiel- und Dokumentarfilmen. »Another Day of Life« greift es auf besondere Weise auf. Der Film beruht auf dem gleichnamigen Buch Kapuścińskis, das als Animation in Szene gesetzt und mit etwa 20 Minuten Interview- und Dokumentarmaterial ergänzt wird.

Ästhetisch gelingt dieses riskante Experiment. Es erlaubt eine ungewöhnliche Art der Dramatisierung; wenn animierte Fliegen um die Leichen schwirren, bringt dies den Zuschauern die Schrecken des Bürgerkriegs sehr nahe. Beeindruckend geraten ist auch die Auflösung der Realität in Kapuścińskis Alpträumen; die »Confusão« (etwa: Chaos, Zustand der Verwirrung), die den Kriegsalltag in Angola prägt, wird in seinem Unterbewusstsein zur surrealen Desintegration der Welt, die ihn umgibt und mit der er nicht mehr zurechtkommt.

Aber wie nahe kommen wir dem realen Kapuściński? Gegen den Journalisten, der 2007 starb, sind zahlreiche Vorwürfe erhoben worden, deren Berechtigung Jahrzehnte später oft nicht eindeutig geklärt werden kann und die überdies zum Teil im Kontext der Aufarbeitung der realsozialistischen Vergangenheit Polens stehen, so dass die Parteinahme oft politisch motiviert ist. Sicher ist, dass Kapuściński kein Hochstapler war, sicher ist aber auch, dass er es zumindest in einigen Fällen - nicht bei den »reinen« Nachrichten, aber in der Ausschmückung seiner Reportagen - mit den Fakten nicht immer so genau genommen hat. Kapuściński hat auf hohem Niveau geschummelt, eher als Literat, der eine Geschichte besser erzählen will, denn als Opportunist im Stil eines Claas Relotius, der Journalistenpreise einheimsen will, indem er die Vorurteile der Leser und der Branche bedient. Ohne Zweifel gehörte Kapuściński zu den führenden Afrika-Experten seiner Zeit, problematisch bleibt sein Vorgehen dennoch.

Die in »Another Day of Life« befragten Zeitzeugen bestätigen Kapuścińskis Erzählung. Er riskierte sein Leben, um in Südangola den MPLA-Kommandanten Farrusco, einen übergelaufenen portugiesischen Elitesoldaten, zu treffen, und wurde Zeuge der südafrikanischen Invasion. Aber jede autobiografische Erzählung ist, und sei es unbewusst, auch eine Selbststilisierung, und Regisseur Raúl de la Fuente gibt wenig auf Distanz (»Schon seit meiner Jugend habe ich Kapuściński verehrt«). So wird der Journalist trotz seiner Ängste und Alpträume als Held dargestellt, mit aufgekrempelten Ärmeln, Zigarette im Mundwinkel und auch mal etwas Blut im Gesicht, der wie ein »Hardboiled«-Detektiv des Film noir unverdrossen noch im Kugelhagel nach der Wahrheit sucht. Als psychologisch komplexer Mensch erscheint er nicht.

Vielleicht war es, vielleicht war Kapuściński ja wirklich so. Die Guerillera Carlota hat existiert. Aber wie weit wird sie stilisiert, weil zum modernen Jungsabenteuer die schöne Kriegerin gehört? Etwas mehr Distanz zu Männlichkeitsklischees hätte dem Film nicht geschadet, auch wenn es hier um eine Zeit geht, in der vieles klarer und einfacher schien - und manches es sogar war. Dass die Hoffnungen der damals für die MPLA Kämpfenden enttäuscht werden würden - Artur Queiroz reflektiert dies im Interview - konnte noch niemand ahnen. Die Truppen des südafrikanischen Apartheid-Regimes hatten die Grenze überschritten, das ließ wenig Raum für Zweifel und Zögern.

»Another Day of Life« erinnert auch an einen fast vergessenen Bürgerkrieg, der mehr als 500 000 Menschen das Leben kostete und erst 2002 endete.

»Another Day of Life«. Polen/Spanien /Belgien/Deutschland 2017. Regie: Raúl de la Fuente, Damian Nenow; Buch: Raúl de la Fuente, David Weber, Amaia Remírez. 85 Min.

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