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Die Poesie der Revolution

Vor 100 Jahren wurde die Bayrische Räterepublik ausgerufen: Erich Mühsam war ihr Sprachrohr

  • Leonhard Seidl
  • Lesedauer: 5 Min.

Vor 100 Jahren wollten Schriftsteller, Arbeiterinnen und Soldaten in München eine Räterepublik konstituieren. Einer ihrer Hauptprotagonisten war der knorrige Menschenfreund und Anarchist Erich Mühsam. Warum sie krachend scheiterte, hat Markus Liske mit treffend ausgewählten Texten Mühsams und seiner Frau Zenzl in dem schmucken, soeben im Verbrecher Verlag erschienen Buch »Sechs Tage im April« dargelegt.

Vielleicht würde Mühsam heute Gedichte über linksliberale Biodeutsche schreiben, die ihre Kinder aus dem Einfamilienhaus in die »bessere« Schule chauffieren. Die sich auf dem Nachhausweg im Bioladen ein gutes Gewissen kaufen, weshalb ihre eventuelle Wut über die ungerechten Zustände verpufft und auch deshalb alles beim Alten bleibt? Und die bestenfalls noch ein Gedicht über den bösen Kapitalismus schreiben können. Ist das dann die »Poesie der Revolution« nach der Liske das erste Kapitel benannt und Mühsam Zeit seines Lebens gesucht hat?

Geboren am 6. April 1878 in Berlin, wächst er in Lübeck auf, von wo er als junger Apothekergehilfe 1901 nach Berlin floh. Dort lernt er den Anarchisten Gustav Landauer kennen, der sein Mentor wird - in der »Neuen Gemeinschaft«, einem Teil der Lebensreformbewegung, in der sich u. a. Veganer, Mystiker und Anarchisten tummeln. Doch die »esoterisch-verquaste Überhöhung und Ritualisierung der ›Neuen Gemeinschaft‹ stößt Mühsam bald ebenso ab wie die bourgeoise Lebensführung der Hauptprotagonisten«, so Liske. Er sieht sich mehr in der künstlerischen Rebellion und nennt sich darum auch Bohemien.

Mit Landauer hängt er revolutionären Gedanken nach, zu einer Zeit, in der »er weiß, was er nicht will, aber was er will, das muss er erst noch herausfinden«. Er zieht in Europa umher, über Zürich, Wien und Paris kommt er 1909 nach München, wo er mit »Kain« eine »Zeitschrift für Menschlichkeit« herausgibt.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieg wird er Mitglied im Revolutionären Arbeiterrat, als politischer Akteur ist ebenso bedeutend wie der erste bayrische Ministerpräsident Kurt Eisner (USPD). Liske ist es zu verdanken, dass dieser Umstand endlich einmal in den Vordergrund gerückt wird. War Mühsam doch der erste Mensch Deutschlands, der »am 7. November nachmittags gegen ¾6 … öffentlich die Absetzung der Dynastien und die Errichtung einer freien bayerischen Räterepublik proklamierte«. Und der, entflammt von der Aussicht auf eine gerechte Gesellschaft, Reden hielt, Flugblätter schrieb, Soldaten davon abhielt, Gemetzel anzurichten und der dabei absurderweise zum Führer erkoren wurde.

Obwohl er den Marxismus kritisiert, tritt er in die neue Kommunistische Partei und die Rote Hilfe ein, um die Revolution voranzutreiben. Was auch seinen Rauswurf aus der »Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands« (FKAD) bewirkt.

In seinen Texten seziert Mühsam dann die Rolle der KPD, der Einheits-Gewerkschaften und der SPD. Er kritisiert Eisner, der den Räten zuletzt nur noch die Kontrolle eines »einheitlichen Speisezettels« in den Wirtschaften zugestehen wollte, bevor er am 21. Februar 1919 ermordet wurde. Daraufhin überstürzen sich die Ereignisse. Zwar wählt der bayerische Landtag am 17. März den SPD-Politiker Johannes Hoffmann zum neuen Ministerpräsidenten, doch dessen Regierung muss sich nach Bamberg zurückziehen, nachdem die radikale Linke in München am 7. April die Räterepublik ausgerufen hat, der sich auch andere Städte anschließen.

Die Münchner Räterepublik währte knapp vier Wochen. Die »Sechs Tage im April« in Liskes Buchtitel meint die Zeit vom 7. bis zum 13. April, als sie eine »Dichterrepublik« war, mit den Literaten Erich Mühsam, Ernst Toller und Gustav Landauer an der Spitze. Doch dann wurde ihr Sprachrohr Mühsam, zusammen mit anderen Mitgliedern der Räteregierung bei einem Putschversuch von Soldaten der Landesregierung eingesperrt. Die Räterepublik wurde nun von den Kommunisten Eugen Leviné, Rudolf Egelhofer und Max Levien angeführt und am 2.Mai von Reichswehr und Freikorps blutig zerschlagen. »Es sind Bilder, die eine deutliche Sprache sprechen: Nicht die sozialdemokratische Republik feiert hier ihren Sieg - es ist bereits der Faschismus«, urteilt Liske.

Vermutlich überlebte Mühsam damals nur, weil er schon im Gefängnis saß, und zwar außerhalb von München, im oberfränkischen Ebrach. Sein Freund Gustav Landauer wurde beim Sieg der Konterrevolution in München verhaftet und sofort erschossen. Mühsam kommt erst 1924 wieder frei. Im Gefängnis reflektierte er über Vergangenes und Zukünftiges, über Marxismus und Anarchismus. Für ihn kann eine herrschaftslose Gesellschaft, »eine neue Kultur … erst entstehen, wenn dazu die Bedingungen, nicht etwa nur die ökonomischen, sondern die seelischen, die geistigen, die moralischen Bedingungen durch völlig gewandelte Beziehungen zwischen den Menschen geschaffen sind.«

Markus Liske zeichnet Erich Mühsams Lebensweg in einer mitreißenden Komposition nach. »Sechs Tage im April« ist ein lustvoller, bewusstseinserweiternder Ritt durch gewalttätige Jahrzehnte. Immer wieder blitzt Mühsams Keckheit auf. Etwa, wenn ihm in seinem Hochverratsprozess im Juli 1919 der Vorsitzende die Aussage des opportunistischen SPD-Politikers Ernst Schneppenhorst entgegenhält, dass an den revolutionären Sitzungen »auch Damen teilgenommen haben, die keinen besonders guten Eindruck machten«. Und Mühsam dagegenhält: »Ich glaube nicht, dass es schmeichelhaft ist für Damen, auf Schneppenhorst einen guten Eindruck zu machen.«

Nachzuhören sind seine Texte, gesprochen vom Schauspieler Robert Stadlober, auf einer CD, die ebenfalls »Sechs Tage im April« betitelt und beim Label Speak Low erschienen ist. Darauf sind auch sieben kunstvoll vertonte Gedichte, die Manja Präkels, Autorin und Sängerin der Band Der singende Tresen, interpretiert. Gemeinsam mit Liske hat sie schon 2014 das Mühsam-Lesebuch Erich Mühsam-Lesebuch »Das seid ihr Hunde wert!« herausgegeben.

Der erste Mühsam-Text im neuen Buch ist sein Gedicht »Hoffnung« von 1928. Er hat es verfasst, als seine Träume bereits blutig gescheitert sind. Trotzdem schreibt er: »Von meiner Hoffnung lass ich nicht, ich ließe denn mein Leben.« Am 10. Juli 1934 wird er von den Nazis im KZ Oranienburg umgebracht.

Markus Liske: Sechs Tage im April. Erich Mühsams Räterepublik. Verbrecher Verlag, 250 S., bros., 19 €. »Sechs Tage im April: Erich Mühsams Räterepublik« (Speak Low), MP3-CD, 220 Min., 18 €.

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