• Politik
  • Rechtes Frauen- und Familienbild

Vater, Mutter, mehrere Kinder

Rechtspopulisten in ganz Europa greifen das moderne Frauen- und Familienbild an.

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 7 Min.

Sigi Maurer hat erst einmal gewonnen: Der Prozess gegen die österreichische Grünen-Politikerin, die sich wegen »übler Nachrede« schuldig gemacht haben und deshalb 7000 Euro Strafe zahlen soll, wird neu aufgerollt. Dem Oberlandesgericht Wien zufolge, bei dem Maurer Widerspruch eingelegt hat, sei im Prozess die Herkunft des Klagegegenstands, ein sexistischer Facebook-Post, nicht ausreichend besprochen worden.

Mit dem Urteil des OLG Wien Mitte März ist der Sexismus in die Schranken gewiesen worden. Zunächst. Denn die Antifeminist*innen im Netz und in der realen Welt werden es sicher nicht auf sich sitzen lassen, dass eine junge Frau auf ihre körperliche und psychische Unversehrtheit pocht.

Kurz zur Erinnerung: Maurer veröffentlichte im vergangenen Frühjahr den Screenshot einer privaten Facebook-Nachricht, die ihr ein Bierverkäufer geschickt hatte. »Hallo du bist heute bei mir beim Geschäft vorbei gegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt als wolltest du ihn essen«, stand da unter anderem. Maurer war schockiert, machte den Post bei Facebook und auf Twitter öffentlich, mit den Daten des Absenders - und wurde dafür verklagt.

Maurer ist nicht die einzige, die Hatespeech, sexistische Sprüche und sogar Morddrohungen ertragen muss. Nahezu alle, die sich in sozialen Netzwerken, realen und Online-Medien mit feministischen Haltungen, Queer-Solidarität und antirassistischen Forderungen zu Wort melden, kennen das. Vielfach stammen die Drohungen, Tweets und vergifteten Posts von Menschen aus dem rechtspopulistischen, nationalkonservativen und rechten Spektrum. Die Angriffe sollen die Adressat*innen klein machen, verunsichern, verängstigen, vernichten.

In ganz Europa greifen Rechtspopulist*innen emanzipatorische Errungenschaften und Werte an und versuchen feministische Erfolge zurückzudrehen. Und das nicht erst, seit es in Europa zunehmend rechtsnationale Regierungen wie in Polen, Ungarn, Österreich, Italien gibt. Seit Jahrzehnten formieren sich - meist fernab der Öffentlichkeit - konservative und religiös-antifeministische Gruppierungen und Organisationen, die sich für die »heilige Familie« aus Vater, Mutter und mehreren Kindern sowie für klerikale Werte einsetzen. Sie sehen in einer diffusen Hierarchie die Frau unter dem Mann, wenden sich gegen Schwangerschaftsabbrüche, die Ehe für alle und queere Lebensformen und negieren vielfach Alltagssexismus und sexualisierte Gewalt.

Einer der schärfsten Verfechter eines konservativen und patriarchalen Familienbildes ist der World Congress of Families (WCF). Seine Anhänger*innen sehen »die natürliche Familie als einzige stabile und grundlegende Einheit der Gesellschaft«. Seit 1997 findet der WCF in loser Folge statt, in Madrid, Budapest, Sydney, im vergangenen Herbst in der moldauischen Hauptstadt Chişinău. Am vergangenen Wochenende versammelten sich seine Vertreter*innen und Anhänger*innen im italienischen Verona. Schirmherrschaft des Kongresses: die italienische Regierung. Italiens Innenminister Matteo Salvini von der rechtsnationalistischen Lega Nord unterstützte schon im Herbst 2018 das Treffen in Chişinău. Sein politischer Ansatz ist der »Kampf für die natürliche Familie«, die »für das Überleben der Menschheit unerlässlich« sei. Darin stimmt er überein mit seinem Familienminister Lorenzo Fontana. Der ebenfalls zur Lega Nord gehörende und streng gläubige Katholik leugnet queere Lebensentwürfe. Es gebe in Italien keine »Regenbogenfamilien«, also Familien mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren, sagte er vor einem Jahr in einem Zeitungsinterview: »Gesetzlich existieren sie nicht.« Queere Interessenverbände protestierten umgehend gegen diese »falschen und herabwürdigenden« Aussagen.

Heftigen Widerstand gab es auch in Ungarn nach der Ankündigung von Ministerpräsident Viktor Orbán, das Studienfach Gender Studies verbieten zu wollen. Studirende und Mitglieder der Rektorenkonferenz schrieben Protestbriefe und mahnten die universitäre Entscheidungsfreiheit an. Vergeblich. Orbán, Mitglied der nationalkonservativen und fremdenfeindlichen Fidesz-Partei, und seine Regierung ließen im vergangenen Jahr den zweijährigen Masterstudiengang aus dem Uni-Angebot streichen - ohne die Meinung professioneller Institutionen einzuholen.

Das Verbot stellt - neben der Diskreditierung des emanzipatorischen und diversen Ansatzes der Gender Studies - nicht nur einen gefährlichen Eingriff in die Hochschulautonomie dar, sondern auch einen Angriff auf die freiheitliche Grundordnung und Selbstbestimmung der Menschen grundsätzlich. Den Gender Studies wird unter anderem vorgeworfen, sie verstießen gegen christliche Werte. Stattdessen sei die heteronormative Kleinfamilie das A und O des Familienlebens.

Oder Polen. In dem katholisch geprägten Land sind Schwangerschaftsabbrüche weitgehend verboten. In nur drei Ausnahmen darf eine Abtreibung durchgeführt werden: wenn die Frau vergewaltigt wurde, wenn ihr Leben durch Schwangerschaft und Geburt gefährdet ist oder wenn klar ist, dass das Kind schwer behindert sein wird. Vor einem Jahr versuchten sogenannte Lebensschützer*innen, Abtreibungen auch bei der »eugenischen Indikation« zu verbieten. Dagegen gingen tausende Frauen und Männer in Polen auf die Straße - mit Erfolg, der entsprechende Gesetzentwurf wurde zurückgenommen. Dennoch: Die Pro-Life-Bewegung, die nur dem Namen nach für das Leben, vor allem aber gegen weibliche Selbstbestimmung agiert, sowie die nationalkonservative PiS-Regierung arbeiten weiterhin am Abtreibungsverbot. Vielfach subtil. So verweigern in Polen mittlerweile Ärzte den Eingriff, weil sie Denunziationen und Ermittlungen von Abtreibungsgegner*innen fürchten.

Auch in Deutschland hat die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche Auftrieb erfahren. Und wieder sind es »Lebensschützer*innen«, die es Ärztinnen wie der Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel in Gießen schwer machen, ihren Job auszuüben. Seit zehn Jahren muss sich Hänel mit Vorwürfen der »unerlaubten Werbung« für Schwangerschaftsabbrüche auseinandersetzen. Dreimal war sie angeklagt wegen des Paragrafen 219a, der »Werbung« für »eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs« unter Strafe stellt. Zweimal konnte sich die 62-Jährige erfolgreich wehren. Beim dritten Mal wurde sie zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt, weil sie auf ihrer Praxiswebsite erklärte, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Gegen das Urteil vom November 2017 legte sie Revision ein.

Der junge Mann, der Hänel angezeigt hatte, sagte in einem Interview sinngemäß, er mache das unter anderem aus Langeweile. Er ging juristisch auch gegen Frauenhäuser und Pro-Familia-Einrichtungen vor.

Aktivist*innen wie er spielen der AfD in die Hände. »Abtreibung ist kein Menschenrecht wie das Lebensrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit«, heißt es im AfD-Programm für die Europawahl im Mai. Zugespitzt formuliert heißt das: Abtreibung ist Teufelszeug, sie steht dem äußerst konservativen Frauen- und Familienbild der AfD diametral entgegen.

Ginge es nach der EU-kritischen Partei, die zum zweiten Mal ins EU-Parlament einrücken könnte, bestünden auch in Deutschland Familien am besten ausschließlich aus Vater, Mutter und mehreren Kindern. Homosexuelle und queere Partnerschaften sind laut Programm zwar »zu respektieren, damit aber weder gleichzusetzen noch zu fördern«. Was die AfD damit meint, macht sie regelmäßig deutlich. So hat die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst im Juli 2018 in einer Parlamentsrede unter anderem gesagt: »Politik zwingt Frauen in die Erwerbstätigkeit.« Und: »Polygamie, Kinderehe, Frauenbeschneidung, das haben wir doch längst alles hier.«

Es ist nicht überliefert, ob Höchst diesen Unsinn tatsächlich glaubt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass emanzipatorische Errungenschaften, die als selbstverständlich erscheinen, so jung wie fragil sind. So wurde in der Bundesrepublik erst 1977 ein Gesetz gerändert, mit dem Männer ihren Ehefrauen Erwerbsarbeit verbieten konnten. Bis 1962 durften Frauen ohne Erlaubnis ihres Mannes kein eigenes Konto eröffnen. Auch wenn eine Frau arbeitete, konnte der Mann über das von ihr verdiente Geld bestimmen.

Was meint die AfD-Abgeordnete Höchst damit, wenn sie sagt, dass »echter Feminismus in der heutigen Zeit notwendigerweise werte-konservativ« zu sein hat und »präventiv wirken will«? Wahrscheinlich so etwas wie: Weg mit der Quote, den Frauenbeauftragten und den Frauenförderplänen. Und vielleicht auch so was wie: Was soll der Blödsinn mit dem Gender Budgeting, jenen finanziellen Maßnahmen in öffentlichen Haushalten, mit denen Geschlechtergleichstellung hergestellt werden soll? Wozu Frauenhäuser finanziell besser ausstatten, wenn sich Frauen ihren Männern doch einfach fügen können? Und dann noch diese unsägliche Debatte mit den Gendersternchen, wenn doch selbst AfD-Frauen über Sexismus lachen, ihn also nicht ernst nehmen.

Die Österreicherin Sigi Maurer hat erst einmal gewonnen. Nun also zurück auf Los. Auf Twitter feierte die Grüne ihren Sieg mit dem Satz: »Leute, es geht weiter.«

In Verona versammelten sich nicht nur antifeministische Kräfte, es baute sich eine ähnlich starke Gegenwehr auf. Genderaktivist*innen unter anderem aus Italien, Deutschland, Kroatien schmetterten auf einer Protestdemo am Samstag den italienischen Partisanensong aus dem Zweiten Weltkrieg »Bella Ciao«, aus dem im Laufe der vergangene Jahrzehnte eine Widerstandshymne geworden ist. Die Organisator*innen zählten 150 000 Teilnehmer*innen, die Polizei sprach von 30 000 Demonstrant*innen.

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