• Kultur
  • ARD-Doku Deniz Yücel

Hochhaus unter blauem Himmel

Die ARD-Dokumentation »Deniz Yücel - Wenn Pressefreiheit im Gefängnis landet« ist unoriginell bebildert und bietet nichts Neues

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Gäbe es unter den diversen deutschen TV-Sendeanstalten einen Wettbewerb darum, wie erschreckend unoriginell man eine Fernsehdokumentation machen kann, hätte der am Montag in der ARD erstmals gezeigte 45-minütige Film »Deniz Yücel - Wenn Pressefreiheit im Gefängnis landet« gute Chancen, auf einen der vorderen Plätze zu gelangen.

In dem Film wird noch einmal die Geschichte der unrechtmäßigen Verhaftung des ehemaligen Türkei-Korrespondenten der Tageszeitung »Die Welt« aufgearbeitet: So sehen wir etwa den in solchen Nullachtfünfzehn-Dokus üblichen Spaziergang des Protagonisten durch die Natur (die Hände in den Jackentaschen, nachdenklicher Blick, erkennbar inszeniert nach dem Motto: »Versuchen Sie, nachdenklich zu gucken!«), wir sehen Hände bzw. Finger an einer Computertastatur herumfuhrwerken (Journalismus!), eine Handvoll Archivbilder und Szenen aus alten Nachrichtensendungen. Und wir blicken wiederholt aus der Vogelperspektive aufs unter einem blauen Himmel in der Sonne funkelnde Axel-Springer-Hochhaus in Berlin.

Selbstverständlich alles stets unterlegt von der handelsüblichen nervtötenden bzw. »spannungserzeugenden« Dutzendmusik, die beim Zuschauer Emotionen abgreifen und ihm vorgaukeln soll, die in der Glotze zu betrachtenden standardisierten Bilder (sprechende Köpfe vor weißer Wand, Archivbilder) seien etwas geradezu Unerhörtes. Dabei handelt es sich größtenteils um im Grunde leere, glatte, nichtssagende TV-Bilder, optisches Füllmaterial. Besonders jene Bilder, die das Berliner Springer-Gebäude aus verschiedenen Perspektiven zeigen, wirken, als seien sie einem Reklamespot für den Medienkonzern entnommen.

Die »Tagesthemen«-Moderatorin und Journalistin Pinar Atalay und ihre Kolleginnen und Kollegen haben sich alle Mühe gegeben, Bilder zu vermeiden, die nicht aussehen, als kämen sie direkt aus einer Werbeagentur oder als läge ihnen die denkbar ödeste Inszenierungsidee zugrunde (»Am besten, Sie setzen sich hier hin und tun vor der Kamera so, als würden Sie gerade Ihrem Ehemann einen Brief ins Gefängnis schreiben«).

Darüber hinaus wird in der ARD-Dokumentation nichts mitgeteilt, was der Zuschauer nicht aus Zeitungen, Zeitschriften, früheren Fernsehberichten und Mitteilungen Yücels aus der Vergangenheit schon wüsste: Wir erfahren noch einmal von dessen kritischer Berichterstattung aus der Türkei, von seiner Geiselnahme durch den türkischen Staatspräsidenten und dessen »Gangsterbande« (O-Ton Yücel), von den haltlosen Beschuldigungen des Autokraten Erdogan (»Agent«, »Terrorist«) oder von dem gelungenen Versuch des Journalisten, während seiner Zeit im Polizeigewahrsam Aufzeichnungen aus der Haft nach draußen zu schmuggeln. Die Frage, wie und durch Vereinbarungen welcher Art es genau gelang, Yücel aus seiner Geiselhaft zu holen, wird nicht beantwortet.

Auch von der Gegenwart, davon, wie es Yücel heute an dem unbekannten Ort geht, an dem er gegenwärtig lebt, über ein Jahr nach seiner Entlassung aus der Einzelhaft in der Türkei, darüber, was ihn heute umtreibt und wie er die gegenwärtige Türkei-Politik der Bundesregierung bewertet, und von seinen Zukunftsplänen hören und erfahren wir nichts. Auch von den zahlreichen anderen Medienschaffenden, sowohl türkischen als auch deutschen Staatsbürgern, die bis heute in türkischer Haft sitzen, ohne dass man ihnen kriminelle Handlungen vorwerfen könnte, ist in der Doku kaum die Rede, außer dass an einer Stelle kurz die Filmemacherin und Sängerin Hozan Cané erwähnt wird, die im vergangenen Herbst zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Ansonsten wird nur eine Zahl genannt und eingeblendet: 160 Journalistinnen und Journalisten befinden sich zurzeit in der Türkei im Gefängnis.

Am ärgerlichsten aber ist, was die unternommenen Bemühungen um Deniz Yücels Freilassung angeht, die extreme Fokussierung der Filmemacher auf den Axel-Springer-Verlag und das Bundesaußenministerium. Springer-Vorstand Matthias Döpfner, der »Welt«-Chefredakteur Ulf Poschardt und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel bekommen viel Redezeit, um wahlweise bereits Bekanntes oder Banalitäten vorzutragen. Dabei haben sich sowohl der Springer-Konzern als auch die Bundesregierung - entgegen den Wünschen des inhaftierten und zu Beginn völlig isolierten Yücel - anfangs darum bemüht, den Fall Deniz Yücel möglichst klein- und eine größere Öffentlichkeit davon fernzuhalten.

Dass es tatsächlich der kleine Freundeskreis FreeDeniz war, im Kern bestehend aus zehn bis zwölf von Yücels persönlichen Freundinnen und Freunden, der seinerzeit öffentlich Druck ausübte und mit sehr viel Engagement die ersten Demonstrationen, Autokorsos und Solidaritätsveranstaltungen für Yücels Freilassung organisierte, spielt in dem Film nur ganz am Rande eine Rolle.

Auch dass Yücel sein linkes journalistisches Profil und seine renitente Hartnäckigkeit lange vor seiner Tätigkeit für die Tageszeitungen »Welt« und »taz« erwarb, nämlich als langjähriger Mitarbeiter und Redakteur der linken Wochenzeitung »Jungle World«, aus deren Redaktion wiederum sich mehrere im oben genannten Freundeskreis engagierten, findet in dem Film keine Erwähnung. Gabriel, Poschardt und Döpfner hat man übrigens auf den Solidaritätskorsos für Yücel seinerzeit nicht gesehen. Dabei durfte man damals auch mit Porsche teilnehmen.

Die Dokumentation »Deniz Yücel - Wenn Pressefreiheit im Gefängnis landet« ist in der ARD-Mediathek abrufbar.

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