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Nicht Revolution, sondern Arbeit

»Luft zum Atmen«: ein Film über die Geschichte radikaler Betriebsarbeit bei Opel.

  • Jan Ole Arps
  • Lesedauer: 5 Min.

Heute kaum vorstellbar: Anfang, Mitte der 1970er Jahre gab es in Hunderten Fabriken in Westdeutschland radikale Betriebsgruppen, die sich in Arbeitskämpfe einschalteten und das Management, die Gewerkschaften und den Betriebsrat von links unter Druck setzten. Sie organisierten Streiks, arbeiteten sich ins Betriebsverfassungsgesetz ein und gründeten alternative Betriebsratslisten. Nicht wenige gaben eigene Zeitungen heraus. Junge Arbeiter*innen, ehemalige Student*innen, revolutionäre Aktivist*innen und Menschen, die als »Gastarbeiter*innen« nach Deutschland gekommen waren - Tausende praktizierten die politische Selbstorganisation an ihren Arbeitsplätzen. Zusammen bildeten sie eine betriebliche Oppositionsszene, die nicht nur den Unternehmen Kopfzerbrechen bereitete. Die DGB-Gewerkschaften schlossen in den 1970er Jahren Hunderte Gewerkschaftsmitglieder aus, weil sie für alternative Betriebsratslisten kandidierten oder Mitglieder kommunistischer Organisationen waren.

Über eine dieser Betriebsgruppen, die Gruppe oppositioneller Gewerkschafter (GOG, später umbenannt in »Gegenwehr ohne Grenzen«) bei Opel in Bochum, kommt nun ein Film in die Programmkinos. Die GOG ist ein besonderer Fall. Sie war bis in die 2000er Jahre im Werk aktiv - ihre Arbeit trug dazu bei, den Boden für einen der größten wilden Streiks in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik zu bereiten: Im Oktober 2004 stand Opel Bochum sechs Tage still.

Die Belegschaft streikte - ohne die IG Metall - gegen die Pläne des Mutterunternehmens General Motors, 12 000 Stellen in Europa, davon 4 000 in Bochum zu streichen. Nach fünf Tagen kam wegen fehlender Teile aus Bochum die Produktion bei Opel Rüsselsheim und in Antwerpen zum Stillstand, weiteren GM-Werken drohten Produktionsstopps. Die »Tagesschau« berichtete Abend für Abend. Am Ende gelang es dem Betriebsrat, die Mehrheit der Arbeiter*innen zum Abbruch des Streiks zu bewegen. Bei der Wahl, die auf der entscheidenden Belegschaftsversammlung zur Abstimmung stand, hatte er zwei getrennte Fragen zu einer verknüpft: »Soll der Betriebsrat die Verhandlungen fortführen und die Arbeit wieder aufgenommen werden? Ja oder nein?« Eine Mehrheit stimmte mit Ja. Inzwischen ist Opel Bochum geschlossen. Ende 2014 verließ das letzte Auto das Werk.

»Luft zum Atmen« von Johanna Schellhagen (labournet.tv) erzählt die Geschichte der GOG aus der Perspektive ihrer Protagonisten, fast alle sind heute im Rentenalter. Der Film beginnt mit der Gründung 1972 und endet mit dem wilden Opel-Streik 2004. Schellhagen hat Fotos und Archivaufnahmen aus dieser Zeit zusammengetragen und Mitglieder der GOG zu Gesprächen versammelt: Darin erinnern sie sich an die Aufbruchstimmung der Anfangszeit, berichten begeistert, wie spanische Kollegen mit einer Demonstration durchs Werk die Trennung der Betriebsversammlungen nach Nationalitäten in Frage stellten. In den 1970ern war die GOG Teil einer breiten Bewegung, 1975 erreichte sie bei der Betriebsratswahl ein Drittel der Stimmen und zwölf Sitze im Betriebsrat. Doch mit dem wirtschaftlichen Abschwung in den 1980ern wurde die Betriebsarbeit schwieriger. Die Leute wollten keine Revolution mehr, sondern ihre Arbeit behalten, fasst es sinngemäß ein GOG-Kollege zusammen. Im Kampf um Arbeitszeitverkürzung 1984 ging es noch einmal um wichtige Fortschritte gegen die brutale Arbeit an den Montagebändern - die Hälfte der Opel-Beschäftigten waren Invaliden, bevor sie das Rentenalter erreichten -, dann begannen die Abwehrkämpfe gegen Standortverlagerung und Kündigungen.

Auch wenn sich die GOG mit General-Motors-Beschäftigten in anderen Ländern vernetzte und intensiv weiterbildete, hatte die wirtschaftliche Krise die Situation für Arbeitskämpfe völlig verändert. Im Werk mit zu besten Zeiten fast 20 000 Beschäftigten wurde die Arbeit verdichtet und die Belegschaft nach und nach reduziert, bis zum Schluss nur noch 3 000 die Produktion am Laufen hielten. Damit ist die Geschichte der GOG auch eine Geschichte über Outsourcing und Flexibilisierung über Prekarisierung und Deindustrialisierung im Ruhrgebiet, über das Co-Management der IG Metall - und die Versuche von Beschäftigten, sich dagegen aufzubäumen.

Im Film läuft diese Geschichte zentral auf den »Verrat« der IG Metall in der »Entscheidungsschlacht« von 2004 zu. In der Tat führt diese Episode anschaulich vor, wie gewerkschaftliches Co-Management entscheidet, wenn es zwischen den Vorgaben des Unternehmens und einer in Eigeninitiative handelnden Belegschaft eingekeilt ist: Es stellt sich auf die Seite des Kapitals. Dem Film ist die Empörung über die Manöver zur Beendigung des Streiks anzumerken. Aber reichen sie als Erklärung für die Niederlage radikaler Betriebsarbeit aus?

»Florierende Kapitalakkumulation ist die Basis für erfolgreiche Kämpfe um mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen«, schreibt der langjährige GOG-Begleiter Robert Schlosser in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Film. »Gerät die Akkumulation in die Krise - gesamtgesellschaftlich oder beim Einzelkapital -, dann schwindet der Spielraum für solche Verteilungskämpfe.« Mit Blick auf den Streik folgert Schlosser: »Am Ende zeigte sich nicht nur, dass ohne ›uns Arbeiterinnen und Arbeiter‹ nichts läuft, sondern dass bei Opel wie in jedem anderen kapitalistischen Betrieb auch, ohne Kapital nichts läuft.«

Damit verweist er auf eine Grenze, an die jede politische Initiative im Betrieb stößt, wenn es für Forderungen nach mehr Lohn oder weniger Arbeit nicht mehr reicht: Jede Belegschaft ist vom Unternehmen erpressbar. Nicht nur die Gewerkschaften, auch die radikalsten betrieblichen Initiativen sind daran gebunden, dass die Reproduktion des Kapitals garantiert bleibt. Macht das Unternehmen Pleite, geht die Betriebsgruppe mit ihm unter.

Gerade in Unternehmen wie Opel, die gesellschaftlich oder ökologisch schädliche Güter produzieren, kommen weitere Probleme hinzu: Wer als Lohnabhängige*r berechtigterweise Angst vor Verlust eines - vielleicht einigermaßen erträglichen, vergleichsweise gut bezahlten - Arbeitsplatzes hat, hat dadurch auch ein Interesse, dass das Unternehmen seine Produkte verkaufen kann. Wie über diese Fragen radikaler, linker Betriebsarbeit nachgedacht wird, lässt sich am Beispiel der GOG lernen. Neben den Schwierigkeiten, gegen Standorterpressung und Entlassungen vorzugehen, hat sich die GOG auch über alternative Verkehrskonzepte, Ressourcen sparende Produktionsprozesse und Mobilität jenseits des Individualverkehrs per Auto Gedanken gemacht.

Diese Diskussionen spart der Film aus, ebenso die Frage, wie es nach dem Ende des Streiks von 2004 weiterging. Dennoch ist er ein wichtiges und trotz allem ermutigendes Dokument über ein Kapitel linker Geschichte, über das viel zu wenig bekannt ist. Er erzählt davon, dass Widerstand möglich ist, dass der gemeinsame Kampf das Leben bereichert, dass die politische Organisierung am Arbeitsplatz den Menschen als ganzes Wesen prägt und bildet. Das heißt auch: ihn dazu befähigt, nach kollektiven Antworten auf die oben gestellten Fragen zu suchen - statt die Antworten der Unternehmerseite nur ohnmächtig hinzunehmen.

»Luft zum Atmen - 40 Jahre Opposition bei Opel in Bochum«. BRD 2019. Regie: Johanna Schellhagen, 70 Min. Infos bei: de.labournet.tv

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