Mein Dorf, mein Haus, mein Klima!

Der Film »Die rote Linie - Widerstand im Hambacher Forst« zeigt den Protest von Klimaaktivisten

  • Jörn Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Monstrosität des Unterfangens wird in den Luft- und Geländeaufnahmen deutlich: Hinter dem harmlos klingenden Begriff Tagebau verbirgt sich eine gewaltige Maschinerie, die sich durch die Landschaft frisst, ganze Dörfer verschlingt und Ödnis hinterlässt. Diese Form des Bergbaus mutet ohnehin archaisch an. Klimapolitisch betrachtet, handelt es sich bei der Verbrennung von Braunkohle um die schädlichste Art der Energieerzeugung. Der Energiekonzern RWE lässt dennoch unverdrossen weiterbaggern, die Anwohner müssen weichen. Im Konflikt um den Hambacher Forst bildet sich jedoch eine breite Protestbewegung, der anarchistische Baumbesetzer ebenso angehören wie Bürger, die um ihre Kirche weinen.

Karin de Miguel Wessendorf begleitete Aktivistinnen und Aktivisten aus verschiedenen Milieus mehr als drei Jahre lang mit der Kamera, unter anderem den Baumbesetzer Clumsy, Lars Zimmer, der so lange wie möglich in seinem schon weitgehend verlassenen Dorf bleibt, und Antje Grothus aus der Ortschaft Buir, die in der sogenannten Kohlekommission vom Tagebau betroffene Anwohner vertrat.

Die Dokumentation setzt lange vor den spektakulären Großeinsätzen der Polizei ein, zu denen es im September 2018 gekommen ist, und erlaubt es, die Entwicklung der Protestbewegung zu verfolgen. Karin de Miguel Wessendorf verzichtet auf Off-Kommentare, allerdings auch auf kritische Nachfragen, und lässt die Aktivistinnen und Aktivisten für sich selbst sprechen. Die Darstellung wird ergänzt durch die eingeschnittene Berichterstattung eines lokalen Fernsehsenders.

Das ergibt ein wohl recht authentisches Bild der diversen Protestmilieus, für die die ausgewählten Protagonisten repräsentativ sein dürften. Der Film wirkt über weite Strecken jedoch - oder eben deshalb - recht betulich und wird zuweilen langatmig. Vielen Aktivisten geht es ums Klima, aber vor allem um »Heimat«; Lars Zimmer etwa hat ein so beschriftetes Schild über seiner Haustür angebracht. Die Empörung über den willkürlichen Abriss des Zuhauses und die Zerstörung sozialer Beziehungen ist ja berechtigt. Hin und wieder mögen auch (durchaus legitime) propagandistische Absichten im Spiel sein, etwa wenn der Abriss der Kirche unter anderem durch eine Aktion von Greenpeace groß herausgestellt wird. All das aber wird etwas zu breit in Szene gesetzt.

Für Action im Film sorgt hin und wieder die Polizei, etwa mit der Räumung der Baumhäuser. Ihr rabiates Vorgehen und die zum Teil haarsträubenden Begründungen der Landesregierung für die Einsätze haben viele Menschen dazu getrieben, sich mit der Bewegung zu solidarisieren. Jenseits des Schimpfens über den bösen Konzern RWE und die willfährige nordrhein-westfälische Landesregierung ist jedoch wenig politische Kritik zu hören. Eine tiefgreifende Politisierung hat also offenbar nicht stattgefunden - und das ist eine wichtige, aber auch erschreckende Erkenntnis.

Ein industrielles Großprojekt treibt sogenannte normale Bürgerinnen und Bürger in den Widerstand, der von radikalen Aktivistinnen und Aktivisten unterstützt wird, zu denen die örtliche Bevölkerung ein widersprüchliches Verhältnis hat - diese Konstellation ist aus der westdeutschen Protestgeschichte gut bekannt. Die Zahl der radikalen Aktivisten im Hambacher Forst ist sehr gering, selbst der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) vermochte im Wald nur 15, allenfalls 30 gefährliche Autonome auszumachen. Es ist sicherlich nützlich, einmal einen dieser »Autonomen« vorzustellen, der natürlich nicht dem Klischee des grimmigen Kämpfers entspricht. Viel über den Kapitalismus hat aber auch der Baumbesetzer Clumsy nicht zu sagen.

Dank der Veganer

Mag die Protestkultur der Baumbesetzer, offenbar überwiegend vegane Anarchisten, auch ein wenig verschroben wirken, ist es doch zweifellos ihnen zu verdanken, dass die Proteste so große Aufmerksamkeit erfuhren. Das wissen die »normalbürgerlichen« Aktivisten, die ein wenig misstrauisch bleiben, aber die Baumbesetzer bei den Waldführungen stolz als eine Art Sehenswürdigkeit vorführen und ihnen Lebensmittel bringen. Intensive politische Diskussionen aber scheint es nicht zu geben.

Die Klimapolitik wird das wichtigste Thema der kommenden Jahrzehnte sein, und da das Scheitern des »grünen Kapitalismus« sowie das Versagen der bürgerlichen Politik offensichtlich sind, ist klar, dass es schneller Erfolge einer globalen Protestbewegung bedarf, um doch noch Klimaschutz durchzusetzen. »Die rote Linie« ist ein wichtiger Film, weil er den Stand der Klimabewegung vor dem Einsetzen der gegenwärtigen Jugendproteste und Schulstreiks dokumentiert. Zum Ende wird der Abschlussbericht der Kohlekommission referiert, der ein Ende der Kohleförderung erst für 2038 vorsieht.

Das ist aus klimapolitischer Sicht viel zu spät, aber konsequent für ein Gremium, das elf Ziele, etwa: »Deutschland bleibt ein hochattraktiver Standort«, als gleichrangig mit der Klimaverträglichkeit der Energieerzeugung anführt. Antje Grothus hat diesem »Kompromiss« ebenso zugestimmt wie der Vertreter von Greenpeace. Verharrt die Klimabewegung in einer solchen politischen Harmlosigkeit, sind auch gesetzwidrige Aktionen nur protestfolkloristische Darbietungen, die nicht verhindern werden, dass es in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sehr ungemütlich wird.

»Die rote Linie - Widerstand im Hambacher Forst«, Deutschland 2019. Dokumentarfilm. Regie/Buch: Karin de Miguel Wessendorf. 115 Min.

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