GroKla für GroKo

Europawahl: Grüne erstmals auf Platz zwei nach CDU und vor SPD / LINKE mit schlechtestem Ergebnis seit Gründung

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 5 Min.

Volkspartei war einmal: Mit 15,6 Prozent laut Hochrechnungen von ARD und ZDF hat die SPD ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl seit Bestehen der Bundesrepublik erzielt. Fast zwölf Prozent weniger als bei den Europawahlen 2014 - und immerhin noch fünf Prozent weniger als bei den Bundestagswahlen 2017. Damals wurde eine »Erneuerung« der SPD versprochen, auf das dies historisch schlechte Ergebnis sich nie wiederhole - nun wurde es noch unterboten. In der SPD machten schon in den Tagen vor dem Wahlgang vom Sonntag Putschgerüchte gegen Parteichefin Andrea Nahles die Runde. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte kurz nach den ersten Hochrechnungen, das Ergebnis könne »nicht ohne Folgen bleiben«, wandte sich aber gegen Personaldebatten. Nahles nannte das Ergebnis »extrem enttäuschend«.

»Enttäuscht« ist man auch bei der LINKEN, die mit laut Hochrechnungen 5,5 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes Ergebnis bei bundesweiten Wahlen seit Gründung der Partei im Jahr 2007 erreichte. »Wir sind nicht zufrieden mit dem Ergebnis«, sagte Martin Schirdewan, der mit Özlem Demirel das Spitzenduo der Partei gebildet hatte, am Sonntagabend im ZDF. Parteichef Bernd Riexinger erklärte ebenfalls im ZDF, Europawahlen seien für seine Partei noch nie ein einfaches Feld gewesen. Trotzdem habe die LINKE ein »besseres Ergebnis erwartet und verdient gehabt«. Nun werde die Partei schauen, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Parteichefin Katja Kipping meldete sich über den Kurzmitteilungsdienst Twitter zu Wort und erklärte, die Europawahl werde »die Parteien in Deutschland noch länger beschäftigen. Uns auch.« Zudem betonte sie, die GroKo sei »jetzt eher Mikro«. Große Klatsche statt Großer Koalition.

Tatsächlich sackte nicht nur die SPD ab - auch die Union verlor dramatisch. Den Hochrechnungen zufolge kommt sie auf 27,7 bis 27,9 Prozent der Stimmen, 35,3 Prozent waren es vor fünf Jahren gewesen - und immerhin noch 32,9 Prozent bei den letzten Bundestagswahlen.

Damit liegt die Bundesrepublik ersten Erkenntnissen zu den Wahlergebnissen in den 27 anderen EU-Mitgliedsstaaten zufolge im Trend: Die Wahlbeteiligung ging vielerorts hoch, auch hierzulande. Laut ARD lag sie in Deutschland bei rund 60 Prozent, eine Steigerung um mehr als zehn Punkte im Vergleich zu 2014. Und: Die einstigen Volksparteien verlieren, gewinnen konnten in einigen Ländern, wie Frankreich, die Rechten.

In Deutschland aber ist keineswegs die AfD Wahlsiegerin des Abends. Im Vergleich zu den Europawahlen 2014 gewann die rechte Partei den Hochrechnungen zufolge zwar etwas mehr als drei Prozent hinzu. Doch ist das weit von Umfragewerten entfernt, die die Partei zwischenzeitlich erzielte.

Strahlende und klare Wahlsieger des Abends sind unbestritten die Grünen. Die Partei, die seit Monaten Umfrage-Höhenflüge erlebt, zog zum ersten Mal überhaupt bei einer bundesweiten Wahl an den Sozialdemokraten vorbei und wurde zweitstärkste Kraft. Den Hochrechnungen zufolge erzielten die Grünen, mit Ska Keller und Sven Giegold als Spitzenkandidaten, 20,8 bis 21,8 Prozent, im Vergleich zu 10,7 Prozent 2014 und 8,9 Prozent bei den letzten Bundestagswahlen. Bei unter 30-jährigen Wählern wurde die Partei sogar mit großem Abstand stärkste Kraft. In dieser Altersgruppe votierten den Hochrechnungen zufolge 33 Prozent für Grün - und nur 23 Prozent zusammengenommen für SPD sowie Union. Sie sei »so froh, dass wir es geschafft haben, einen ›Sunday for Future‹ zu machen«, sagte Keller in Anlehnung an die Jugendbewegung Fridays for Future am Sonntagabend im ZDF. »Für uns ist es ein Auftrag und eine Verantwortung die Dinge umzusetzen, vor allem im Klimaschutz«, fügte sie in der ARD hinzu. In Brüssel wolle ihre Partei nun weiter für dieses Wahlziel streiten und zugleich den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie in Europa zu stärken. Kurz vor dem Wahlgang am Sonntag hatte Keller noch gesagt, sie schließe es nicht aus, für Manfred Weber, Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei EVP als EU-Kommissionschef zu votieren. Das neue Parlament hat die Aufgabe, den neuen Kommissionschef zu wählen, die Amtszeit von Jean-Claude Juncker ist zu Ende. Um den Posten bewirbt sich neben Weber, der der CSU angehört, unter anderen der Sozialdemokrat und bisherige Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans aus den Niederlanden.

Bewerbungen um Posten könnte es in den kommenden Tagen auch in der Bundesrepublik geben. Sicher ist, dass Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD und Noch-Justizministerin, nach Brüssel wechselt. Doch werden, auch wenn Klingbeil keine Personaldebatten führen möchte, wahrscheinlich noch Köpfe rollen in der SPD.

Auch in der LINKEN gibt es offenbar erste Versuche, das Wahlergebnis in Bezug auf Personalfragen zu deuten: Es sei »auch eine Quittung für die machtpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre« und »Zeit für einen Neustart«, zwitscherte Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter und prominenter Politiker der Reformerströmung Forum Demokratischer Sozialismus (fds) kurz nach den ersten Hochrechnungen. Das fds war selbst wegen des im Parteijargon »Hufeisen« genannten Machtbündnisses zwischen Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht in der Bundestagsfraktion Teil der von Liebich in Erinnerung gerufenen »machpolitischen Auseinandersetzungen« - und an ihnen fast zerbrochen. Nun aber steht Wagenknechts Rückzug als Fraktionsvorsitzende bevor; zunächst vertagt worden war die Frage ihrer Nachfolge, erst sollte der Wahlkampf gemeinsam bestritten werden. Gut möglich, dass die Auseinandersetzung um die Deutung des schlechten Wahlergebnisses nun mit der Debatte um die Wagenknecht-Nachfolge zusammenfällt. Und kein Zufall sicherlich, dass Ende vergangener Woche ausgerechnet Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken, über die Presse lancierte, Bartsch könne die Fraktion doch vorübergehend allein führen. Dies in einer Partei, die sonst die Geschlechterquote hochhält. Mit Agenturen

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