Traumausbeuter

Christoph Ruf über neue Wucherungen von alten Fußballkonstrukten, die den Wettbewerb noch mehr verzerren werden

Eigentlich soll man sich ja so kurz vorm Urlaub nicht mehr aufregen. Und schon gar nicht sollte man die letzte Kolumne vor der Sommerpause mit anderen Themen füllen als solchen, die mit Sommer, Sonne und Cocktails zu tun haben. Aber zum einen werden Sie auch beim Weiterblättern vom Ernst des Lebens heimgesucht werden, dafür werden die Clowns dieser Welt von Klöckner bis Trump schon sorgen. Und zum anderen ist eben nicht gut Cocktailtrinken, wenn der Barkeeper den Alkohol der Wahl mit Red Bull auffüllt.

Es mag ja Zufall sein, aber in den vergangenen Tagen haben gleich zwei Großunternehmen des europäischen Fußballs neue Wucherungen bekanntgegeben. Zum einen das höchst sympathische Emirate-Konstrukt Paris St. Germain. Und zum anderen Red Bull Leipzig. PSG wird in Düsseldorf und Oberhausen Fußballakademien eröffnen, in einem ersten Anlauf ist ein Sichtungstraining für 600 Jugendliche geplant. Red Bull hat eine Kooperation mit dem SC Paderborn vereinbart. Bei der Pressekonferenz zum Thema erlaubte sich RB-Vorstand Oliver Mintzlaff die drollige Randbemerkung, dass die Westfalen ja »bisher noch nie in der Bundesliga gespielt haben.« Dabei liegt die Saison 2014/2015, in der der SC erstklassig war, noch gar nicht so lange zurück. Selbst Red Bull in Leipzig war da schon geboren.

In den nächsten Wochen wird sich weisen, ob Mintzlaff der einzige Spitzenfunktionär mit Gedächtnislücken ist, oder ob die DFL auch schon infiziert ist. Denn was RB da vorhat, passt zwar bestens zur eigenen Geschäftsphilosophie, würde das Prinzip der Wettbewerbsverzerrung aber noch mal drastisch ausweiten. Schließlich ist offenbar geplant, dass Leipzig Spieler, die es zum Beispiel in den USA oder in Brasilien »entdeckt« hat, erst mal in Paderborn parkt, um ihnen dort die Spielpraxis zu ermöglichen, die im Leipziger Edelkader nicht zur Verfügung stünde. Aus Leipziger Sicht ist das nur logisch, und auch Paderborn dürfte sich freuen. Schließlich besteht die Mannschaft, die in der vergangenen Saison spielerisch mit das Beste war, was die zweite Liga zu bieten hatte, aus überregional eher unbekannten Spielern. Angesichts der überschaubaren finanziellen Möglichkeiten der Westfalen wäre der SCP in der kommenden Erstligasaison einer der Topfavoriten auf den sofortigen Wiederabstieg.

Das könnte sich durch die Kooperation nun dramatisch ändern, sehr zur Freude von Vereinen wie Freiburg, Mainz oder Augsburg, die aus eigenen, oder zumindest selbst erwirtschafteten Mitteln versuchen müssen, über die Runden zu kommen. Paderborn hingegen könnte schon bald mit zwei, drei aus Leipzig geparkten Spielern wie beispielsweise Jean-Kévin Augustin aufwarten, deren Marktwert ziemlich nah an dem bisherigen Gesamtetat der Paderborner Mannschaft liegt. Und was würde wohl passieren, wenn am 34. Spieltag eine Leipziger Mannschaft, die den Champions-League-Startplatz längst sicher hat, beim abstiegsgefährdeten SC Paderborn antritt? Würde man tatsächlich so spielen, dass die Leihspieler, die dort für die gehobenen Erstligaansprüche geschliffen werden sollen, in die zweite Liga absteigen? Oder gäbe es dann doch vielleicht eine ganz unglückliche 0:1-Niederlage für RB zu beklagen?

Zugegeben, in Leipzig hat man durch die Europa League eine gewisse Erfahrung, wie es ist, gegen sich selbst zu spielen. Die DFL sollte aber etwas genauer darauf achten, was aus ihrem angeblichen Wettbewerb gerade gemacht wird. Genauer als die UEFA jedenfalls, die bei Spielen zwischen Red Bull Leipzig und Red Bull Salzburg (die jeweiligen Tarnnamen googlen Sie bitte selbst) keinen Interessenskonflikt erkennen konnte.

Bliebe die Frage, ob das, was derzeit in Paderborn, Oberhausen oder Düsseldorf passiert, nicht einfach nur einen Prozess beschleunigt, der europaweit längst in Gange ist. Die großen Vereine blähen ihre Nachwuchsleistungszentren auf, haben zwei Dutzend Leihspieler, die sie quer durch Europa verleihen und gründen überall auf der Welt irgendwelche Akademien, in denen sie die naiven Träume von jungen Fußballtalenten ausbeuten. Einige hunderttausend Steppkes dürften weltweit jeden Abend mit dem Gedanken einschlafen, dass sie einmal für Madrid oder Liverpool auflaufen werden. Das ist ein gehöriges Potenzial, das die Großen nur allzu gerne nutzen, ehe es dann für 99,9 Prozent von ihnen leider, leider doch nicht reichen wird. In diesem Sinne: Einen schönen Sommer. Und passen Sie auf Ihren Nachwuchs auf.

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