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Bahn auf Sanierungskurs
Staatskonzern setzt auf Streckenmodernisierung und Digitalisierung statt auf Reaktivierung stillgelegter Linien
Hochgeschwindigkeitsstrecken bei der Deutschen Bahn (DB) gibt es seit 1991 - und erstmals steht bei einer von diesen nun die Grundsanierung an. Seit Dienstag 5 Uhr ist die ICE-Strecke zwischen Hannover und Göttingen für den Verkehr gesperrt; die Züge werden umgeleitet. Mitte Dezember soll die Erneuerung von Gleisen, Weichen und Signaltechnik an und auf der Strecke beendet sein. Dies ist erst der Auftakt: Bis 2023 werden drei weitere Abschnitte der Strecke bis nach Würzburg für Sanierungsarbeiten gesperrt. »Nach fast 30 Jahren Dauerbetrieb muss hochbelastete Infrastruktur umfassend erneuert werden«, heißt es bei der Bahn.
Die Bauarbeiten haben ihre Konsequenzen: Pendler zwischen Nord- und Süddeutschland sowie zwischen Berlin und Frankfurt am Main müssen sich auf eine 30 bis 45 Minuten längere Fahrt sowie auf Kapazitätseinschränkungen einrichten. Auch im Regionalverkehr kommt es zu Ausfällen und Verspätungen.
Schlappe 175 Millionen Euro kostet laut bisheriger Planung allein die Sanierung zwischen Hannover und Göttingen. Kein Problem für die DB, was auf ein Umdenken beim Eigentümer des Konzerns, dem Bund, seit 2015 zurückzuführen ist. Nachdem über viele Jahre zum Zwecke der Gewinnsteigerung auf Verschleiß gefahren wurde, stehen die Zeichen jetzt auf Investitionen in großem Stil. Allein im laufenden Jahr sollen rund 10,7 Milliarden Euro in moderne Bahnhöfe und ein leistungsfähigeres Netz fließen, über 2000 neue Mitarbeiter sollen im Baubereich der DB Netz AG eingestellt werden. Die Verspätungsprobleme soll dies nicht verschärfen - die längeren Zeiten sind in den Fahrplan eingearbeitet.
Saniert werden nicht nur Vorzeigestrecken mit ICE-Verkehr. So ist seit diesem Dienstag auch die Bahnstrecke Magdeburg-Halle für etwa ein halbes Jahr gesperrt. Grund dafür sind Bauarbeiten am Knoten Köthen, der von fast allen Zügen nun umfahren werden muss. Die stündlich fahrenden Intercityzüge zwischen Magdeburg und Halle brauchen den Angaben zufolge nun planmäßig 15 bis 30 Minuten länger.
Mit den vielen Sanierungen soll, wie es aus dem Bahntower heißt, »ein Qualitätsschub für die Kunden erreicht« werden. Allerdings ist in den vergangenen Jahren bereits etwa die Hälfte der Gleise an dem 33 400 Kilometer langen deutschen Schienennetz und über 770 Eisenbahnbrücken saniert worden. An den massiven Verspätungsproblemen hat dies aber kaum etwas geändert. Offenbar rächt sich jetzt die jahrelange Ausdünnung des Netzes. Seit 1990 sind in Deutschland 6467 Kilometer Strecken stillgelegt worden, davon rund 40 Prozent in Ostdeutschland.
Das geht aus der Antwort des Verkehrsministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Am stärksten betroffen war demnach Bayern. »Der Bund als Eigentümer hat diese Bilanz des Scheiterns politisch zu verantworten und steht in der Pflicht, den Kurs zu ändern«, sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Er forderte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf, ein Reaktivierungsprogramm für stillgelegte Bahnstrecken aufzulegen.
Dies sieht man beim Verbändebündnis »Bahn für alle« genauso: »Diese Reduktion der Netzkapazität und der Effizienz der Infrastruktur sind einer der entscheidenden Gründe für die aktuelle Verspätungsmisere, weil Züge sich nicht gegenseitig überholen können und so Verspätungen von einem Zug an den anderen übertragen werden«, kritisieren die Privatisierungskritiker. Sie fordern unter anderem, neben den schnellen ICE-Linien, die den einen oder anderen Knoten auslassen müssten, parallele Intercity- oder Interregiolinien einzurichten.
Von solchen Vorhaben will die Bahnführung nichts wissen. Aber sie selbst rechnet vor, dass sich von 1994 bis 2017 die Nutzungsintensität der (verkleinerten) Infrastruktur mehr als verdoppelt hat. In der Folge seien einzelne Streckenabschnitte bis zu 140 Prozent ausgelastet. Vor allem in Knoten und Ballungsräumen könnten so Rückstaueffekte entstehen, die sich auf das gesamte Netz auswirken.
Um das Problem zu lösen, vertraut die Bahn lieber auf Technik. Rund 30 Milliarden Euro sollen in den kommenden Jahrzehnten in die Ausrüstung der Strecken und Fahrzeuge mit digitaler Leit- und Sicherungstechnik gesteckt werden. Die Verantwortlichen erhoffen sich davon einen Kapazitätszuwachs von bis zu 20 Prozent. Am Pfingstwochenende haben zwischen Meitingen und Mertingen im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben die Bauarbeiten für das erste digitale Stellwerk auf einer Hauptverkehrsstrecke begonnen. Vom »Wechsel in ein komplett neues System« spricht Kay Euler, der Leiter des Digitalisierungsprogramms.
Doch weder Digitalisierung noch erneuerte Gleise nützen etwas, wenn die benötigten Züge nicht in ausreichendem Umfang vorhanden sind. Vor zwei Monaten hatte die Bahn die Abnahme weiterer Züge der neuen ICE-4-Generation von Siemens und Bombardier gestoppt, nachdem fehlerhafte Schweißnähte im Mittelteil eines Untergestells der Wagen entdeckt worden waren. Seit diesem Wochenende muss die DB nun improvisieren, da seit dem kleinen Fahrplanwechsel am Sonntag zusätzliche ICE-4-Leistungen vorgesehen waren, die nun durch andere Fahrzeuge ersetzt werden müssen. Für die Pünktlichkeit verheißt dies nichts Gutes.
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