Am Beispiel der Papaya

Die Medical Students for Choice Berlin organisieren Workshops zu Theorie und Praxis von Schwangerschaftsabbrüchen.

  • Johanna Treblin (Text) und Nadja Wohlleben (Fotos)
  • Lesedauer: 6 Min.

Sophie Balmer hält die Papaya mit beiden Händen fest. Ihre Kommilitonin setzt oberhalb des Strunks einen dünnen Stab an und und drückt ihn vorsichtig ins Fruchtfleisch. Saft sickert hinaus. Mit drehenden Bewegungen schiebt sie den Stab tiefer in die Papaya hinein, zieht ihn dann heraus, nimmt einen etwas dickeren Stab und wiederholt das Procedere. In den dadurch entstandenen Gang schiebt die Medizinstudentin nun ein Röhrchen, das zu einer Handsauge - eine Art große Spritze - gehört.

Es ist Montagabend, mehr als 20 junge Menschen sitzen dicht an dicht in einem Übungsraum der Uniklinik Charité in Berlin-Mitte, auf den langen Tischreihen liegen mehrere ovale grünlich-gelbe Früchte und allerlei OP-Werkzeug.

Die Medical Students for Choice (MSFC) Berlin haben zum Papaya-Workshop geladen. An den Früchten üben sie Schwangerschaftsabbrüche mit der Absaugmethode. Warum gerade an Papayas? Sie sind günstig, haben in etwa die Form eines Uterus, und wenn sie reif genug sind, lässt sich etwas aus ihnen heraussaugen. Die Papaya-Workshops sind die Antwort einiger angehender Ärztinnen auf den Lehrplan der Charité. Die verschiedenen Aspekte des Schwangerschaftsabbruches (medizinisch, rechtlich, ethisch) sollten laut dem »nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM)« im Medizinstudium in der Theorie aufgegriffen werden. Das heißt: Nach sechs Jahren Medizinstudium sollten die angehenden Ärzt*innen wissen, wie man Schwangerschaftsabbrüche durchführt - zumindest theoretisch; die praktische Ausbildung beginnt erst später. Doch, so kritisieren die MSFC Berlin, an der Charité gibt es in den keine Veranstaltung, die die medizinischen Aspekte des Themas ausreichend behandelt.

Adelheid Kuhlmey, Stellvertretende Prodekanin für Studium und Lehre, erklärt dem »nd«, die Lehrinhalte an der Charité deckten alle Aspekte des »nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalogs Medizin)« ab. Im Studium würden die »grundlegenden Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs gelehrt, aber nicht die direkte Ausführung eines operativen Eingriffs«. Für das gesamte Medizinstudium gelte, »dass die Ausführung operativer Techniken, gleich welcher Art und egal in welcher chirurgischen Disziplin, nicht Gegenstand des Studiums sind. Von dieser grundlegenden Festlegung sollte auch beim Thema Schwangerschaftsabbruch keine Ausnahme gemacht werden.« Das Erlernen der Ausführung von Schwangerschaftsabbrüchen sei Gegenstand der ärztlichen Weiterbildung nach dem Medizinstudium.

Es ist fast fünf Jahre her, dass Alicia Baier auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung die niederländische Ärztin und Aktivistin Rebecca Gomperts traf. Die erzählte ihr von den Medical Students for Choice, einer internationalen Bewegung, und den Papaya-Workshops, die sie regelmäßig durchführen. Die Medizinstudentin Baier brauchte nicht lange, um Unterstützer*innen für die Idee zu gewinnen, einen Ableger in Berlin zu gründen. Ihr erster Papaya-Workshop fand 2015 statt - damals wie heute selbst organisiert und außercurricular. »Mein Bruder hat mir damals die Instrumente aus den USA mitgebracht«, erzählt sie. Und anschließend wieder zurückgebracht. Später nahm Baier über eine Dozentin Kontakt zu Ärztinnen auf. Seitdem werden die MSFC Berlin von erfahrenen Gynäkologinnen unterstützt. Und die bringen das OP-Werkzeug mit.

Jeder Workshop - es gibt einen oder zwei pro Semester - besteht aus viel Theorie und etwas Praxis. An diesem Montagabend gibt Caroline Gabrysch zunächst eine kleine Einführung in die Anatomie des weiblichen Genitals. Anschließend erklärt Alicia Baier die gesetzlichen Grundlagen, fragt die Kommiliton*innen, welche Kenntnisse schon vorhanden sind. Baier spricht über den Paragrafen 219a, der das Informationsverbot für Schwangerschaftsabbrüche regelt. »Ich sage nicht Werbeverbot, sondern Informationsverbot. Es geht nicht um Werbung, die die Ärztinnen auf ihren Internetseiten schalten, sondern ihnen wird verboten, näher darüber zu informieren, welche Methoden sie anbieten«, sagt Baier. Im Gesetz werde Information und Werbung vermischt. Sie spricht auch über die Ärztin Kristina Hänel, die kürzlich vor Gericht erscheinen musste, weil sie sich nicht verbieten lassen wollte, auf ihrer Homepage über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Baier räumt in ihrem Vortrag mit Mythen auf: Nicht Minderjährige brächen am häufigsten Schwangerschaften ab, sondern Frauen zwischen 25 und 35 Jahren. Was könnte man tun, um die Zahlen zu verringern? »Care-Arbeit besser verteilen, Verhütungsmittel kostenlos zur Verfügung stellen.«

Immer weniger Ärzt*innen führen Abbrüche durch

Baier berichtet auch, dass immer weniger Ärzt*innen Abbrüche durchführen. Seit 2003 sei die Zahl um 40 Prozent gesunken. Das erschwere es Frauen immer mehr, Ärzt*innen zu finden, die Abbrüche durchführen. »Deshalb auch der Workshop hier.« Vielleicht entscheide sich die eine oder der andere, nach dem Studium in Richtung Gynäkologie zu gehen. Baier selbst will lieber Allgemeinmedizinerin werden, erzählt sie nach dem Vortrag. Doch auch die - wie Kristina Hänel - können Abbrüche durchführen. Baier macht keinen klassischen Frontalunterricht, wer Fragen hat, kann diese zwischendurch stellen. Einige Kommiliton*innen ergänzen den Vortrag auch um weitere Informationen.

Anschließend stellt die Gynäkologin Christiane Trennhardt die verschiedenen medikamentösen und operativen Methoden des Schwangerschaftsabbruches vor. Dann geht es in die Praxis. An der Papaya kann nur die Absaugmethode geübt werden. »Eine wirkliche Gebärmutter ist weicher«, sagt Trennhardt in die Runde. Und fügt hinzu, dass die Übung die Studierenden anschließend natürlich nicht befähige, einen richtigen Abbruch durchzuführen. »Aber ihr werdet im Anschluss ja auch nicht direkt loslegen.«

Sophie Balmer und ihre Kommilitonin haben sich mittlerweile die zweite Papaya vorgenommen. Dieses Mal lässt sich nichts heraussaugen. Eine der vier Ärztinnen, die den Workshop begleiten, schaut sich das Problem an - die Frucht ist noch unreif. Balmer nimmt sich noch einmal die erste Papaya vor, die Studentinnen wechseln die Rollen. Balmer saugt, und wieder kommen Saft und Kerne in die Kanüle. Die spritzt Balmer in das OP-Schälchen, das neben ihr auf dem Tisch steht.

Sophie Balmer findet es nicht irritierend, an einer Papaya zu üben. »Es gibt kaum gute Modelle im Studium. Ich bin froh, überhaupt ein Modell zum Üben zu haben.« Balmer fühlt sich im regulären Studium zu wenig über Schwangerschaftsabbrüche informiert, deshalb hatte sie sich im vergangenen Jahr schon einmal um die Teilnahme beworben, aber der Kurs war ausgebucht - der Übungsraum fasst nicht viel mehr als 20 Studierende.

Ihre Kritik am Lehrplan haben die Medical Students for Choice auch gegenüber der Charité angebracht. Nach Gesprächen mit Mitgliedern des Studienausschusses wurde der Lehrplan zum Sommersemester 2019 angepasst. Kuhlmey bestätigt: »Im Falle des Themas ›Schwangerschaftsabbruch‹ wurde in der Tat das Seminar aufgrund der studentischen Bitten und unserer gemeinsamen Diskussionen im Studienausschuss verändert und auch die ergänzenden/erweiternden Lehrveranstaltungen eingeführt.« Seitdem würden »die verschiedenen Arten des Schwangerschaftsabbruchs im Überblick (theoretisch) gelehrt«. Die Teilnehmer*innen des Papaya-Workshops haben das neue Seminar bisher noch nicht besucht. Kommiliton*innen seien damit aber zufrieden, berichtet Balmer.

Die Medical Students for Choice kritisieren vor allem den Mangel an theoretischem Input zu Schwangerschaftsabbrüchen im Studium. Das hat sich bereits gebessert. Warum sie dann einen Praxisworkshop anbieten? »Das lockt natürlich viele Leute an«, sagt Baier, erklärt aber auch: »Um zusätzlich einen anderen Zugang zum Thema zu ermöglichen und den Eingriff greifbarer zu machen.«

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