Bessere Kliniken in der Ferne

Bertelsmann-Studie empfiehlt radikalen Krankenhausumbau und erntet Widerspruch

»In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser. Eine starke Verringerung der Klinikanzahl von aktuell knapp 1400 auf deutlich unter 600 Häuser würde die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern und bestehende Engpässe bei Ärzten und Pflegepersonal mildern.« Zu diesem Schluss kommt eine Bertelsmann-Studie, für die Krankenhausexperten zunächst mit dem Ziel einer Qualitätssteigerung der Versorgung Vorgaben wie gesicherte Notfallversorgung, Facharztbereitschaft rund um die Uhr, ausreichende Erfahrung und Routine des Personals sowie eine angemessene technische Ausstattung erarbeitet hatten. Im Anschluss simulierte das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) die Auswirkungen für den Großraum Köln/Leverkusen, der sowohl von städtischen als auch ländlichen Gebieten geprägt ist, wie die Stiftung hervorhebt.

Dass weniger Kliniken zu einer besseren medizinischen Versorgung der Patienten führen würden, begründet die Studie mit der unzureichenden Größe der meisten Häuser. Viele Krankenhäuser seien schlicht zu klein und verfügten oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall angemessen zu behandeln. So seien 57 Prozent aller deutschen Krankenhäuser kleine Kliniken mit weniger als 200 Betten, von denen viele »medizintechnisch nicht adäquat ausgestattet« seien. Im Jahr 2017 verfügte demnach jede dritte Klinik nicht über einen Computertomographen und 61 Prozent aller Krankenhäuser nicht über eine Koronarangiographie (die Möglichkeit zur radiologischen Darstellung der Herzkranzgefäße).

Die Berechnungen des IGES im zweiten Schritt zeigten, dass die ausgewählte Beispielregion mit 14 statt der aktuell 38 Akutkrankenhäuser eine bessere Versorgung bieten würde, »ohne dass die Patienten im Durchschnitt viel längere Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten«, behauptet die Studie.

Dass die Forderungen mit der Prämisse Qualität vor Erreichbarkeit in unterschiedlichen Landstrichen unterschiedlich umgesetzt werden könnten, ist den Studienmachern dabei durchaus bewusst: »In Großstädten ist die Erreichbarkeit wie gesehen kein Problem. In ländlichen Regionen bestehe dagegen «ein echter Zielkonflikt mit der Versorgungsqualität». Mangelhaft ausgestattete Kliniken auf dem Land dürften dennoch nicht «weiter in der Versorgung belassen» werden. «Stattdessen müssen alternative Strukturen der Rettungsdienste aufgebaut und Konzepte der Zubringerdienste auch für Angehörige entwickelt werden.»

So drastisch die Forderungen des am Montag veröffentlichten Papiers, so heftig ist auch der Widerspruch, vor allem aus den eher strukturschwachen Landesteilen, für deren spezifische Probleme die Studie sehr vage bleibt.

Für die Landeskrankenhausgesellschaft Brandenburg (LKB) etwa verkenne «dieses Planspiel die Versorgungsrealitäten», so LKB-Geschäftsführer Michael Jacob. Politisches Ziel sei es, alle Standorte zu erhalten und zu Zentren der Gesundheitsversorgung auszubauen. Die geforderte weitere Zentralisierung würde in Brandenburg die flächendeckende Versorgung gefährden. Außerdem wären dafür Investitionen in extremer Höhe erforderlich. Die Spitzenkandidatin der Linkspartei zur Landtagswahl in Brandenburg, Katrin Dannenberg, macht nicht nur deutlich, dass es mit ihrer Partei keine Krankenhausschließungen geben werde. Sie verweist auch auf die spezifischen Gegebenheiten im Osten: «Wer ernsthaft die Region Köln/Leverkusen mit Brandenburg vergleicht, zeigt deutlich, dass er den Bezug zur Realität in Ostdeutschland verloren hat. Brandenburg habe, wie alle anderen ostdeutschen Länder, einen Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft bereits in den 1990er Jahren vollzogen. Man konzentriere sich nun darauf, »die vorhanden Krankenhäuser für die Zukunft fit zu machen und sie zu ambulant-stationären Zentren umzubauen«.

Aus Mecklenburg-Vorpommern kommt ähnliche Kritik. Die Studie am Beispiel einer Region in Nordrhein-Westfalen und die Schlussfolgerungen seien »ein Weg, der für ein dünn besiedeltes Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern nicht infrage« kommen könne, erklärt der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Torsten Koplin. Dennoch gelte es, »sich mit den in der Studie aufgeworfenen Themenstellungen auseinanderzusetzen«. Dazu gehörten die Fragen der Spezialisierung und Zentralisierung sowie der Verlagerung von stationären Behandlungsfällen in den ambulanten Bereich. Von der Landesregierung fordert er, dass der Krankenhausplan des Landes »schleunigst und grundlegend überarbeitet« wird.

Für die Deutsche Stiftung Patientenschutz müsse sich »ohne Zweifel« etwas bei den Kliniken in Deutschland ändern. Über die Hälfte der Krankenhäuser zu schließen, sei aber »kein Konzept, sondern Kahlschlag«, so der Vorstand Eugen Brysch. »Das mag wissenschaftlich begründet sein, wäre für die Menschen aber verheerend.« Es gehe nicht immer nur um komplizierte Operationen mit Maximalversorgung. Auch Patienten müssten gut behandelt werden, »die keine Maximaltherapie benötigen und dennoch ins Krankenhaus gehen müssen«. Zu dieser Gruppe gehörten besonders alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen. Aufgabe von Bund und Ländern sei es, einen Zukunftsplan Krankenhausversorgung zu entwickeln.

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