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Mehr als die Karl-Marx-Allee
In Friedrichshain-Kreuzberg hoffen die Mieter von zwei weiteren Häusern auf Rettung
»Wir sind nicht die Karl-Marx-Allee«, sagt Manfred Heinrich. Doch auch wenn die Dimensionen in dem zusammengelegten Haus von Boxhagener Straße 89 und Gryphiusstraße 16 sicher nicht dieselben sind - es geht hier um insgesamt 19 Wohnungen -, so ähneln sich doch die Fälle. Denn der Komplex soll verkauft werden, und ein Käufer hat sich schon gefunden: die PSD Bank Berlin-Brandenburg. Darüber wurden die Bewohner in der ersten Junihälfte informiert, nun läuft deren persönliches zweimonatiges Vorkaufsrecht für das in Eigentum aufgeteilte Haus.
Nutzen können das die meisten aus finanziellen Gründen ohnehin nicht, und erschwerend kommt noch hinzu, dass dem Kaufvertrag eine Belastungsvollmacht fehlt. Nur damit wäre es den meisten möglich, Kredite aufzunehmen. Bewohner, die die Wohnungen nicht gleich finanzieren können, haben demnach keine Chance auf einen Kauf. »Das Vorkaufsrecht ist de facto nicht vorhanden«, sagt Heinrich, der sich wie die anderen Mieter auch fragt, was mit dem Objekt geschieht. Er hofft, genauso wie die anderen, dass im Szenekiez nicht noch mehr »Szene« einkehrt, und will, dass alles so bleibt, wie es ist. Von einem Vertreter des Käufers wurde er lange ohne eine konkrete Aussage zu diesen Plänen hingehalten. Nun will er zusammen mit dem Verkäufer in der kommenden Woche die Mieter besuchen und sich ihren Fragen stellen.
Heinrich, der seit Januar 1991 in Friedrichshain lebt, ist skeptisch. Auch beim Verkauf an die genossenschaftliche Bank hat es Auffälligkeiten gegeben. Die Kaufpreise für die drei Gewerbeeinheiten des Hauses sind wesentlich günstiger. Während der Quadratmeterpreis der Wohnungen über 4000 Euro beträgt, liegt dieser bei den Gewerbeflächen nur bei rund 1000 Euro. Gewerbemieter haben kein Vorkaufsrecht für die von ihnen genutzten Räume - und eine Kündigungsfrist von nur sechs Monaten. Wegen einer ähnlich dubiosen Verteilung der Kaufpreise beim Deal zwischen Predac und Deutsche Wohnen in der Karl-Marx-Allee ermittelt gerade die Staatsanwaltschaft. Der Vorwurf: Verdachts des Betrugs.
Im Erdgeschoss des Hauses locken Schaufenster zum Hineingehen. Dahinter verbirgt sich ein Klub der Volkssolidarität. Diana Eulau arbeitet hier seit mehreren Jahren. Sie erwartet, dass der Bezirk oder der Senat die Einrichtung retten - und die Räume notfalls kauft. »Wir haben einen tollen Draht zu den Anwohnern hier, und sie fühlen sich total wohl bei uns. Fast alle unsere Kurse sind ausgebucht«, sagt sie stolz. Die Volkssolidarität bietet nicht nur Selbsthilfegruppen - etwa die der anonymen Alkoholiker oder auch für Computersüchtige an -, sie berät auch in Sachen rassistischer, sexistischer und antisemitischer Diskriminierungen im Kiez.
Dass der Bezirk einspringt, scheint allerdings unwahrscheinlich. Die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) als ursprüngliche Eigentümerin hatte das Haus 1998 an einen Immobilienfonds verkauft, an dem sie rund fünf Prozent der Anteile hielt. 2012 hatten die Anleger die Liquidation des Fonds durch Aufteilung in Wohnungseigentum beschlossen, die 2013 vollzogen wurde. Die Wohnungsbaugesellschaft Mitte als Muttergesellschaft der WBF habe sich seit 2011 um den Rückkauf der Häuser bemüht, was nicht gelungen sei, teilt das Unternehmen mit.
Mieter Jens Wluka hat noch eine andere Sorge. Da es bei einem Ausbau und der Nutzung des Daches kein Mitspracherecht für die Bewohner gibt, könnten diese mit erheblichem Baulärm belästigt werden. Das aber scheint ein kleineres Problem zu sein. Zunächst geht es den Mietern darum, ein gesichertes Bleiberecht zu erwirken.
Am Lausitzer Platz 17 in Kreuzberg ergeht es den Bewohnern gerade ähnlich. Auch ihr Haus wurde verkauft. Und auch sie befürchten nun, früher oder später verdrängt zu werden. Noch sechs Wochen haben sie Zeit, ihr persönliches Vorkaufsrecht zu nutzen. Aber »die Wohnungen sind wahnsinnig teuer«, sagt Mieterin Irmlind Stenzel. Zehn Parteien leben dort. Auch hier seien bewohnte Wohnungen viermal so teuer wie die drei leerstehenden. In aller Regel ist das umgekehrt. Da die Bewohner ohnehin über ein geringes Eigenkapital verfügen, hofft Stenzel, dass Bezirk oder der Senat sie unterstützen. »Ähnlich, wie es gerade in der Karl-Marx-Allee, oder zuerst in der Wrangelstraße 66, geschehen ist«, sagt sie und hofft, dass hinter den politischen Aussagen des Bezirks-Baustadtrates Florian Schmidt (Grüne), man wolle etwa 50 Prozent der Wohnungen in gemeinwohlorientierten Händen haben, auch ein echtes Bemühen steckt. Stenzel wohnt seit 21 Jahren mit ihrem Mann im Haus. Ihre 60 Jahre alte Nachbarin sogar schon seit 40 Jahren und sei auch gleich nebenan aufgewachsen. »Und jetzt muss sie sich noch vor einem Umzug fürchten?«, fragt Stenzel schüchtern. Derzeit befinden sich die Hausbewohner noch in Gesprächen mit dem Bezirk, dem Senat und potenziellen Genossenschaften, die einen Kauf tragen würden. 2,2 Millionen Euro soll das Haus insgesamt kosten. Vor rund zehn Jahren wäre es nur eine Million gewesen, sagt Stenzel - da wäre es ein Leichtes gewesen, einen Träger zu finden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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