»Mein Lieblingsort ist immer da, wo ich noch nicht war«

Der Berliner Fotograf Jean Molitor im Gespräch über das Bauhaus, kreative Freiheit und Probleme mit der großen Kamera

Herr Molitor, Sie fotografieren vor allem Bauhaus-Gebäude - warum Bauhaus?

Hier sollte ich vorweg erklären, ich fotografiere Gebäude der sogenannten klassischen Moderne in ihrer weltweiten Ausprägung. Das Bauhaus sehe ich nicht als den Erfinder der Moderne. Eine Architekturklasse gab es erst 1927 unter dem zweiten Direktor, dem Schweizer Architekten Hannes Meyer. Dennoch sehe ich das Bauhaus als eine Säule der Moderne und fühle mich sowohl von der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit als auch von den Inhalten angesprochen. Die einstigen Ideen und neuen Ansätze sehe ich sehr zeitaktuell.

Wann haben Sie mit der Bauhaus-Serie angefangen? Und wo?

Zufällig habe ich genau vor zehn Jahren mit dem Projekt »bau1haus« begonnen und vom Abriss bedrohte Gebäude in europäischer Ausstrahlung in Bujumbura im Herzen Afrikas fotografiert. Ich war erstaunt, in Burundi, einem der kleinsten Staaten Afrikas, solche Bauten zu finden, und habe mich dann weitergehend mit der Thematik beschäftigt.

In welchen Ländern haben Sie Bauhaus-Architektur gefunden?

Wenn ich davon ausgehe, dass es sich bei Bauhaus-Gebäuden um Häuser handelt, die im direkten Zusammenhang mit der Bauhaus-Schule stehen, dann habe ich diese natürlich in Thüringen und Sachsen-Anhalt sowie im Ural und in Tel Aviv fotografiert. Da man aber das Bauhaus und seine Architektur im internationalen Kontext sehen muss, ist die gegenseitige Beeinflussung und Befruchtung nicht zu übersehen. Ausgehend von den vielen Begrifflichkeiten - wie »Neues Bauen«, »Neue Sachlichkeit«, Klinkerexpressionismus oder Konstruktivismus, Art Deco, De Stijl und andere -, habe ich derzeit Häuser in 35 Ländern fotografiert. In Afghanistan, Kambodscha, Indonesien, Indien, in Kongo, Burundi, Marokko, Kenia, in Ost- und Westeuropa, Skandinavien und in Israel. Darüber hinaus habe ich entsprechende Bauten bislang in über 120 Staaten recherchiert.

Die Architektur passt sich normalerweise der Umgebung an. Wie unterschiedlich waren die Bauhaus-Bauten an den verschiedenen Orten, wo Sie fotografiert haben?

Das Interessante an dem Projekt sind die regionalen Besonderheiten in der Architektur, selbst wenn wir generell von der Moderne sprechen. In Asien und Afrika zeigt sich die Architektur klimaangepasst. Weite Balkone und Verschattungen an den Fenstern halten die Sonne außerhalb und die Innentemperaturen erträglich. Die Farbgebung ist oft hell bis weiß. Die Bebauung in Bauhaus-Ausstrahlung in Tel Aviv nennt sich bis heute »Weiße Stadt«. In Skandinavien lassen sich aus Osteuropa bekannte Formen finden, jedoch kommen einheimische Materialien wie Holz verstärkt zum Einsatz.

Wie man mit Fotografie in der Öffentlichkeit umgeht, ist von Land zu Land unterschiedlich. Haben Sie auch Schwierigkeiten gehabt?

Mitunter ist es nicht leicht, bestimmte Gebäude zu fotografieren. Das kann am Haus selbst liegen, wie bei Privathäusern oder auch bei staatlichen Einrichtungen wie Polizei oder Militär, und sich darüber hinaus aus der jeweiligen Gesetzgebung erklären. In Afrika bietet es sich generell an, vorab einen Termin beim Bürgermeister zu organisieren, um das Anliegen vorzutragen. In der Regel gibt es dann kein Problem, aber es kostet erfahrungsgemäß immer viel Zeit. Selbst in Deutschland ist den Menschen die Panorama-Freiheit (die 2015 gekippt werden sollte) oft nicht bekannt, und es kann zu Diskussionen kommen. Da es hier keine Sprachbarrieren gibt, lassen sich Fragen schnell beantworten lassen, was sich für mich im frankophonen Raum eher schwieriger darstellt. Im Libanon wurde ich oft vom Militär angehalten und musste erklären, dass ich Fotograf bin. In Marokko verbringt man schon mal ein paar Stunden bei der Polizei, muss nachvollziehbare Erklärungen zu der großen Kamera abgeben. In Havanna wurde ich 2016 mal eine gute Stunde befragt, warum ich ausgerechnet das leere Schwimmbad fotografiert habe, und es stellte sich heraus, dass regelmäßig ganze Busse mit gelangweilten Touristen ausgerechnet bei dem nicht intakten Schwimmbad nahe dem Malecón anhielten und Tausende von Fotos machten, welche Sekunden später per WhatsApp und Twitter in alle Wohnzimmer der Welt gelangten. Daran hat man verständlicherweise kein Interesse. Dass mich die Architektur interessiert, fanden auch die Beamten am Ende spannend.

Haben Sie einen Lieblingsort beziehungsweise Lieblingsbau?

Mein Lieblingsort ist immer da, wo ich noch nicht war. Parallel zu meinen Fotoreisen hat die Recherche mittlerweile einen festen Platz in meiner Arbeit gefunden. Ein Netzwerk von Helfern weltweit versorgt mich beinahe täglich mit neuen Informationen. Es warten so viele spannende Neuentdeckungen auf mich, sodass ich mich auf kein Haus festlegen kann. Wenn ich von denen eines aussuchen sollte, die ich schon fotografiert habe, so kann ich sagen, dass ich von Barcelona als Stadt und vom originalgetreuen Nachbau des Deutschen Pavillons, 1936 erbaut von Mies van der Rohe, sehr beeindruckt war. Es ist für mich bis heute nicht ganz vorstellbar, wie man in einer Zeit, in der ich den guten alten Fachwerkbau noch sehe, solch einen klaren und modern-futuristisch-minimalistischen Pavillon bauen konnte.

Warum haben Sie sich für Schwarz-Weiß-Fotografie entschieden?

Es geht bei meinem Projekt um Konzeptfotografie. Das traditionelle Schwarz-Weiß-Foto ermöglicht die Reduktion auf das mir Wesentliche. Ohne Ablenkung versuche ich den Blick auf die Architektur, auf die Linienführung, auf den Baukörper zu bringen. Ich möchte, dass meine Abbildungen zumindest in diesem Projekt zeitlos erscheinen, um der Idee der einstigen Erbauer (Architekt und Bauherr) möglichst nahe kommen zu können. Ich möchte die Ästhetik sowohl im Bauwerk wie auch in der fotografischen Umsetzung wiederfinden. Das sehe ich mittlerweile als fotografische Kunst in Anbetracht der vielen unterschiedlichen Realitäten weltweit. Ein gewisser dokumentarischer Anteil wird dennoch in allen Bildern enthalten bleiben, was ich ebenfalls sehr spannend finde. Zudem gibt es auch einen pragmatischen Grund. Die Idee zu »bau1haus« beruht auf dem Aufbau einer Serie. Es geht nicht um das Herausarbeiten einzelner Gebäude, sondern um das Betrachten und Vergleichen möglichst vieler unterschiedlicher Formen und Einflüsse. Hier unterstützt das Schwarz-Weiß und umschifft derzeit einige Unwägbarkeiten, denn Fotos, innerhalb von acht Tagen aufgenommen in Kongo bei 40 Grad im Schatten und kurz darauf im Ural bei 20 Grad unter null, würden das Konzept im Sinne einer Farbserie maßgeblich erschweren und einen anderen Aufwand bedeuten. Allerdings fotografiere ich generell farbig, und es gibt auch erste Buchpublikationen, in welchen ich farbig veröffentliche, was unbestritten einen eigenen Reiz hat. Zumal es damals beim Bauhaus wie auch bei Bruno Taut und anderen um Farbkonzepte ging.

Als Gropius das Bauhaus vor 100 Jahren gegründet hat, hat er es »Bau der Zukunft« genannt. Inwiefern ist diese Aussage heute noch relevant?

Ich sehe es insofern noch als relevant, da wir uns noch immer in dieser Epoche befinden und sich die großen Ziele nicht verändert haben. Es geht um Wohn- und Lebensraum, es geht um neue Ideen, wie wir als Gemeinschaft konstruktiv mit den sich verändernden Anforderungen umgehen. Dazu gibt es gerade eine parallele Ausstellung mit Fotos aus meiner Serie in der Berliner Galerie Freiraum in der Box im Friedrichshain.

Sie haben in der DDR künstlerische Fotografie studiert. Haben Sie schon in dieser Zeit ausgestellt?

In der DDR hatte ich begonnen, kleinere Porträt-Serien in Cafés auszustellen. Generell denke ich, ich war in meiner Jugend zu unruhig und viel mit dem Erleben beschäftigt. Zur konzeptionellen Fotografie habe ich wahrscheinlich erst zum Ende meines Studiums 1993 gefunden. Aber so genau kann ich das selbst auch gar nicht beurteilen. Meine Aufmerksamkeit galt von jeher dem Reisen, dem Unterwegssein. Die Fotografie, als mein Beruf und meine Leidenschaft, verbindet viele mir wichtige Möglichkeiten, mein Leben zu leben und aktiv zu gestalten.

Sie fotografieren auch für Printmedien und Fernsehproduktionen. Da sind Sie dann eher Fotojournalist, oder? Wie beschreiben Sie die Unterschiede zwischen der künstlerischen und journalistischen Fotografie? Welche machen Sie lieber?

Ich erkenne, dass beide Bereiche oft ineinanderfließen. Ich arbeite eher selten im Auftrag. In der Regel entwerfe ich eigene Projekte oder gehe auf Reisen und versuche im Nachhinein, Produkte oder Geschichten, die ich im Vorfeld nicht kenne, an Printmedien oder TV-Stationen zu verkaufen. Natürlich auch, um davon leben zu können. Das ist nicht immer einfach, aber es lässt mir die kreative Freiheit, die Geschichten selbst zu finden. Und ich muss nichts konstruieren oder dazudichten. Es geht mir auch nicht um Sensationen, sondern um Authentisches. Das Leben ist so spannend, wir müssen nur aus unserer Komfortzone ausbrechen, und wieder lernen zu beobachten, uns zu erfreuen am Einfachen. So sind ohne viel Druck und auch ohne Budget wunderbare Reportagen entstanden wie »Die Kamele von Havanna«, »Von Paris nach Peking - die härteste Rallye der Welt« oder »Einmal Dschungel, bitte - ein venezolanisches Tagebuch«. Seit 2003 widme ich mich verstärkt meinem künstlerischen Schaffen, bevorzuge es, auch mal im Sitzen zu arbeiten und nicht auf allen Vieren mit feucht gewordener Kamera und übersät mit Moskitostichen durch den Urwald von Guyana zu kriechen. Das überlasse ich mittlerweile gerne den jungen Kollegen.

»bau1haus - die Moderne zwischen Berlin und Haifa. Bilder des Berliner Fotografen Jean Molitor«, bis 27.9., Rosa-Luxemburg-Stiftung, Foyer, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin.

Publikationen zur Ausstellung:

Jean Molitor: bau1haus - die Moderne in der Welt (Vorzugsausgabe), Hatje-Cantz-Verlag, geb., 160 S., 100 Abb., 99 €.

Jean Molitor/Kaija Voss: Bauhaus.

Eine fotografische Weltreise/A photographic journey around the world. bebra-Verlag, geb., 240 S., 136 Duplex-Abb., 46 €. www.jean.molitor.photography

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