Schön reden und Böses tun

Die Eventkultur frisst ihre Kinder: Berthold Seliger schreibt »Vom Imperiengeschäft« der Konzertveranstalter

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 4 Min.

»Nach wie vor gilt: Wer den Vertriebskanal kontrolliert, der hat die Macht.« (Berthold Seliger)

Das Musikbusiness ist seit jeher ein schmutziges. Schließlich geht es um Kunst - eine Ware, die wie kaum eine andere vermarktbar ist. Es gibt keine Qualitätskontrolle, keine Ethik und erst recht kein Mitleid.

Dies spüren Konsumenten wie Produzenten am eigenen Leib. Wer heute auf eines der großen Musikfestivals geht, besucht eine totalitäre Werbeveranstaltung mit Hintergrundgedudel. Energydrinks, Zigaretten und Lifestyleprodukte stehen präsent mit Markenlogo auf jedem Becher, jedem Ticket, jeder Plastiktoilette, Fressbude, Bühne, Website. Man könnte glauben, dass Werbung das Erlebnis subventioniert, aber wer die Dogmen des Kapitalismus kennt, weiß, dass er per Definition möglichst unanständig agiert: Kartenpreise steigen jährlich.

Das ist egal, denn Erlebnisse machen glücklich, und wer hart arbeitet soll umso härter feiern, heißt es. Alle Freizeit wird so zum Event, der Mensch soll nach der Arbeit exzessiven Spaß haben und exzessiv kaufen, weil der euphorische Genießer gleich doppelt zahlt.

Berthold Seliger nimmt sich, nachdem er 2016 in »Klassikkampf« die muffige, selbstgerechte Klassikszene brüskierte, in seinem neuen Buch wieder vorwiegend der Marke Popmusik an. Es geht um die Eventkultur und ihre Kinder: Wie funktioniert heutzutage das Geschäft mit Konzerten, Tickets und Fanartikeln? Wer hat die Macht und wie viel Corporate-Identity steckt in jeder Veranstaltung? Wo kommt das her und wo führt das alles hin?

Seligers neues Buch »Vom Imperiengeschäft« ist ein desillusionierendes, fast betroffen machendes Werk geworden. Eines, das jedem jungen Künstler klar machen muss, dass die globalisierte Vertriebsmaschine ihn fressen wird, spätestens sobald er sich ins »Mittelfeld« der Musikbranche gearbeitet hat. Die Förderer von Nachwuchstalenten heißen heute Red Bull - wer mitmacht bekommt einen Synthesizer. Sich an den Staat zu wenden bringt auch nichts, beim senatsgeförderten Event »Pop-Kultur« in Berlin, lernt man, wie man sich als Influencer der Zukunft möglichst gefällt auf Instagram generiert und wieso die Firma Sennheiser die besten Mikrofone herstellt. So geht das heute.

Dabei, schreibt Seliger, war es nicht immer so. Der Grundgedanke des Festivals an sich zum Beispiel war einmal einer des Aufbruchs und der Zusammenkunft. Ein Kapitel widmet er der Festivalgeschichte, vom 1967 in Kalifornien idealistisch organisierten »Monterey Pop« bis zu heutigen Dauerwerbepartys wie »Rock am Ring«. Nebenbei wird die Legende von Woodstock demontiert, werden Geschichten davon erzählt, wie zum Beispiel Henryk M. Broder vor 50 Jahren ein Festival für (linke) Protestsongs in Essen mitkonzipierte und wie ein großer Konzertveranstalter einst die Stadt Düsseldorf zu erpressen versuchte. Was Seligers Bücher so lesenswert macht, ist nicht nur das stets wohlrecherchierte, massive Informationsvolumen in ihnen, sondern auch die Lust des Autors am erzählen von Anekdoten und leidenschaftlichen Anklagen der herrschenden Zustände. Ständig zwischen kindlicher Freude an der Musik und akribischer Aufarbeitung der Ungerechtigkeiten der kapitalistischen Welt hin- und hergerissen, konfrontiert sich Seliger auch immer wieder mit seiner eigenen Position. Der Mann ist schließlich seit 30 Jahren selbst Konzertagent und Tourneeveranstalter - er weiß, wo man mitspielen muss und wo nicht.

Aus diesem Grund entlarvt er in seinem neuen Buch auch immer wieder ganz praktisch die üblichen Ausreden der Veranstalter. Während auf deutschen Electrofestivals der Anteil von weiblichen DJs bei errechneten 10,3 Prozent liegt, argumentieren die Veranstalter meist, dass man schließlich »geeignete Acts« brauche, um das Publikum zu ziehen - und das seien nun mal keine Frauen. Imagefilme zeigen immer noch headbangende Macker, die abrocken, neben kreischenden Girlies, die im Begriff sind vor Entzückung ins Wachkoma zu fallen.

Klischees ziehen gut, werden nicht infrage gestellt, sondern gefördert, weil rentabel. Nochmal: Exzessives Geldmachen funktioniert nur unmoralisch. AC/DC verlangten auf ihrer Tournee vor vier Jahren satte 19,90 Euro Versandgebühren für ein Papierticket. Taylor Swift motiviert ihre jugendlichen Fans zum VIP-Vorverkaufsrecht. Das angeblich superalternative »Burning-Man«-Festival in der Wüste von Nevada berechnet mittlerweile bis zu 1200 Euro pro Ticket (was die Tech-Yuppies aus dem Silicon Valley auch bezahlen). In Berlin spricht der »Lollapalooza«-Veranstalter von »Liebe«, während es zu wenig Toiletten gibt und die Besucher vier Stunden am S-Bahnhof warten müssen.

Heute sind die Superstars so reich sind wie nie zuvor und der Mittelstand der Musiker spielt am am Existenzminimum. Schön reden und Böses tun - auch das gehört zur »Kalifornischen Ideologie«, die außer Selbstoptimierung und scheinheiligem Raubtierschnurren nichts anderes kennt.

Man erfährt viel in diesen mehr als 300 Seiten Sachbuch und es ist nie langweilig. Seligers Bücher kann man im besten Sinne gleichermaßen als wissenschaftliche Arbeitsquelle wie Toilettenlektüre nutzen. Man legt sie erst beiseite, wenn man fertig ist.

Berthold Seliger: Vom Imperiengeschäft: Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören. Edition Tiamat, 300 S., bros, 20 €.

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